Teil 18 (Roman)

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Ich prügele seit einer Ewigkeit auf den Boxsack ein, als Jule den Raum betritt.

"Hey, Mann. Was ist los?", fragt er, während mein bester Kumpel sich in mein Sichtfeld schiebt.

Ich schnaufe nur und schlage weiter. Jule schaut mich lange an, dann runzelt er bedauernd die Stirn.

"Ist okay, wenn du nicht darüber reden willst. Ich will nur, dass du weißt, dass ich da bin, wenn du so weit bist."

Ich halte den Sack an, schaffe es aber trotzdem nicht, meinem Freund in die Augen zu schauen. Ich schäme mich für die Gefühle, die sich in meinem Gesicht wiederspiegeln, ohne dass ich es ihnen erlaubt habe.

"Was hältst du von einem Zock-Abend morgen?", schlägt er vor.

"Klingt gut", sage ich. Meine Stimme ist rau, weil ich sei seit heute Morgen nicht benutzt habe - außer, um meiner Wut im leeren Trainingsraum freien Lauf zu lassen.

Der Doc hat mich fürs Training wieder freigegeben, ich soll aber heute nur meine Muskulatur trainieren, während die anderen heute auf dem Platz sind.

Das kam mir ziemlich gelegen, denn ich habe absolut keine Lust, mit irgendwem zu reden. Seit zwei Stunden verausgabe ich mich deshalb an den Geräten und auf der Matte. Wenn ich trainiere, kann ich meistens alles andere ausblenden. Vor allem mit der richtigen Musik. Heute werde ich dadurch aber nur noch aggressiver.

"Okay, dann bin ich um acht bei dir", sagt Jule, bevor er geht. Ich nicke ihm zu, dann trinke ich einen langen Schluck aus meiner Wasserflasche.

Ich bin selbst überrascht, dass mich die Sache mit Tessa so mitnimmt. Ja, ich mag sie, klar. Aber dass mich ihre Zurückweisung und die Aussicht, sie vielleicht aufgrund meiner Lebensumstände verloren zu haben, so fertig machen? Das hätte ich echt nicht gedacht.

Doch spätestens seit ihrer Panikattacke gestern auf meinem Sofa war es für mich zu spät.

Ach, wem will ich denn etwas vormachen - Tessa hatte mich schon um den Finger gewickelt, als sie bei unserem ersten Date zuerst Herrn Schulte, und dann erst mich begrüßt hat.

Aber das gestern... ich wollte nichts mehr, als ihr irgendwie helfen zu können. So gerne hätte ich sie einfach in den Arm genommen und ihr immer und immer wieder gesagt, dass alles gut wird.

Wenn ich daran denke, dass sie es nicht erträgt, körperlich in meiner Nähe zu sein, möchte ich gleich wieder auf den Boxsack einprügeln. Denn irgendwer ist daran schuld, dass sie so fühlt. Irgendjemand muss ihr etwas angetan haben - und dieser Gedanke macht mich rasend vor Wut. Und hilflos.

Und jetzt habe ich sie auch noch vergrault. Ich mache ihr keinen Vorwurf - schließlich gehört einiges dazu, in der Öffentlichkeit zu stehen. Sie sollte selbst entscheiden können, ob sie das möchte - ganz unabhängig von mir.

Trotzdem frisst der Gedanke, sie vielleicht nie wieder zu sehen, sich wie Säure in mein Gehirn.

Ich schaue hoffnungsvoll auf mein Handy - vielleicht brauchte sie ja nur ein bisschen Zeit zum Nachdenken und hat mir inzwischen geschrieben? Doch da ist nichts.

Enttäuscht packe ich das Gerät in meine Sporttasche und suche meine Sachen zusammen. Meine Arme und Beine sind total müde. Ich werde morgen auf jeden Fall Muskelkater haben.

Am Dienstagabend stehen Jule und ich gemeinsam in der Küche und bereiten uns einen Hähnchensalat zu. Mein bester Freund kann zwar nicht kochen, aber zum Gemüse schneiden reicht es gerade noch. Seit er angekommen ist, versucht er, mich mit lustigen Geschichten aus dem Training aufzumuntern. Ich rechne es ihm hoch an, dass er nicht nochmal gefragt hat, warum ich so schweigsam bin. Meine Laune hat sich seit gestern eher noch verschlechtert.

Mit unserem Essen pflanzen wir uns aufs Sofa und ziehen uns eine Folge von Das Haus des Geldes rein. Wir haben die Serie vor ein paar Wochen zusammen angefangen und schauen seitdem immer weiter, wenn sich die Gelegenheit ergibt.

Als Jule etwas später abräumt und die Überreste in den Mülleimer wirft, zieht er gespielt geschockt die Luft ein.

"Ist das etwa ein Pizzakarton?"

"Ja, Mama", rufe ich augenverdrehend zurück.

"Hast du ein Glück, dass ich keine Petze bin", sagt er, als er zurück ins Wohnzimmer kommt. "Du hast freiwillig eine Pizza gegessen? Dann muss die Lage ziemlich ernst sein."

Ich zucke die Achseln.

Jule dreht sich zu mir und mustert mich nachdenklich. Ich seufze und erwidere seinen Blick. Mir ist klar, was jetzt kommt.

"Also... Marco meinte heute, dass du Sonntagabend Besuch hattest?"

"Jap", erwidere ich.

"War das Tessa?"

"Mhm."

"Habt ihr euch gestritten?"

Ich schüttele den Kopf.

"War sie doch nur ein Fan und hinter dir her?"

Ich verziehe das Gesicht. "Nein. Tessa hat keine Ahnung von Fußball."

"Komm schon. Was ist passiert?"

Ich brauche eine halbe Minute, um die richtigen Worte zu finden und selbst dann kommen sie nur stockend heraus. "Ich habe ihr gesagt, was ich mache."

Jule sieht verwirrt aus. "Und?"

"Ich wollte ihr die Wahl lassen, ob sie damit klar kommt."

Er runzelt die Stirn. "Und sie hat Nein gesagt?"

Ich schüttele den Kopf. "Nicht direkt, aber es war schon ziemlich eindeutig, dass sie das völlig überfordert. Und seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört."

"Warte doch erstmal ab, vielleicht meldet sie sich ja noch."

Ich starre auf meine Hände und zucke wieder die Achseln. "Ja, vielleicht."

Jule schweigt noch einen Moment, dann ist unser Männergespräch vorbei. Genug Gefühlsduselei für einen Abend. "Los, ich besiege dich bei Fifa."

"Niemals", sage ich und lasse mich die nächsten Stunden von unserem Duell ablenken. 

Blind Date (Roman Bürki FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt