6 - Keine leeren Versprechungen

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„Frau Hübner hat sich leider für die ganze Woche krankgemeldet. Ich weiß, dass das ungünstig ist, weil Sie ja eigentlich von ihr eingearbeitet werden sollten, aber wir packen das schon. Sie haben ja auch schon mal im Sekretariat gearbeitet, nicht wahr?"

„Ja."

Seine Anwesenheit machte mich nervös. Ich musste an unsere verhängnisvolle Nacht denken. Eine Nacht, in der ich so naiv gewesen war und ich nicht einmal geahnt hatte, wie sehr sie mein Leben verändern würde.

„Haben Sie schon einmal Krankmeldungen und Urlaubsanträge bearbeitet?"

„Hmm."

„Sehr gut. Und kennen Sie sich auch mit Vertragsrecht ein bisschen aus?"

„Ja, aber nur arbeitsrechtlich."

„Und Rechnungen?"

„Kann ich auch."

„Perfekt. Bei den Korrespondenzen mit unseren Geschäftspartnern helfe ich Ihnen dann. Das kommt dann mit der Zeit."

„Okay."

Er legte seinen Kopf schief und sah mich schmunzelnd an.

„Sind Sie immer so wortkarg?", fragte er skeptisch.

Ich spürte wie mein Gesicht rot anlief.

Ich hasste es, dass ich in dieser Situation war. Ich konnte einfach nicht mit ihm zusammen arbeiten.

„Tut mir leid. Normalerweise nicht."

Nur wenn der unwissende Vater meiner Tochter vor mir stand und ich die Nacht kaum geschlafen hatte, weil Greta für eine Theateraufführung ein Elfenkostüm brauchte und ich aus Geldmangel dieses selber in stundenlanger Handarbeit anfertigen musste.

„Frau Schneider, wir brauchen Sie hier in Topform."

Sein kritischer Unterton war nicht zu überhören.

„Selbstverständlich! Nur weil ich wortkarg bin, heißt das auch nicht, dass ich nicht höchstkonzentriert bin", konterte ich und bekam sofort einen mahnenden Blick. Offenbar war diese Aussage zu frech gewesen.

„Wie konzentriert Sie wirklich sind, wird sich ja dann zeigen. Ich halte nicht viel von Versprechungen. Für mich zählt nur Leistung."

Arrogantes Arschloch.

Doch ich war mir meiner Sache sicher. Mir war bewusst, dass ich grundsätzlich unterschätzt wurde. Ich war blond, klein und sah deutlich jünger aus als ich war. Erst letzte Woche wurde ich beim Kauf einer Mon Cherié Packung nach dem Ausweis gefragt. Doch ich war nicht dumm. Als ich noch studiert hatte, hatte ich einen glatten Einserschnitt gehabt. Ich war in der Lage mir schnell Sachen anzueignen und hatte deshalb keine Zweifel, dass ich mit den Aufgaben hier überfordert sein könnte.

Ich sah ihn herausfordernd an, sagte jedoch nichts weiter. Man sollte sich nicht schon am ersten Tag mit dem Chef anlegen.

In den kommenden Stunden arbeite ich mich durch alle Dokumente. Es war das reinste Chaos und die Ablage schien auch schon seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht worden zu sein. Zudem stapelten sich die Mahnungen von unbezahlten Rechnungen. Was immer Frau Hübner hier auch machte, mit Sekretariatsarbeit hatte es nicht viel zu tun.

Es war bereits später Nachmittag, als Marius bei mir vorbeischaute. Er kam sichtlich abgehetzt von einem Termin. Seine Haare waren durch den Wind und er hatte kleine Schweißperlen auf der Stirn.

„Wo sind denn die ganzen Papierstapel hin?", fragte er überrascht und sah sich im sehr geordneten und strukturierten Büro um.

„Bearbeitet und abgelegt", ließ ich ihn beiläufig wissen.

Ich zeigte auf die Ordner im Schrank.

„Haben Sie meinen Kalender auch im Blick?"

„Sie haben um 17.00 noch einen Termin mit Frau Gregori von Housen GmbH. Die entsprechenden Unterlagen habe ich Ihnen schon auf Ihren Schreibtisch gelegt.

Auch wenn er versuchte es zu überspielen, konnte ich ihm ansehen, dass er doch beeindruckt war.

Ich  machte keine leeren Versprechungen. Das sollte er sich merken!

„Gut", sagte er knapp.

„Ich würde jetzt auch Feierabend machen", kündigte ich an und fuhr meinen Computer runter.

„Jetzt schon?", fragte er wenig begeistert.

„Ja", entgegnete ich entschieden. „Ich habe vertraglich 8 Stunden am Tag abzuleisten und bin heute eine halbe Stunde länger geblieben. Mehr geht nicht. Ich habe eine kleine Tochter, die vom Hort abgeholt werden muss. Ich hatte das auch im Vorstellungsgespräch erwähnt. Aber Sie waren ja nicht da. Deshalb ist das wohl nicht zu Ihnen durchgedrungen."

Ich klang provozierender als ich es geplant hatte, was vermutlich daran lag, dass er mir von Grund auf unsympathisch war, weil er seine Frau am Jungesellenabschied betrogen hatte.

„An Ihrem Tonfall sollten Sie aber noch arbeiten!", zischte er und man konnte sein angekratztes Ego sehen. Er war es vermutlich nicht gewohnt Widerworte von jemanden zu bekommen, der ihm unterstellt war.

„Tut mir leid. Ich werde daran arbeiten", entschuldigte ich mich.

Ich wollte nur noch hier raus. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es hier Wochen oder gar Monate aushalten sollte.

Er nickte nur zu Kenntnisnahme.

"Dann haben Sie einen schönen Feierabend", raunte er mir noch zu und verschwand in seinem Büro

My Little SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt