Joshuas PoV
Ich bin taub.
Hörgeschädigt.
Gehörlos.
Nennt es, wie ihr wollt.
Oft werde ich gefragt, wie es mir geht, aber die meisten interessieren sich überhaupt nicht dafür.
Sie fragen einfach aus reiner Höflichkeit, wie zum Beispiel bei Beerdigungen.
Jeder entschuldigt sich dafür, obwohl sie doch gar nichts dafür können, dass jemand gestorben ist. Was bringt uns also diese Entschuldigung?Ganz genau, nämlich gar nichts.
Ich war nicht immer taub, aber durch einen Autounfall änderte sich alles.
Meinen Eltern, sowie meinem Bruder und mir war zum Glück nichts schlimmes passiert, sodass wir gleich vor Ort versorgt werden konnten und anschließend nach Hause durften.Kurz darauf passierte es.
Ich fing an, zeitweise meine Eltern nicht mehr zu hören, wenn sie mich riefen und ich verpasste auch immer wieder wichtige Nachrichten, weil ich nicht mitbekam, wenn mein Handy klingelte.
Letztendlich brachte meine Mum mich ins Krankenhaus, als ich fast von einem herannahenden Auto überfahren wurde, weil ich es nicht habe kommen hören.
Nachdem wir über eine Stunde dort verbracht haben, bevor ich überhaupt dran kam, wurde ich nur sehr kurz behandelt, denn die Diagnose war eindeutig: Anakusis, oder auch einfach gesagt: Taubheit.
Mein Gehör regenerierte sich nie wieder, sodass ich bis heute gehörlos bin.
Und ich kann euch sagen, dass es echt scheiße ist, denn es gibt so viele Dinge, die ich vermisse.
Zum einen die beruhigende Stimme meiner Mum, die dunkle, aber fürsorgliche Stimme meines Dads und ich vermisse sogar den schrecklichen Gesang meines Bruders, wenn er mal wieder unter der Dusche ist, was sogar unsere Nachbarn manchmal hören können.
Ich vermisse die Musik, die mich jeden Morgen sanft weckte, ich vermisse es, früh vor der Schule Musik zu hören.
Ich vermisse das Hören meiner Schallplatten, die nun schon langsam staubig werden.
Und ich vermisse die Komplimente, die ich bekommen habe, wenn ich mitgesungen habe.Nun sitze ich hier in meinem Literaturkurs und lese Romeo und Julia und frage mich, wenn sich mal wieder jemand bei mir für Dinge entschuldigt, für die die Person gar nichts kann.
Ich fühle mich beobachtet, sodass ich von meiner Lektüre aufsehe und sehe geradewegs zu meiner Lehrerin, die mir das Zeichen gibt, dass der Unterricht vorbei ist.
Ich packe schnell mein Zeug zusammen und schmeiße alles in meinen Rucksack, bevor ich eilig zur Tür gehe.
Gerade als ich den Raum verlassen will, treten zwei Polizisten mit blauer Uniform ein.Was macht denn die Polizei hier?
Stumm schaue ich die beiden Männer an.
,,Joshua Crane?", lese ich die Lippen eines Officers.
Ich nicke und die beiden setzten ihre Kappen ab.
,,Es ist ein Unfall passiert. Das Auto deiner Eltern kollidierten frontal mit einem anderen Auto. Deine Eltern haben es leider nicht überlebt."
Ich sehe zu dem anderen, welcher mich nur traurig ansieht.
Habe ich die Lippen richtig gelesen?
Nein, das kann nicht sein. Oder?Stumm lasse ich meinen Rucksack fallen und stumme Schreie füllen den Raum, die ich niemals werde hören könne.
Ein Polizist hält mir ein Taschentuch vor die Nase, welches ich dankend annehme und meine Wangen von den Tränen trocken wische, die in Wasserfällen über mein Gesicht strömen.
,,Komm her.", bewegt er seine Lippen und nimmt meine Hand.
Auch bei ihnen rinnen Tränen über die Wangen und er führt mich langsam hinaus in Richtung ihres Polizeiautos, wo ein weitere Polizist auf uns wartet. Vergebens wische ich noch einmal mein Gesicht mit der freien Hand trocken, bevor ich mich auf einen der Rücksitze setze.
,,Es tut mir leid.", flüster ich heiser. Meine Stimme ist schwach und rau, weil ich nur sehr selten seit dem Unfall spreche.
,,Shh.", sagt der Polizist und streichelt mir beruhigend über die Hand, ,,es kommt alles in Ordnung, vielleicht nicht heute oder morgen, aber bald. Wir kümmern uns jetzt erst einmal um den Fall, aber du kannst immer zu uns kommen, wenn du reden willst. Okay?"
Ich nicke und er lässt meine Hand los, um mich zu umarmen, bevor er mir ein weiteres Taschentuch gibt.
Die restliche Autofahrt verbringe ich damit, ein ganzes Taschentuchpacket zu leeren, sodass meine Augen am Emse ganz geschwollen sind und meine Nase brennt.
Nach weiteren 20 Minuten wurde ich dann endlich zu meinen Eltern gelassen.
Ich starre auf die beiden Liegen vor mir, bevor ich langsam nach vorne trete und ein weißes Laken zurückschlage.
Dort liegt sie. Meine Mum.
Ich erkenne sie kaum wieder, denn ihr ganzes Gesicht ist blau und geschwollen und in ihrem Haar klebt Blut. Sehr viel Blut.
Der nette Polizist geht zu der anderen Liege und macht das gleiche, sodass ich meinen Vater anschauen kann. Auch er hat ein blaues und ziemlich übel zugerichtetes Gesicht.
Was ist bloß mit euch passiert?
Ich lege die Lagen wieder über ihre Gesichter und lasse mich schwach auf einen Stuhl nieder.
Die rechte Hand meiner Mum hängt von der Liege herunter. Sie ist ganz fahl, fast schon genauso weiß wie das Laken über ihr.
Ich greife danach und halte sie fest. Sie fühlt sich kalt an, so kalt und tot.
Tod. Meine Eltern sind heute gestorben.
Tränen laufen mir wieder über die Wangen und der Officer reicht mir ein neues Päckchen Taschentücher.
Dankbar nehme ich es an.
Der Tag ist definitiv der schlimmste, den ich je erlebt habe.
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The Deaf and The Rich | Deutsche Übersetzung
Teen FictionWas würdest du tun, wenn alles in deinem Leben schief geht? Nachdem ihm das Leben so richtig einen Arschtritt verpasst hat, beschließt Joshua Crane mit seinem Bruder nach London zu ziehen, um dort bei seiner Tante einen Neustart zu wagen. Zu Beginn...