Dream oder Kapitel 1:

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Pov. Jungkook:

Blinzelnd öffnete ich meine braunen Augen, als mich ein warmer Sonnenstrahl direkt auf der Nase kitzelte. Verwirrt sah ich mich um und versuchte meine unbekannte Umgebung genausten zu analysieren. Wo war ich hier bloss gelandet?
Anscheinend lag ich in einem grossen Park, auf einer grünen, kurz geschnittenen Wiese, die von kleinen, verschiedenen Blümchen übersät war, welche einen angenehm süsslichen Duft verströmten. Hinter mir stand ein dicht gewachsener Laubbaum mit langen dicken Ästen, der einen dunkeln Schatten warf. Es sah wunderschön verspielt aus.
Neugierig folgte mein Blick schliesslich einer pummeligen Fliege, welche gemächlich auf meinem ausgestreckten Bein landete und dort herumkrabbelte. Eine Zeit lang beobachtete ich sie interessiert, bis ich genervt mein Bein bewegte, damit sie wieder wegflog, denn ihre feinen Beinchen auf meiner blassen Haut juckten echt.

Warte, da stimmte etwas ganz und gar nicht!

Es kitzelte? So richtig doll?

Nein...

Das konnte nicht sein...

Das durfte nicht wahr sein!

Bitte nicht...

All das hier musste bloss ein schrecklicher Traum sein, bitte, bitte sag, dass dies nur eine lebhafte Vorstellung meinerseits war! Zögerlich hob ich meine zitternde Hand und pikste mir sanft in die Wange. Ich erschrak und blinzelte ein paarmal irritiert. Weshalb konnte ich etwas spüren? Wieso nahm ich all diese reizenden Düfte wahr? Ich überlegte fieberhaft. Da hörte ich erneut seine schneidende Stimme in meinen Ohren und wieder erklangen die harschen Worte meines ehemaligen Herrn und Meisters:

„Jeongguk geh! Und komm nie wieder!"

Ruckartig setzte ich mich auf, als diese lebensverändernde Entscheidung zurückkam und mit ihr eine böse Vorahnung. Voller Furcht kniff ich beide Augen fest zusammen, mit der stillen Hoffnung, dass es nicht geschehen würde. Ängstlich fasste ich mir an den Rücken und erstarrte.

Da war nichts mehr.

Sie waren weg...

Sie fehlten, er hatte sie mir genommen! Geschockt öffnete ich meine Augen wieder und sah betroffen auf meine Hände. Blut... An meinen Händen lief rotes, menschliches Blut herunter... Fasziniert schaute ich dabei zu, wie es langsam über meine schmalen Handgelenke lief, bis die rote Flüssigkeit bei meinem Oberteil ankam, es verfärbte und dort schliesslich trocknete. Im selben Moment schlugen meine durchmischten Emotionen über mir ein, wie ein schwerer Stein auf einer filigranen Glasplatte, und eine bedrückende Frage schoss mir pfeilartig in den Sinn.

Was sollte ich jetzt tun?

Verzweiflung überrollte mich, denn ohne sie war ich wehrlos, schwach und unbeschützt... Wie ein Puzzle, bei dem das wichtigste Teilchen fehlte. Mein Rücken fühlte sich so schrecklich leer und verlassen an. So unvollständig und blossgestellt...

Es tat weh.

Es schmerzte so sehr, dass ich glaubte nicht mehr atmen zu können. Frustriert schlug ich mit der geballten Faust auf den von Blümchen geschmückten Boden.

Immer und immer wieder.

Solange, bis mich die ganze Kraft verliess und ich wimmernd in mich zusammensackte.
Bedrückt merkte ich, wie sich das Wasser in meinen Augen ansammelte und sich die ersten salzigen Tränen ihren eigenen Weg über meine Wangen hinunter bannten. Ein gequältes Schluchzen drang aus meiner Kehle.

Ich konnte und wollte es nicht fassen, dass sie einfach so weg sein sollten... Für immer... Beabsichtigte er etwa wirklich, dass ich hier unten starb? War dies mein bitteres Ende, war meine Geschichte also schon fertig geschrieben?
Aber ich konnte doch nicht einfach dahinsterben, das durfte nicht so leichthin passieren! Doch auch wenn... Hier unten hatte ich sowieso keine Zukunft. Es wirkte alles so sinnlos und falsch.
Das einzig Wahre, das ich mir sehnlichst wünschte, war ein kurzer Pfad, der mich zurück zu meinem besten Freund führte... Zu meinem Seelenverwandten. Meiner besseren Hälfte. Wie gerne würde ich ihn jetzt umarmen, mich über seinen beruhigenden Atem und wärmende Nähe freuen. Ich brauchte dringend die bedingungslose Liebe, die von ihm ausging, welche ich immer geniessen dufte und mich wie ein undurchdringlicher Schutzschild vor allem Bösen beschützt hatte. Er war mein Ein und Alles. Ziemlich sicher würde er, wenn er hier bei mir wäre, sagen, dass alles sich alles wieder zum Rechten wenden würde... Aber wie konnte es jemals wieder gut werden, wenn er nicht bei mir war, wenn ich ihn vielleicht nie mehr wieder sah? Es war so unfair, dass wir die letzte Möglichkeit nicht bekommen hatten uns voneinander zu verabschieden. Nicht mal dies wurde uns gegönnt. Unser Herr hatte uns mit purer Absicht schmerzhaft auseinandergerissen und rücksichtslos getrennt.

Wie konnte ich jemals wieder ein glückliches, echtes Lachen im Gesicht tragen, wenn ich nicht mal die sanfte Stimme meines Seelenverwandten hören konnte? Und wie sollte ich mich jemals wieder vollständig fühlen, wenn sie fehlten und nicht wieder kommen würden? All diese unbeantworteten Fragen schossen mir durch den Kopf, bis ich glaubte, er platzte gleich.

Überfordert von Trauer, Enttäuschung und Schmerz, welche auf mich einhämmerten, zog ich wie ein schmollendes Kleinkind meine Beine an den Oberkörper und begann bitterlich zu weinen. Eine Träne nach der anderen kullerte meine Wangen hinunter und ein beklemmender Druck legte sich auf meine Brust. Weshalb musste mir alles so plötzlich weggenommen werden... Und das Schlimmste daran war, ich hatte gar nichts Falsches getan, weil den entscheidenden Grund hatte mein kaltherziger Ex-Meister auch nicht erwähnt. Er hatte mich ohne mit der Wimper zu zucken von sich gestossen und verbannt, im guten Wissen, dass mein bester Freund und ich uns zum Leben brauchten. Wir waren wie die Luft zum Atmen für einander. Wie ich ohne ihn und seine ehrliche Zuneigung auskommen sollte, wollte ich mir nicht einmal ausmalen.

Mein schnell schlagendes Herz war dennoch voller naiver Hoffnung, dass es wenigstens ihm gut ging und er nicht dieselben stechenden Schmerzen durchlitt... Ich wünschte es mir so sehr.

Der harte Fakt, dass ich nicht nur meinen Seelenverwandten und Schutz, die wichtigsten beiden Dinge in meinem gesamten Leben für immer verloren hatte, traf mich heftiger als ein gezielter Schlag mit einer eisernen Faust in den Magen, weshalb ich ein lautes Keuchen ausstiess. Ein weiteres Schluchzen durchfuhr mich und brachte meinen geschwächten Körper erneut zum Beben. Verzweifelt vergrub ich mein von Tränen nasses Gesicht in den zitternden, kalten Händen. All das Leid und die angestauten Emotionen liess ich ohne Zurückhaltung hinausbrechen, ich musste sie einfach herauslassen, sonst würden sie mich auffressen.

Ich wusste nicht, wie lange ich in dieser verrenkten Position dasass. Die Zeit war mir schlichtweg egal, alles erschien bedeutungslos und unwichtig, denn ich hatte alles verloren, das ich liebte.

Ich weinte so lange, bis keine Tränen mehr kamen und meine Augen wie Feuer brannten. Schniefend wischte ich über die getrockneten Tränenspuren. Die sonst so weiche Haut fühlte sich wegen des Salzes seltsam klebrig an.
Es war ungewohnt so viele neue Dinge zu spüren, die ich zuvor gar nicht gekannt hatte und ich wünschte mir, dass ich diese Erfahrung nicht hätte durchstehen müssen.
Erschöpft schloss ich die geröteten Augen und legte meinen von Gedanken vollgestopften Kopf in den Nacken. Meine stockende Atmung normalisierte sich allmählich und ich merkte, wie mein Herzschlag zurück in sein gewöhnliches Tempo verfiel. Langsam wich die anhaltende Anspannung aus meinem verkrampften Körper und ich beruhigte mich Stück für Stück wieder.

Irgendwann hörte ich, wie ganz in der Nähe, vielleicht sogar in dem breiten Baum hinter, mir ein Vogel leise pfiff. Gebannt lauschte ich dem ungewohnten Gesang, bis es wieder still um mich herum war. Diese fast andauernde Geräuschlosigkeit war unpassend, denn schliesslich befand ich mich immer noch in demselben Park, auf dessen weicher Wiese ich gelandet war.
Da wo ich herkam, waren solch schöne Orte immer von irgendwelchen Wesen überfüllt gewesen. Jedoch dachte ich nicht lange darüber nach, sondern nahm es so hin, wie es nun mal wahr, denn es kam mir ganz gelegen, weil so war ich alleine und hatte niemand in der nahen Umgebung, der mir fragende Blicke zuwerfen konnte. 

You are too young to let the world break you.
~Kim Taehyung

Wings -BTSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt