Teil 3

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Doch mit Emmy an meiner Seite hätte ich mir jede Vorsicht sparen können. Schamgefühl ist ein Wort, das in ihrem Wortschatz nicht existiert. Sie wedelt, wenn überhaupt möglich, noch aufgeregter mit den Händen und als wäre das nicht schon peinlich genug brüllt sie noch aus Leibeskräften: „Mä-hätt! Hal -lo!"

Oh.Mein.Gott!

Lieber Erdboden, bitte öffne dich und verschlinge mich!

„Warum ist er denn wieder unter die Brücke gehuscht? Und warum hältst du dir die Hände vor's Gesicht?", fragt mich Emmy da allen Ernstes.

„Um mich vor der Sonne zu schützen."

Emmy mustert mich und nickt. „Ja, du bist auch schon ganz rot im Gesicht."

Manchmal weiß ich echt nicht, was ich von Emmy halten soll.

„Aber unter der Brücke ist ja Schatten." Sie strahlt mich an. Ihr Unternehmungsgeist ist wieder erwacht. „Sonst ist der Typ nachher noch weg." Und schwupps ist sie schon wieder runter von der Balustrade und zieht mich Richtung Treppe. Ich schwöre, meine nächste beste Freundin wird keine Turnerin! Kennt ihr diese uralten, mittlerweile Gott sei Dank verbotenen Zirkus-Nummern? Wo man einen Elefanten in ein Tutu steckte und ihn irgendwelche Hocker rauf und runter scheuchte? So ähnlich fühle ich mich gerade. Und Emmy ist meine Dompteuse, die leichtfüßig wie immer die letzten Stufen hinunterspringt und mich gnadenlos hinter sich herzieht. Nicht, daß ich dick bin, aber ich bin ungefähr genauso geschickt wie ein Elefant und bringe meine Schwungmasse „genauso schnell" wie er zum stehen. Während Emmy also schon um die Ecke rennt, damit Matt auch ja nicht entwischt, entschuldige ich mich gerade zum tausendsten Mal bei der alten Dame, deren Rollator ich fast zur Seite gekickt habe. Aber ich muß unbedingt mal mit meinen Eltern reden. Ich bin einfach zu gut erzogen. Statt die Oma stehenzulassen und Emmy hinterherzurennen, höre ich mir mit entsprechend zerknirschtem Gesicht ihre Schimpftirade an. Als die Oma an der Stelle „früher hätte es das nicht gegeben" ist, taucht Emmy wieder auf.

„Entschuldigen Sie", sagt sie zu der alten Dame, „meine Freundin ist ein bißchen – ungeschickt." Dabei zwinkert sie der Oma verschwörerisch zu und dreht ihren Zeigefinger bedeutsam an ihrer mir abgewandten Schläfe. Na, das geht jetzt aber zu weit!

„Was soll das, Emmy? Ich bin nicht ..."

„Nein, natürlich nicht." Emmy spricht betont langsam und laut mit mir. „Du bist nicht schuld. Da kannst du nichts für." Erst strahlt sie mich, dann die Oma an.

„Naja, wenn das so ist", lenkt die Oma ein. „Aber früher hät's", ihre Augen wandern zu mir herüber, „sowas – nich' gegeben." Auch wenn es sie wahrscheinlich Überwindung kostet, sowas anzufassen, tätschelt sie mir die Wange. „Aber is' ja gut, daß es nich' mehr wie früher is', nich' war?" Ein letztes Lächeln in Emmys Richtung, dann wackelt sie mit ihren Kegel-Damen weiter ins nächste Café.

„Sag mal, spinnst du?" Ich funkel Emmy wütend an. Doch die bekommt das gar nicht mit. Die ist noch viel zu sehr mit lachen beschäftigt.

„Ach komm, was sollte ich der denn erzählen?", bringt sie zwischen zwei Lachanfällen heraus. „Daß du ein Model aus Paris bist und die Oma unbedingt mit auf's Foto sollte? Das hätte die mir nie geglaubt. Nicht mit DEM T-Shirt." Danke, daß du mich daran wieder erinnert hast! „Da war meine Story viel glaubwürdiger." Emmy hält sich die Seite. „Scheiße, Morgen hab ich Muskelkater vor Lachen – ach, komm schon, Melly, war doch lustig." Okay, ich muß auch grinsen. Aber an mein versifftes T-Shirt hätte sie mich echt nicht zu erinnern brauchen! „Und jetzt los, sonst ist der Typ endgültig weg. Dann war alles umsonst." Sag mal, Emmy, wer von uns beiden ist hier eigentlich der Fan?

Feuerherz - My heart's on fire ( Mein Tag mit Matt)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt