21 - Dünnes Eis

9K 534 22
                                    

„Es tut mir leid, dass ihr das gestern mitbekommen musstet", entschuldigte sich Marius am nächsten Morgen, als er im Büro ankam.

Er wirkte gestresst.

Auch wenn wir zusammenwohnten, kamen wir stets getrennt zur Arbeit. Zum einen, weil ich Greta vorher zur Schule brachte und zum anderen war es immer noch ein Geheimnis, dass ich bei ihm wohnte.

„Schon okay. Das war ja nicht deine schuld", versuchte ich beiläufig zu klingen.

Tatsächlich war es für mich jedoch alles andere als beiläufig. Es war sogar eine ziemlich große Sache. Das mit der Abtreibung ließ mir keine Ruhe.

Er seufzte.

„Ich frage mich wirklich, wie ich jemanden wie sie mal so sehr lieben konnte, sodass ich sie heiraten wollte." Naja, wenn man seine Frau schon beim Junggesellenabschied betrügt, dann konnte die Liebe nicht so groß gewesen sein. „Sie ist so eine Hexe."

Vielleicht war sie wirklich eine Hexe, doch das rechtfertigte doch nicht das Drängen zu einer Abtreibung. War das der Grund gewesen? War sie schwanger geworden, als Marius schon festgestellt hatte, dass sie doch nicht seine große Liebe war? Hatte er sie dazu gedrängt, weil er auf keinen Fall eine lebenslange Verbindung mit ihr haben wollte?

Es waren so viele Fragen, die ich ihm gerne stellen würde. Doch das war ein so intime Angelegenheit, sodass ich mich nicht traute nachzufragen.

„Hat Greta denn auch alles gehört?", erkundigte er sich.

Ich nickte und konnte einen vorwurfsvollen Blick nicht unterdrücken.
„Sie hat mich gefragt, was eine Abtreibung ist", rutschte es mir nun doch über die Lippen.

Sofort mied Marius den Blickkontakt. Ich konnte sehen, wie er verkrampfte.

Offenbar war das für ihn ein sehr heikles Thema.

„Tut mir leid", murmelte er. „Ich wollte nicht, dass sie so etwas hört." Er zog seine Stirn sorgenvoll in Falten. "Und  du solltest es natürlich auch nicht mitbekommen."

„Stimmt es denn, was sie gesagt hat? Wolltest du unbedingt, dass sie abtreibt?"

Es entstand eine seltsame Stimmung im Raum. Die Anspannung von uns beiden war deutlich spürbar.

Sein Blick sagte mir, dass ich mit dieser Frage zu weit gegangen war.

„Ich möchte darüber nicht reden."

War das ein indirektes Eingeständnis. Hatte er das wirklich getan?

„Marius, ich weiß, dass das ein bisschen komisch klingt, aber ich würde es wirklich gerne wissen. Für mich spielt das eine Rolle."

Er sah mich unverständlich an und ich spürte, wie ich mich auf sehr dünnes Eis begab.
„Wieso spielt das für die eine Rolle, wenn ich eine andere Frau zur Abtreibung überredet habe?"

Das klang wie ein sehr eindeutiges Eingeständnis.

Da er die Umstände nicht kannte, war seine Frage durchaus berechtigt.

„Also stimmte es", schlussfolgerte ich aus seinen Worte.

Er biss sich auf die Unterlippe.
„Ja", sagte er plötzlich gereizt. Das Eis auf dem ich stand begann zu brechen. „Es stimmt. Aber das geht dich nichts an. Ich hatte wirklich gute Gründe, warum ich das getan habe und letztendlich habe ich Diana auch nicht dazu gezwungen. Ja, ich habe auf sie eingeredet und sie beeinflusst, aber letztendlich hat sie die finale Entscheidung getroffen. Und jetzt will ich von diesem Thema nichts mehr hören. Okay?"

Er war sauer. Doch ich hatte das Gefühl, dass er nicht sauer auf mich, sondern vielmehr, dass ihn dieses Thema sehr aufwühlte.

Ich fragte mich, was man für einen Grund haben könnte, um seine Frau zu so etwas zu überreden.

„Sind für dich Kinder denn so schlimm?"
Er verdrehte deutlich genervt die Augen.

„Ich habe doch eben gesagt, dass ich von dem Thema nichts mehr hören will", fuhr er mich an. „Akzeptiere das bitte!"

Ich versuchte ruhig zu bleiben und mich nicht provozieren zu lassen.

„Für mich ist das wichtig, Marius. Für mich spielt es sogar eine sehr große Rolle zu wissen, warum du kein Vater sein willst." Ich atmete tief ein. „Es gibt etwas, dass ich mich bis jetzt nicht getraut habe dir zu sagen."

„Was soll das sein?", fragte er noch immer äußerst genervt und schien nicht zu begreifen, wie ernst die Situation war.

„Ich habe dir doch neulich erzählt, dass ich das Mädchen von deinem Junggesellenabschied bin. Ich habe das nicht einfach so erzählt, denn eigentlich geht die Geschichte noch weiter. Denn das war die Nacht, in der Greta gezeugt wurde." Der Moment war gekommen. Ich atmete noch ein einziges Mal tief ein bevor ich die Katze aus dem Sack ließ. "Du bist der Vater von Greta."

My Little SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt