Teil 12

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Ich werfe dem Vierbeiner einen Blick zu und verdrehe grinsend die Augen - Männer. Herr Schulte wackelt mit den Ohren, als wollte er sagen: Mir gefällt auf jeden Fall, was ich sehe.

Ich beschleunige meine Schritte, sodass ich neben Roman herlaufe. Die warme Septembersonne scheint uns auf den Rücken.

"Du kommst also aus Bremen?", fängt er das Gespräch an.

Ich nicke. "Da bin ich aufgewachsen. Aber ich bin froh, dass ich inzwischen in Dortmund wohne. Es ist toll, mal was anderes zu sehen."

Er lacht leise. "Das kann ich verstehen. Ich habe meine Heimat auch vor einigen Jahren verlassen. Und obwohl es dort immer wunderschön ist, ist es doch auch ein tolles Gefühl, auf eigenen Beinen zu stehen und andere Städte und Menschen kennenzulernen."

"Wo kommst du denn her?", frage ich neugierig.

"Aus der Schweiz. Ich bin in einer recht kleinen Stadt in der Nähe von Bern aufgewachsen."

"Ach, jetzt verstehe ich. Ich habe schon die ganze Zeit gerätselt, was das für ein Akzent ist." Ich lache. "Wow, die Schweiz wollte ich immer schon sehen. Es muss wunderschön sein dort."

"Auf jeden Fall. Manchmal fehlt es mir auch. Aber zurückgehen würde ich nicht."

"Wieso das?"

Er zuckt die Schultern. "Ich habe jetzt hier mein Leben, in Deutschland." Dann wirft er mir einen Blick zu. "Wie ist das bei dir? Würdest du gerne zurück nach Bremen gehen?"

Wir bleiben einen Moment stehen, weil Herr Schulte interessiert an verschiedenen Büschen schnuppert.

"Nein", sage ich dann leise. "Ich habe in Bremen einiges hinter mir gelassen und meine Mutter ist nach meinem Auszug raus aufs Land gezogen. Deshalb zieht mich eigentlich nichts zurück. Außerdem habe ich mich hier in Dortmund ganz gut eingelebt. Komisch wird es nur, wenn meine Mitbewohnerin in einem halben Jahr ins Ausland geht."

"Ach, du wohnst in einer WG? Wie ist das so? Das wollte ich ja irgendwie immer schon mal wissen, aber ich habe die Erfahrung nie gemacht."

"Ich schätze, ob man das WG-Leben mag, ist total typabhängig. Eigentlich dachte ich immer, das ist nichts für mich. Aber als ich zum Casting da war und Hannah kennengelernt habe, hat es bei uns beiden sozusagen gefunkt - sie ist inzwischen meine beste Freundin. Deshalb ist es leichter für uns, über die kleinen Eigenarten hinwegzusehen, die der andere so hat und die einen bei einem normalen Mitbewohner wahrscheinlich stören würden. Wir sind auch nur zu zweit. Ich glaube, bei mehr Leuten wäre mir einfach zu viel los. Ich bin froh, wenn ich zwischendurch auch mal meine Ruhe habe."

Roman nickt nachdenklich. "Das kann ich sehr gut verstehen." Wir kommen an einer Gruppe Jugendlicher vorbei. Die Mädchen, die auf der Bank sitzen, stecken bei Romans Anblick die Köpfe zusammen und fangen an zu tuscheln. Eine holt sogar ein Handy raus.

"Ähm", sage ich leise zu Roman, während wir weitergehen. "Ich glaube, das eine Mädchen da hat dich gerade fotografiert. Kein Wunder, dass du so ein übersteigertes Selbstvertrauen hast, wenn das die normale Reaktion von anderen Menschen auf dich ist."

Er weicht meinem Blick aus und druckst ein wenig herum. "Ach, bestimmt hat sie nur den See fotografiert."

Ich ziehe ungläubig die Augenbrauen hoch, sage aber nichts mehr dazu. Ist er sowas wirklich gewohnt? Wie furchtbar.

Eine Weile laufen wir schweigend weiter. Ich genieße diesen Spaziergang total: Das Vogelgezwitscher, das leise Geräusch des Wassers und unsere Schritte auf dem Asphalt, dazu das tapsige Geräusch von Herrn Schultes Pfoten. Es ist ein richtig schöner Spätsommertag. Ein bisschen wünschte ich, ich hätte meine Kamera dabei, um die Stimmung einzufangen.

"Hier wohnen auch nur die Reichen und Schönen", sage ich kurz darauf grinsend, als wir an einer Häuserreihe am Ufer vorbeikommen. Von unserem Weg aus kann man nicht viel von den Gebäuden erkennen, aber ich weiß, dass die Eigentumswohnungen am Phönixsee ein Vermögen kosten und dass dort nur die Elite von Dortmund residiert.

Herr Schulte scheint meinem Blick zu folgen und will schon freudig auf die teuren Häuser zu rennen. Ich halte ihn lachend davon ab.

"Der Ausblick ist auf jeden Fall nett", gibt Roman zurück.

Ich lache. "Garantiert."

Wir unterhalten uns über mein Studium, über geplante und vergangene Urlaube und meine Liebe zur Fotografie. Roman schlägt vor, dass ich ja mal ein Fotoshooting mit Herrn Schulte machen könnte, was mich total begeistert. Ein besseres Modell könnte man sich ja kaum wünschen.

Währenddessen sind wir den "Berg" hochgestiegen, von dessen Spitze aus man eine tolle Aussicht über Dortmund hat. Sogar das Stadion erkennt man von hier.

Roman und ich setzen uns auf den Betonboden, Herrn Schulte lassen wir von der Leine. Außer uns ist niemand hier.

"Wow, wie klein alles von hier oben aussieht", sage ich bewundernd.

"Fast ein bisschen, wie Fliegen", grinst Roman und spielt auf meine verrückten Fragen an.

"Pass auf, dass dir hier nicht gleich eine fette Spinne über den Weg läuft", versetze ich, was ihn zum Lachen bringt. Das Geräusch geht mir durch und durch. Ich wusste nicht, dass man schon so viele Dinge nur aufgrund einer Stimme fühlen kann.

So nah, wie wir beieinandersitzen, habe ich endlich mal die Gelegenheit, Romans Tattoos näher zu betrachten. Neugierig schaue ich die Motive an und nehme sogar seinen Arm in die Hand, um die kleinen Bilder aus allen Blickwinkeln zu sehen. Nach und nach erklärt er mir, wann er sich die Tattoos hat stechen lassen und bei einigen auch, welche Bedeutung sie für ihn haben. Bei denen, die Roman nicht erklärt, hake ich nicht weiter nach. Mir ist klar, dass Tattoos etwas total Persönliches sind und ihre Bedeutung nicht jeden etwas angeht. Trotzdem finde ich es spannend, ihn auf diese Weise näher kennenzulernen. Dabei erfahre ich mehr über seine Familie in der Schweiz und dass er einen Bruder hat.

Wir unterhalten uns über Helden aus der Kindheit, Lieblingsserien und wie wir damals in der Schule klargekommen sind. Wir verstehen uns ganz schön gut und lachen viel.

Irgendwann geht die Sonne unter und wir erheben uns wieder. Mein Hintern ist schon völlig plattgesessen. Herr Schulte rennt uns dauernd vor die Füße, als wir die unzähligen Treppen runtersteigen, die uns zuvor auf den Hügel gebracht haben.

"Ich würde dich ja noch zum Bahnhof bringen, aber ich glaube, Herr Schulte dreht langsam durch, wenn er nicht gleich etwas zu essen bekommt", sagt Roman entschuldigend, als wir wieder dort angekommen sind, wo wir uns einige Stunden zuvor getroffen haben.

"Alles gut, die paar Meter kriege ich auch alleine hin."

.Wir stehen uns gegenüber, es dämmert schon. In regelmäßigen Abständen beleuchten Laternen den Weg um den See. Es sieht einfach total idyllisch aus.

Roman greift nach meiner Hand und hält sie einige Sekunden lang fest. Dann zieht er mich an sich. Ich lege die Arme um seinen Nacken und vergrabe mein Gesicht an seiner Brust - er überragt mich um einen Kopf. Sein Duft nach Sommer, Waschmittel und... Mann steigt mir in die Nase.

Ich achte darauf, dass die Umarmung nicht allzulange dauert, denn auch wenn mir Roman jetzt nicht mehr völlig fremd ist, kann ich das Gefühl, von ihm festgehalten zu werden, nicht lange aushalten.

Trotzdem macht sich bei seiner Berührung auch ein Gefühl in meinem Bauch bemerkbar, das mit Angst nichts zu tun hat. Es ist eher ein aufgeregtes Kribbeln.

"Es war richtig schön", sagt Roman leise, als ich mich etwas von ihm gelöst habe.

"Ja", stimme ich ihm zu. "War es wirklich."

"Komm gut nach Hause, Tessa."

"Ihr auch", lächele ich. Dann drehe ich mich um und mache mich auf den Heimweg. 

Blind Date (Roman Bürki FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt