Kapitel 11 - Zitronensäure

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Ich hatte sehr gut geschlafen und hörte schon die anderen vier ihre Witze reißen. Nach einer kleinen Renovierung legte ich mich noch zwei Minuten aufs Bett um nachzudenken.

Gedanklich befand ich mich beim Kochen. Wie neutralisierte man doch gleich übersüßte Speisen beim Kochen – mit Säure. Diese allerdings maskierte die Süße nur und ließ sie nicht verschwinden. Was wäre, wenn die beiden die Säure mit einer Art Fresszelle versetzt hatten?

„Würdest du vielleicht langsam auch mal aufstehen?" Marcus trat an mein Bett. „Die Zuckerfee wartet schon auf dich."

„Das kann ich kaum glauben", konterte ich und machte mich bald darauf auf den Weg in Etage vier. Vorsorglich hatte ich die Schallfeile auch neu eingestellt, so dass wir uns mindestens zu Zweit auf die Suche nach Merkwürdigkeiten vor Ort machen konnten. Marlon, Tanja und Melania hingen vor dem Bildschirm in der Tardis und ließen dort verschiedene Suchen und Scans durchlaufen.

Immer wieder ertappte ich mich dem penetrant leckeren Geruch der Süßigkeiten nachzugehen und mir das ein oder andere Teil in den Mund zu stecken. Und immer noch schmeckte es widerwärtig nicht nachdem, was einem der Geruch versprach. Ich hatte keinen Bock mehr.

„Doctoress, Doctoress – bitte holen sie Marlon, Tanja und Melania im Kinderparadies ab. Es gibt Nachrichten von Cavum", ertönte eine Durchsage von Marlon im Tardis eigenen System. Erlösung pur! Wir trafen uns im Konferenzzimmer, damit alle die Information gleichzeitig erhielten.

„Was gibt's?", wollte ich dringlichst wissen.

„Die Regierung von Cavum hat geantwortet. Kariuss und Backtus sind dort bekannt. Aber...", informierte mich Marlon.

„Aber, sie sind Verbrecher und auf der Flucht", setzte Tanja fort.

„Na toll! Ich bin begeistert!", ließ ich verlauten. „Und nun? Welche Optionen haben wir noch diese beiden faulen Zähne aufzutreiben?"Ich verdrehte die Augen. Niemand sagte etwas. „Sollen wir vielleicht die heilige Zahnfee anrufen?", blubberte ich gedankenlos vor mich hin und versuchte dabei lustig zu sein.

Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, als ich plötzlich von der Zuckerfee am Schlafittchen gepackt wurde.

„Du!", knurrte sie. „Ich wusste, dass du mit ihr unter einer Decke steckst. Sollen wir vielleicht die heilige Zahnfee anrufen?!", äffte sie mich nach. Ihr Blick war irr und glich dem der rot-weiß-geringelten Lutscher, die hier überall herumlagen. Marcus zog sie von mir weg und ich realisierte, dass ich wohl in ein Fettnäpfchen getreten war. Er umarmte sie fest und sie begann hemmungslos zu schluchzen. Verächtlich verzog ich die Lippen. Sie war wohl ein wenig labil, die Gute. Binnen Sekunden war sein weißes Hemd durchnässt und ich musste ob der Transparenz meinen Blick abwenden.

Marcus klärte mich auf: „Die Zahnfee ist ihre Schwester." Gut, dann wusste ich jetzt wenigstens, dass ich es auch noch mit tief in der Kindheit verwurzelten Rivalitäten zu tun hatte.

Leise flüsterte ich: „Und? Kann sie uns helfen?"

„Wir sprechen gleich darüber." Marcus schob sie in ein angrenzendes Zimmer und redete beruhigend auf sie ein. Wenig später kam er ohne sie wieder.

„Was ist jetzt mit der Zahnfee?", erinnerte ich ihn an meine Frage.

„Sie ist wie gesagt ihre Schwester und die Zuckerfee glaubt, dass ihre Schwester in allem bevorzugt wird und erfolgreicher ist. Dass dem nicht so ist, kannst du dir denken. Manchmal ist sie ein kleines verwöhntes Biest."

„Super! Ich ruf sie an." Ich grinste diabolisch und rief die Kontaktdaten der Zahnfee im Computersystem der Zuckerfee ab. Dort war sie gespeichert unter „Blöde Ziege". Marcus verabschiedete sich nochmals, weil er aufs Klo musste.

Glöckchengeläut ertönte und im Raum erschien die Zahnfee. Sie hatte die Optik einer XXL-Tinkerbelle in einem hellblauen Aerobic-Dress. „Sie haben geläutet?", flötete sie.

„Wo kommt die denn auf einmal her?", ertönte es aus den hinteren Reihen.

„Na hör mal, junger Mann! Ich bin eine Fee!" Sie schlich sich an Marlon heran und beäugte ihn eingehend. „Zeig mir deine Zähne!" Ob man es glaubt oder nicht, er kam ihrem Befehl umgehend nach. „Sehr schöne Beißerchen. Mit denen kann ich nichts anfangen. Nicht kariös genug."

„Was, wenn ich dir zwei andere anbiete: Kariuss und Backtus?", konfrontierte ich sie mit unseren Hauptverdächtigen.

Zwei Sternchen leuchteten in ihren Augen auf, dann folgte die Ernüchterung. „Die beiden schon wieder... Was haben sie diesmal angestellt?" Die Zahnfee blickte mich intensiv an.

„Sie ruinieren mich!" Schniefend trat die Zuckerfee an ihre Schwester heran. „Hilf mir! Sie wollen mich vernichten!" Sie warf sich förmlich an die Brust ihrer Schwester und rotzte ihr den Dress voll. Kollektives Stöhnen. Die Zahnfee klopfte ihrer Schwester sanft auf den Rücken. Offensichtlich waren ihre Rivalitäten fürs erste nicht TOP 1. Das sollte sich aber schnell ändern. Ziemlich schnell.

Nichtsahnend an den Manschetten seines Hemdes fummelnd schlurfte Marcus in den Raum. Der Blick der Zahnfee fiel auf ihn: „Marcus?!"

Er riss den Kopf hoch und wer ihn so gut kannte wie ich wusste, dass erdachte: Oh mein Gott, nicht die auch noch! Er rollte mit den Augen bevor er ein strahlendes Lächeln aufsetzte: „Zahnfee! Das wir uns noch einmal wiedersehen..."

Die Zahnfee ließ ihre Schwester los, die schniefend zu Boden fiel. „Das wurde aber auch Zeit", gurrte die Zahnfee und packte Marcus am Kragen um ihn zu küssen. Niemand hatte mit der Wendigkeit der Zuckerfee gerechnet. Sie sprang ihre Schwester an: „Nicht das schon wieder! Er gehört mir!" Schon hatten sich die beiden Feen dermaßen in der Wolle, dass es rauchte. Sie lieferten die beste Wrestling-Show der Welt ab.

Mit zackigen Gesten und wütendem Blick dirigierte ich Marcus in das andere Büro, während Marlon, Tanja und Melania vergeblich versuchten die beiden Kontrahentinnen auseinander zu bekommen.

Ich schloss die Tür.

„So,mein Lieber. Deine Vergangenheit geht mich eigentlich nichts an. Ich mische mich ungern ein, aber da dieser Fall irgendetwas damit zu tun hat, muss ich wissen, was da gelaufen ist."

Er druckste herum. Es war ihm nicht wohl dabei, mir davon zu erzählen.„Ähm. Ich war mit ihr zusammen, naja, nicht so richtig, aber sie hat es jedenfalls gedacht."

Verdattert sah ich ihn an. „Wer ist „sie"? Die Zuckerfee oder die Zahnfee?"

Marcus Blick schweifte im Raum umher, auf der Suche nach etwas, an das er sich heften konnte. „Mit Beiden."

Meine Kinnlade fiel nach unten und der Ausruf des Erstaunens erstickte in meinem Mund. „Gleichzeitig?"

„NEIN! Und auch nicht richtig. Ich... ich hab mit ihnen geflirtet, sonst nichts. Ich schwöre." Hundeblick! Autsch!

Unruhig wippte ich auf meinen Füßen hin und her und hatte unbemerkt die Arme verschränkt. Ich versuchte ruhig zu bleiben. „Und was tun wir jetzt? Wie bekommen wir die beiden Kampfhennen auseinander?"

Auf dem Flur ertönten Geräusche, offensichtlich wollte man mit uns kommunizieren.

Marcus trat an mich heran, schon wieder mit diesem ekelhaften Hundeblick.„Ich wüsste da was, dass garantiert wirkt."

„Und?"

„Du würdest ihren Hass auf dich ziehen."

„Den hab ich doch sowieso schon."

„Na,dann. Ich entschuldige mich schon mal im Voraus."

Just als die Tür sich öffnete und die beiden Feen total zerzaust in den Raum sahen, küsste er mich nicht gerade unleidenschaftlich.

Die beiden Feen wurden sauer, sauer wie Zitronensäure.

The Doctoress - Torten-Trauma (7)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt