Kapitel 15 - Abdruckmasse

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Langsam tasteten wir uns in dem Gang vor. Wir bemühten uns nicht auszurutschen oder uns durch Geräusche bemerkbar zu machen. Der Gang wurde schmaler und an seinem Ende wurde das türkise Licht von weißem abgelöst. Ein paar große Gesteinsbrocken verschlossen das Ende beinahe gänzlich. Das war gut so, so konnten wir uns dahinter verstecken und erstmal die Lage observieren.

Die Zahn- und die Zuckerfee flogen zum oberen Ende der Gesteinsbrocken und warfen einen Blick darüber, dann kamen sie wieder zu uns herunter.

„Ihr glaubt es nicht. Dr. Bäst und die beiden faulen Zähne scheinen in Aufbruchsstimmung zu sein", flüsterte die Zahnfee. „Wir sind gerade noch rechtzeitig gekommen."

„Ok", flüsterte ich. „Wie sieht es sonst dort aus? Wachen, Nacktschnecken, weitere Ausgänge, Waffen?"

Die Zahnfee schüttelte den Kopf. „Definitiv keine weiteren Ausgänge. Dies ist eine Sackgasse. Ob sie Waffen haben, kann ich so nicht sagen, aber Wachen sind keine da. Nur ein Labor und jede Menge Computer."

„Dann scheint uns das Glück ja hold", bemerkte Marcus. „Wie wollen wir vorgehen?"

„Wir stürmen den Laden", beschloss die Zahnfee, „alles andere hat keinen Sinn." Sie schaltete ihren Bohrer ein, leise surrte er vor sich hin.

„Moment!", warf die Zuckerfee ein. „Ich hab noch was mitgenommen." Irgendwoher kramte sie eine kleine Handgranate her. Ich war schockiert. „Die macht nicht Kabumm. Sie ist mit paraformaldehytischem Nelkengas gefüllt. Ihr solltet euren Atemschutz aufsetzen", erklärte die Zuckerfee. „Zum Betäuben."

Die Zahnfee schien beeindruckt: „Wo hast du die denn noch gefunden? Die wurden schon lange aus dem Verkehr gezogen."

„Geheimvorrat", antwortete die Zuckerfee und grinste.

Das Grinsen im Gesicht ihrer Schwester wurde breiter: „Das hast du sehr gut gemacht, wirklich. Ich bin beeindruckt. Jetzt, wirf sie verdammt!"

Die Zuckerfee war eine gute Werferin. Hastig schoben wir uns die Masken über unsere Gesichter. Als die Granate auftraf, blieben den Zähnen und Dr. Bäst keine Zeit zum flüchten. Das Gas verteilte sich sofort und legte alle drei Schlafen. Wir tasteten uns vor, erlebten aber keine bösen Überraschungen.

Im Labor der Zähne fanden wir genügend Abdruckmasse um die Edenti festzusetzen. Dr. Bäst wurde mit Zahnseide auf einen Stuhl gefesselt.

„So, und jetzt will ich meine Rache!", zischte die Zahnfee und ließ ihren Bohrer mehrmals kurz hochdrehen, während sie ihn auf die schlafenden Edenti richtete und ihnen die kariösen Stellen wegfräsen wollte.

Trocken sagte Marcus: „Haben die das verdient? Oder willst du sie lieber noch ein wenig leiden lassen?" Die Zahnfee überlegt kurz und hielt inne. Dann schaltete sie den Bohrer wieder aus: „Du hast immer die besten Ideen. Ich lass sie noch ein wenig weiterfaulen. Das wird erst richtig schön, wenn's an den Nerv geht."

Zahn- und Zuckerfee bewachten die drei Übeltäter, während Marcus und ich uns den Computer widmeten. Das Knacken der Passwörter war dabei unsere kleinste Übung. Das Zurechtfinden im Wirrwarr der Dateien, die schon fast diesen Tropfsteinhöhlen glichen, war dagegen eine echte Herausforderung. Irgendwann fanden wir Baupläne und als hätte ich es gerochen, hatten sie die Filter in der Fabrik der Zuckerfee manipuliert. Sie hatten ein organisches Bauteil entworfen, das ohne aufzufallen in den Wachstumsprozess der Filter integriert werden konnte, weil es sich tarnte.

Es war so beschaffen, dass es die Süße des Rohmaterials für sich selbst beanspruchte und massiv komprimierte während es alles andere weiterleitete, so dass weiterproduziert werden konnte, nur nichts mehr süß war. Eine Art Zuckervampir. Darüber hinaus besaß dieses Bauteil die Eigenschaft einen Sog durch Zeit und Raum zu senden, der allerdings nicht immer gleich stark war, so dass es schwieriger war seinen Anfang zu lokalisieren. Außerdem gab es einen Fehlerindex. Dort fanden wir des Rätsels Lösung für die Zuckerhüte. Obwohl es sich hier um verpresste Rohware handelte, die eigentlich hätte süß sein müssen, war durch einen Systemfehler das Phänomen der Zuckerlosigkeit aufgetreten.

Wir berichteten der Zuckerfee davon.

„Und wie haben die das gemacht? Ich meine, dies in meine Filter zu bekommen, die wir selber herstellen?", hakte die Zuckerfee nach.

„Benutzt ihr dafür einen Computer?", fragte Marcus.

„Jaja, natürlich.... Oh! Sie haben sich reingehackt?", stellte die Zuckerfee fest. Marcus nickte.

„Verdammt!", fluchte sie.

Die Zähne waren noch total weggedämmert. Dr. Bäst dagegen rührte sich. Das Nelkengas hatte eine Nebenwirkung: es ließ ihn seinen teuflischen Plan ausplaudern. Es wirkte klischeehaft, als er in seinem vernebelten Zustand sagte: „Es war ein so genialer Plan: Zucker gefährdet Zähne. Kein Zucker = keine gefährdeten Zähne. Ich als derjenige, der diese Gefahr gebannt hat, und alle Edenti hätten mich als ihren Helden gefeiert. Der Zuckerfee, die ewig mit der Zahnfee im Streit liegt, gehörig eine verpassen und sie wäre mir sicher zu Füßen gefallen. Dann hätte ich mich zum Zahnfürsten aufschwingen können. Jetzt wird wohl nichts mehr daraus." Ein Geständnis deluxe!

Die Zahnfee grummelte: „Das sehe ich auch so. Wir werden dich dem Gericht der Edenti übergeben. Die Weisheitszähne werden ein gerechtes Urteil über dich fällen. Genauso wie über diese beiden." Die Zahnfee trat nach den Edenti, die langsam aber sicher die Augen öffneten. Wiederum ließ sie ihre Kiefer mehrmals aufeinander fallen. Das zuerst relativ leise Geräusch verstärkte sich durch den Rückhall von den Höhlenwänden und war bald überall zu hören.

Wenige Minuten später eskortierten ein Haufen Nacktschnecken die Gefangenen zu Burg Zahnstein. Wer nicht laufen konnte, wie die beiden im Zement steckenden Zähne, wurde getragen. In Burg Zahnstein angekommen verabschiedete sich die Zuckerfee, jedoch nicht ohne Marcus nochmal verstohlen in den Hintern zu kneifen. Sie wollte ruck zuck ihre Filter austauschen. Die entsprechenden Dateien, wie dies zu bewerkstelligen war, hatten wir ihr noch im Labor zugesandt, so dass sie mit der Instandsetzung gleich loslegen konnte. Wie konnte man auch nur so blöd sein, dass „Gegenmittel" ebenfalls im System abzuspeichern?

Naja, es schien sich halt um zwei besonders hohle Zähne zu handeln und einen Doktor, der seinen Titel wahrscheinlich im Lotto gewonnen hatte. In Burg Zahnstein angekommen, legten wir eine kleine Rast ein und sortierten uns und unsere Gedanken. Dann machten wir uns bereit die Oberfläche des Planeten zu betreten um die Zähne dem Gericht der Edenti zu übergeben. Mir gruselte etwas davor, galten die Zähne doch als hinterhältig. Es blieb uns aber nichts anderes übrig als den Prozess abzuwarten.

The Doctoress - Torten-Trauma (7)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt