Nach einer gefühlten Ewigkeit haben wir uns bis zur Sechserbrücke vorgearbeitet und die wogende Menschenmasse spuckt uns endlich wieder aus. Mit einem Plopp zieht mich Emmy zwischen den letzten Mitgliedern einer Großfamilie hindurch, dann stehen wir am Fuß der Treppen und ich atme erleichtert auf. Menschenmassen sind echt nicht mein Ding.
"Na, los, komm, sonst ist Mätty-Baby nachher weg!"
"Schrei nicht so", zische ich Emmy zu. "Nachher sind hier noch welche aus der ersten Reihe. Wenn die den Namen hören drehen die noch völlig durch."
Emmy rollt mit den Augen.
"Und außerdem weißt du doch gar nicht, ob er's wirklich war."
"Das werden wir aber auch nie herausfinden, wenn du nicht ein bißchen deinen Hintern schwingst." Emmy dreht sich um und springt die Stufen hinauf. Mir bleibt gar nichts anderes übrig, als hinterher zu rennen.Und dann sehe ich sie! Ich will Emmy eine Warnung zurufen, denn von oben kommen ein Löwe, verfolgt von einem schreienden Einhorn, die Treppe hinuntergerannt. Doch Emmy ist schon losgespurtet. Ich also hinterher, die Wildtiere aber fest im Blick.
Sicher ist sicher!
Der Löwe hält ein angelutschtes Eis in gefährlicher Schräglage vor sich und lacht. Das Einhorn bleibt kurz stehen, um lautstark nach der M-A-M-A! zu brüllen. Doch M-A-M-A! achtet mehr auf ihr Handy als auf ihr Einhorn.
Sie kommen Emmy gefährlich nahe. Ich hole tief Luft, um ihr endlich eine Warnung zuzurufen - obwohl ich mir nicht sicher bin, daß ich das Einhorn übertönen kann.
Kurz vor dem Zusammenprall mit dem räuberischen Löwen zwängt sich Emmy durch eine Lücke im Mittelgeländer. Ich habe leider keine Gelegenheit mehr, ihr elegantes Ausweichmanöver gebührend zu bewundern. Eine Kanonenkugel rammt mich am Bauch und nimmt mir die Luft. Ist auch besser so. Sonst hätte ich bei der Begnung meines Bauches mit dem Eis selbst noch das Einhorn übertönt!
Jedenfalls bevor es den unwiederbringlichen Verlust seiner Kugel Regenbogen-Eises bemerkt hat. Danach hätte jede Fliegeralarm-Sirene beschämt ihre Arbeit eingestellt.
Dabei habe doch wohl eher ich jeden Grund zum heulen! Die kleine Rotzgöre hat mir das Eis quer über mein neues T-Shirt geschmiert.
Und grinst mich jetzt auch noch frech an. M-A-M-A! hat jetzt auch endlich den Blick vom Handy gelöst und kommt auf mich zugeschossen.
In solchen Momenten bin ich echt froh, daß Emmy meine Freundin ist. In letzter Sekunde zieht sie mich durch die Lücke im Geländer und verschwindet mit mir in einer Gruppe japanischer Touristen. Okay, nicht die beste Tarnung, aber besser als von einem 5jährigen Einhorn und dessen Mutter zur Sau gemacht zu werden, während der 8jährige Löwen-Bruder nebensteht und abfeiert.Etwa in der Mitte der Brücke fühlen wir uns sicher genug, den Schutz der freundlichen Asiaten zu verlassen.
Vom Basecap-Typen - ich weigere mich ihn Matt zu nennen - ist nichts mehr zu sehen. Mir wird es langsam zu blöd. Ich würde jetzt gerne nochmal zurück zur Toggo-Bühne gehen. Wer weiß, vielleicht sind die Jungs ja noch da und ich kann noch einen Blick auf sie erhaschen. Obwohl ... mit DEM T-Shirt?!?
Irgendwie würde ich Emmy jetzt gerne loswerden, aber so leicht läßt sie sich nicht so abwimmeln. Und weil ich ihr mal wieder zu langsam bin, zieht sie mich jetzt über die Brücke und ich muß gucken, daß ich den Omas mit Rollator und dem Kleingemüse mit Eistüten ausweiche. Aber wenigstens wird es leerer, je weiter wir laufen. Am anderen Ende der Brücke angekommen ramme ich meine Hacken in den Boden und zwinge Emmy anzuhalten."Hey, was ist denn los?"
"Emmy, ich hab keine Lust auf deine Detektiv-Spielchen."
"Was soll das denn jetzt heißen?" Emmy klingt leicht beleidigt. "Ich mache dass doch schließlich nur für DICH."
"Das ist lieb, aber ..."
"... aber wenn du nicht willst, daß ich dir einen Gefallen tue", beendet sie meinen Satz, "dann Bitte. Dann eben nicht."
"Ja, okay", lenke ich ein. Wenn Emmy so drauf ist, hilft nur noch nachgeben. "Aber wenn wir ihn nicht von hier oben aus sehen, gehen wir zurück, ja?"
Emmy schnappt sich wieder meine Hand, strahlt mich an und zieht mich weiter zum Treppenabsatz. Wir schauen zu beiden Seiten über das Geländer. Nichts. Ich atme erleichtert auf. Gerade habe ich mir vorgestellt, daß das vielleicht wirklich Matt ist - und was dann? Was soll ich denn dann machen oder sagen? Ich kann ja schlecht hingehen und einfach Hi sagen.
"Ach, schade, dann ist er wohl schon weg." Ich setzte mein enttäuschtes Gesicht auf und hoffe, daß Emmy mich nicht durchschaut. "Da kann man dann wohl nichts machen."
Ich drehe mich um, um den Rückweg anzutreten.
Doch ich hätte wissen müssen, daß Emmy so schnell nicht aufgibt. Sie klettert auf die breite Balustrade des Geländers und beugt sich so weit nach vorne, daß ich sie schon kopfüber in den Büschen sehe.
"Komm da runter, Emmy!"
Doch Emmy ignoriert mich. Und plötzlich fängt sie aufgeregt an mit der Hand zu wedeln. Mann, die soll sich mal lieber festhalten. "Los, komm schnell her." No way! Ich klettere doch nicht auf diese blöde Balustrade, vier oder fünf Meter über dem Boden! Emmy hat sich zu mir umgedreht, winkt immer wilder, reißt die Augen auf, ruckt mit dem Kopf und zischt mir ein ungeduldiges "Los!" zu.
Ich weiß, wann ich verloren habe. Ich klettere vorsichtig zu Emmy auf die Balustrade, bleibe aber möglichst weit vom Rand weg.
"Da hinten." Emmy ist ganz aufgeregt. "Das ist doch der Typ, oder?"
Ich luge vorsichtig auf den Weg hinunter und sehe ... nichts.
"Du mußt dich weiter vorbeugen."
Das meint sie jetzt nicht ernst, oder? Ich spüre ihre Hand in meinem Rücken, wie sie mich nicht gerade sanft nach vorne drückt.
"Siehst du ihn jetzt?"
Ich sehe vor allem den Vogelschiß auf dem grauen Stein, aber bevor Emmy mich hier noch herunterschubst, sage ich lieber ja. Und dann sehe ich ihn tatsächlich. Der Basecap-Typ, der aus der Nähe eine verblüffende Ähnlichkeit mit Matt hat, steht unter der Treppe der Brücke und kommt jetzt langsam darunter hervor. Schnell rutsche ich ein Stück zurück, damit er mich nicht entdeckt.

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Feuerherz - My heart's on fire ( Mein Tag mit Matt)
FanficWas kann alles passieren, wenn man endlich einmal alleine zum Konzert der Lieblingsband darf und dann feststellt, daß einer der Jungs vom Rest der Band vergessen wurde.