Unser Vorsprung hat gereicht, um sicher das Ufer zu erreichen. Den Lachanfall unserer Fährmänner, als sie unseren Schwan erblicken ignorieren wir. Man muß halt wissen, mit wem man sich gut stellen sollte. Hotte-Horst – der ältere von beiden – kommt uns zu Hilfe, als wir den Schwan ans Ufer zerren und versuchen, ihn in den Büschen zu verstecken. Thomas – der neue, jüngere Fährmann – bugsiert derweil Matt schon mal an Land. Hotte-Horst schiebt uns hinter den beiden her ins Fährhaus. Keine Sekunde zu früh!
Unsere Verfolgerinnen erreichen die Insel. Es dauert eine Weile, bis sie es geschafft haben auf den Steg zu klettern, ohne daß ein Tröpfchen Wasser ihre teuren Schuhchen besudelt. Aber – Respekt – sie haben es geschafft.
Zwei von ihnen gehen ans Ufer und scannen die Umgebung ab. Emmy, Matt und ich machen vorsichtshalber einen Schritt zurück vom Fenster, ein bißchen tiefer hinein ins dämmerige Fährhaus.
„Bist du sicher, daß die hierher sind, Jääzz?", hören wir die Ohne-T-Shirt ihre Freundin fragen.
„Bin ich blöd, oder was?" Dazu hätte ich jetzt meine eigene Theorie, aber ich halte lieber meinen Mund. „Logo, hab ich die gesehen. Die verstecken sich hier irgendwo."
„Helft ihr mir mal mit dem Boot? Oder soll ich das hier die ganze Zeit alleine festhalten?" Das muß die dritte sein. Deshalb ist sie also auf dem Steg geblieben. Sie weiß nicht, wie sie das Boot festmachen soll!
„Los, Jääzz, helf Cell mal." Ohne-T-Shirt scheint der Boss zu sein.
„Ey, bin ich blöd oder was?" Ganz ruhig, Melly, ganz ruhig bleiben ... ich kann's nicht verhindern, mein Blick wandert zu Emmy. Nur ganz kurz. Wir prusten trotzdem los. Hotte-Horst legt den Zeigefinger auf seine Lippen und zeigt nach draußen.Frau Kieker! Die Landwirtin unserer Schule ist wie aus dem Nichts aufgetaucht. Wahrscheinlich war sie gerade im Stall gewesen und hat die Schweine sauber gemacht. Zumindest hält sie noch die Mistgabel in der Hand.
„Was ist das hier für ein Geschrei?", donnert es aus ihr heraus. Sie hat sich breitbeinig vor den Mädchen aufgebaut. Das eine Hosenbein ihrer derben blauen Arbeiterlatzhose hängt aus einem der grünen Gummistiefel. Das rotkarierte Flanellhemd hängt zu beiden Seiten aus dem Hosenbund. Kein Wunder. Die Hose dürfte so eng sein, daß die Knöpfe an der Seite nicht mehr zugehen.
Selbst Hotte-Horst und Thomas weichen jetzt weiter in den Raum zurück. Matt ist entweder immer noch von der Seekrankheit außer Gefecht oder das Grauen in Form von Frau K. bannt ihn. Er ist zwar auch in Deckung gegangen, als die Mädchen die Insel geentert haben, kniet aber, nach wie vor, vor dem ungeputzten Fenster, hält sich an der Fensterbank fest und schielt nach draußen. Ich hoffe bloß, keine von den Girlies guckt jetzt zum Fährhaus hinüber.
Aber meine Sorge war unberechtigt. Frau K. hat die volle Aufmerksamkeit der Drei.„Was willsten du, Oma?" Oh oh, kein Scharfenberger mit einem Funken Verstand – aber hier liegt wahrscheinlich das Problem – würde je Frau K. Oma nennen. Wir nennen sie ja nicht einmal bei ihrem Namen, sondern nur Frau K. – die, deren Name nicht genannt werden darf!
Ohne-T-Shirt bewegt sich gerade auf SEHR dünnem Eis. Sie weiß es nur nicht. Noch nicht.
„Ja, Oma, geh besser wieder deinen Tee trinken", kommt eine der beiden anderen Ohne-T-Shirt vermeintlich zu Hilfe. Das laute Gejohle lockt uns alle wieder nach vorn. Zwei von uns stehen jeweils in der Deckung an der Seite des Fensters und beobachten, was auf dem Vorplatz abgeht.
Mittlerweile scheint es der dritten gelungen zu sein, ihr Tretboot festzumachen, denn sie steht jetzt bei ihren Freundinnen. Die drei scheinen sich prächtig zu amüsieren, während wir Frau K.s versteinertes Gesicht ganz klar als Warnsignal erkennen. Alarmstufe Rot, würde ich sagen.
Die dritte möchte jetzt wohl auch noch etwas beitragen und kickt einen großen Kieselstein zu Frau K. hinüber, der an ihren mit Schweinemist verschmierten Gummistiefel abprallt. „Ja, oder feg mal wieder den Weg hier. Die Scheiß-Steine machen meine Absätze kaputt."
Und jetzt bereitet Ohne-T-Shirt ihr Todesurteil vor: „Oder haste eingepuscht und mußt den Schlüpper wechseln?"
Emmy und ich schauen uns mit aufgerissenen Augen entsetzt an, die Fährmänner atmen scharf ein, selbst Matt ist sich dem Ernst der Sache bewußt. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er sich bekreuzigt. Statt einer Antwort von Frau K., hören wir nur lautes Kreischen der 2.-Reihe-Girls. Jetzt kleben wir alle fünf an der Fensterscheibe und verfolgen das Spektakel. Die drei Grazien rennen so schnell sie das auf ihren Absätzen hinbekommen zurück zum Steg, zu ihrem Boot. Nur, daß ihr Tretboot nicht mehr am Steg liegt. Es dümpelt zwei, drei Meter vom Ufer entfernt im See. Scheinbar haben sie es doch nicht vertäut.
Für eine Sekunde stoppen die Drei am Ufer. Richtig. Ihre Schuhe. Sie hatten sich ja so viel Mühe gegeben, daß die beim Aussteigen nicht naß werden. Aber als Frau K. die Mistgabel in die optimale Position, um sie den Dreien in den Hintern zu stechen, rennen sie kreischend in den See und retten sich auf ihr Tretboot. Schuhe hin oder her. Man muß dann doch Prioritäten setzen.Frau K. steht am Ufer und stößt die Faust, mit der sie die Mistgabel hält, hoch in die Luft.
SO sieht ein Sieger aus!„Schnell", zischt Hotte-Horst. „Lauft hinter das Fährhaus. Sie kommt bestimmt gleich auf nen Kaffee rein."
Alles bloß das nicht! Jede von uns schnappt Matt an einem Arm und wir ziehen ihn hinter uns her, aus dem Fährhaus heraus. Leider genießt Frau K. ihren Sieg nicht so lange, wie wir dachten. Oder gebraucht hätten, um in Sicherheit zu gelangen. Als sie die Mistgabel sinken läßt, ahnen wir Mädels schon böses. Wir bremsen scharf ab und flitzen zurück. Bevor sie sich ganz umgedreht hat, sind wir zurück in der Sicherheit des Fährhauses. Zumindest Emmy und ich. Matt hat leider nicht so schnell geschaltet und steht jetzt alleine, mitten auf dem Vorplatz. Gut sichtbar für jeden. Frau K.s Siegermine verfinstert sich augenblicklich. Matt will sein Glück offenbar auch noch in der Flucht versuchen. Er zeigt Frau K. sein Zahnpasta-Lächeln, winkt ihr noch kurz zu und marschiert ebenfalls Richtung Fährhaus.
Ehrlich gesagt, bin ich total hin- und hergerissen. Ich möchte natürlich nicht, daß Matt in Frau K.s Fänge gerät, ABER ich möchte hier auch nicht von Frau K. entdeckt werden. Das brächte uns mindestens eine Woche abäppeln des Reitplatzes ein – nach oder vor dem Unterricht, versteht sich. Doch auf Frau K. ist verlaß. Sie läßt Matt nicht entkommen und befreit mich ausnahmsweise mal aus meiner Zwickmühle.„Hey, nicht so schnell! Wer sind Sie denn?", ruft sie Matt hinterher. Matt tut so, als würde er sie nicht hören. Kein guter Plan! Die beiden Fährmänner, Emmy und ich geben ihm aus unserer Deckung heraus Zeichen, daß es er sich umdrehen soll. Seinem fragenden Blick nach, weiß er leider nicht, was wir von ihm wollen und beschleunigt seine Schritte noch.
„Junger Mann!"
Matt, ganz Profi, schließlich ist er den Umgang mit schwierigen Menschen gewohnt, setzt wieder sein Strahle-Lächeln auf und dreht sich zu Frau K. herum.
„Oh ... Sie meinen mich?"
„Wieviel junge Männer sehen Sie denn sonst noch hier?"
Matt schaut sich auf dem Platz um, zuckt dann mit den Schultern und sagt: „Außer dem Schwan hier? Keinen."
So langsam kommt mir der Gedanke, daß der Ausflug auf die Schulinsel vielleicht doch keine so gute Idee war. Oder wir hätten Matt wenigstens vor Frau K. warnen sollen. Aber jetzt ist es zu spät. Bye-bye Matt, es war schön, dich kennengelernt zu haben.
Frau K.s Augen sind schon wieder kurz vorm rausfallen, ihre Gesichtsfarbe nähert sich der eines Feuermelders. Schon wieder Alarmstufe Rot. Doch sie explodiert nicht. Scheinbar ist nicht einmal sie immun gegen Matts Charme.
„Also, wie heißen Sie?"
„Mein Name ist Matt."
„Was ist das denn für ein Name?", fragt Frau K. mit ihrem gewohnten Liebreiz.
„Matt?", fragt Matt nach, offenbar, um sich zu vergewissern, daß sie seinen Namen meint.
„Mett", hören wir Frau K. brubbeln, „Mett macht man sich auf's Brot, aber so heißt man doch nicht."**************************************************************+
Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind unbeabsichtigt, rein zufällig und genau wie alle Ereignisse und Begebenheiten frei erfunden! ;-)
Die Schulfarm Insel Scharfenberg existiert zwar tatsächlich, dient jedoch nur als Schauplatz meiner frei erfundenen Geschichte!

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Feuerherz - My heart's on fire ( Mein Tag mit Matt)
FanfictionWas kann alles passieren, wenn man endlich einmal alleine zum Konzert der Lieblingsband darf und dann feststellt, daß einer der Jungs vom Rest der Band vergessen wurde.