11 - Kronleuchter und Pinguine

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Wow!

Da ließ er ja wirklich etwas springen.
Ich konnte mich nicht erinnern jemals in einem so exquisiten Restaurant gewesen zu sein. Es gab vergoldete Kronleuchter, Live-Klaviermusik und Kellner, die aussahen wie Pinguine.

„Fancy", rutschte es mir über die Lippen.

Marius lächelte.
„Naja, der besten Mitarbeiterin muss man ja auch etwas bieten", sagte er lässig.

Ich verdrehte die Augen.

„Ich meine das ernst", erwiderte er daraufhin. „Sie machen einen wirklich guten Job. Sie haben wirklich alle Erwartungen übertroffen. Ich muss gestehen, dass ich sehr skeptisch war, weil sie keinerlei Ausbildung vorweisen, aber aufgrund der guten Arbeitszeugnisse wollte Herr Voigt sie unbedingt haben. Es hat Ewigkeiten gedauert bis ich zugestimmt habe. Im Nachhinein war es die beste Entscheidung. Sie sind verdammt gut. Ich hoffe, dass Ihnen das auch bewusst ist."

Ich konnte mit Komplimenten nicht gut umgehen und errötete.
„Danke", murmelte ich.

„Eigentlich könnten Sie viel mehr erreichen. Warum haben Sie nie studiert?"

Wegen einem einzigen Abend, an dem ich eigentlich nur Spaß haben wollte. Tatsächlich fing damit jedoch der Ernst des Lebens erst richtig an.

„Das habe ich", ließ ich ihn wissen. „Aber dann kam Greta und ich konnte mein Studium nicht beenden."
Er sah mich mitleidig an.

"Wirklich?", fragter er überrascht. "Welches Semester?"

"5."

"Aber dann hat doch nur ein Semester gefehlt? Das haben Sie nicht mehr hinbekommen?"

"Ich wollte. Am Anfang dachte ich auch, dass ich das schaffe, aber es ging nicht. Ich musste irgendwie Geld verdienen. Da war einfach keine Zeit mehr Vorlesungen. Ich war halt wirklich ganz alleine und ohne Unterstützung von irgendjemanden."

„Was ist denn mit dem Vater?"

Kein gutes Thema. Gar nicht gut.

„Den gibt es praktisch nicht", antwortete ich knapp.

„Das muss wirklich hart gewesen sein."

„Ja, meine Eltern konnten mich auch nicht unterstützen und so stand ich ganz allein mit dem Kind da und da war eben keine Zeit mehr für ein Studium. Es macht mich heute noch traurig, weil ich so nah dran war."

„Das ist bitter", murmelte er. "Aber könnten Sie nicht theorhetisch heute auch noch die Prüfungsleistungen nachholen?"

"Theorhtisch schon, aber praktisch gesehen, funktioniert das nicht. Ein Vollzeitjob, ein Kind und ein Studium. Das geht nicht. Es wäre Greta, die am meisten darunter leider würde, weil ich keine Zeit mehr für sie hätte."

Ich könnte ihm eine Mitschuld geben, doch auf der anderen Seite war er lediglich für meine Schwangerschaft mitverantwortlich jedoch nicht für meine Situation. Ich hatte ihm ja gar nicht die Chance gegeben mich unterstützen zu können. Manchmal fragte ich mich, ob ich ihn mit ein bisschen Aufwand damals hätte ausfindig machen können. Nachdem er mir erzählt hatte, dass er der Bräutigam war, hatte ich ihn so sehr gehasst, sodass ich nicht einmal versucht hatte ihn zu finden. Vielleicht wäre alles anders gekommen. Hätte er mich vielleicht unterstützt? Oder hätte er mich abserviert, weil er mit seiner Frau glücklich werden wollte?

„Dafür habe ich aber einen Sonnenschein zu Hause, der alles wieder wettmacht. Alles hat seine Vor- und Nachteile."

Er nickte nachdenklich.

„Ja, Greta ist wirklich ein wundervolles Kind. Da können Sie mächtig stolz sein."

Der Kellner kam und brachte uns unsere Gerichte. Ich hatte mich für Nudeln mit Trüffelsoße entschieden, während Marius ein Steak bestellt hatte.

Wie wir hier so saßen, fragte ich mich, was wohl die anderen Gäste über uns dachten. Sie hielten uns bestimmt nicht für den Chef und persönliche Assistentin, sondern wahrscheinlich eher für Mann und Frau. Was wohl seine eigene Frau davon hielt? Sie konnte es doch bestimmt nicht für gutheißen, dass ihr Mann später von der Arbeit nach Hause kam, weil er mit einer anderen Frau in einem superteuren Restaurant saß.

„Ist es für Ihre Frau eigentlich in Ordnung, dass wir hier sind?", erkundigte ich mich kleinlaut.

Er lachte.

„Da sind Sie aber nicht gut informiert, liebe Frau Schneider. Wir befinden uns gerade im Trennungsjahr."
„Sie lassen sich scheiden?", fragte ich überrascht.

Obwohl es eigentlich kein Wunder war, wenn er sie schon vor der Hochzeit betrogen hatte.

„Ja, im verflixten 7.Jahr", sagte er lachend und schien seiner Ehe nicht sonderlich hinterher zu trauern.

Es würde eine Hürde weniger sein, wenn er nicht mehr verheiratet war. Keine Ehefrau wäre wohl glücklich, wenn sie herausfindet, dass ihr Mann ein Kind von einer anderen hatte. Und wenn sie auch noch rechnen könnte, hätte sie gemerkt, dass diese Kind während ihrer Beziehung entstanden war. Es war also eine gute Nachricht zu wissen, dass er nicht mehr mit seiner Frau zusammen war.

„Das muss doch hart sein, oder?", heuchelte ich Mitgefühl.

Er zuckte mit den Schultern.

„Es lief schon länger nicht mehr gut und letztendlich ist es einfach an verschiedenen Lebensvorstellungen gescheitert. Sie wollte unbedingt Kinder und so ein richtiges Vorstadtspießerleben. Aber das ist nichts meins. Ich wollte weder Kinder noch Eigenheim. Das lässt sich einfach nicht zusammenbringen."

Gretas Chancen auf einen fürsorglichen Vater sah ich plötzlich zunehmend schwinden.

Wir waren mittlerweile auf eine sehr private Ebene abgerutscht, sodass es mir lächerlich vorkam, dass wir uns immer noch siezten.

„Sie wollen also liebe die ganze Welt bereisen und abends keine Party auslassen?", fragte ich.

Er schmunzelte.

„Reisen ja, aber zum Nächte durchfeiern fühle ich mich mittlerweile auch schon zu alt."

Manchmal vergaß ich, dass er sieben Jahre älter war als ich.

Irgendwie fühlte ich mich in seiner Anwesenheit erstaunlich wohl. Ich mochte es mich mit ihm zu unterhalten. Er war charmant und konnte auch ganz witzig sein.

Nachdem wir die Themen Scheidung und das Dasein als Alleinerziehende abgearbeitet hatten, gingen wir zu leichteren Themen über. Er erzählte mir von Reisen, die er gemacht hatte, während ich von Dummheiten erzählte, die Greta angestellt hatte. Unser Umgang wurde immer lockerer, was vielleicht auch an dem Champagner lag. Wir lachten viel und ich war unglaublich glücklich, dass ich meinen Geburtstag nicht alleine auf der Couch hatte verbringen müssen. Für einen Moment konnte ich meine Sorgen abschalten. Erst morgen früh würde ich mich wieder darum kümmern, wo meine Tochter und ich in den nächsten Wochen schlafen würden.

Als wir uns voneinander verabschiedeten, kam dieser Moment auf, an dem wir uns überraschend intensiv in die Augen sahen. Das war der Moment, in der man sich nach einem gut laufenden Date küsste. 

Ich konnte sehen, wie Marius überlegte dies zu tun. Aber wir hatten kein Date gehabt. Oder? Das war doch kein Date gewesen! Ich dachte, er hatte mich einfach nur aus Mitleid und schlechtem Gewissen eingeladen. Aber nicht, weil er ein Date mit mir haben wollte. 

Er sah mich an und legte seinen Kopf minimal schief. 

Oh nein!

Das sollten wir nicht tun. 

"Auf Wiedersehen!", sagte ich rasch und streckte ihm ruckartig meine Hand entgegen. 

Verblüfft starrte er meine Hand an. Dann sah er mir wieder ins Gesicht und lächelte ein wenig enttäuscht. 

"Auf Wiedersehen", sagte auch er und schüttelte meine Hand. AWKWARD! Plötzlich herrschte eine sehr verkrampfte Stimmung. "Haben Sie eine gute Nacht!"

"Danke Sie auch! Und auch Danke für diesen Abend!"

My Little SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt