Zusammen ehrlich

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Ich sage so viel,
und doch ist in meinen Worten nichts, was von Bedeutung wäre,
denn das was wirklich wichtig ist, sag ich nicht,
denn es ist da, wo niemand es findet.
Es ist in meinem Kopf und hier.
In meinem Herzen.
Und niemand wird es finden, nicht wenn ich es nicht will.

Denn vielleicht teile ich meine Geschichte mit dir,
wenn ich der Meinung bin, dass du es wert bist,
sie zu hören, denn keiner weiß,
wer ich bin und was ich denke, wenn ich alleine bin.

Ich zeig dir erst wer ich bin,
wenn ich weiß, dass ich dir vertrauen kann,
denn ich wurde schon viel zu oft enttäuscht und ich habe gelernt,
dass nicht alle es immer so erst mit mir meinen, wie sie vorgeben,
denn nicht nur sie sind gute Lügner.

Denn das was sie können kann ich schon lange,
denn ich habe hunderte von Gesichtern,
und es kommt auf die Person mir gegenüber an,
welche ich ihn zeige oder eben nicht.

Ich habe ein Ich, wenn ich bei dir bin.
Ein Ich, wenn ich bei meinen Freunden bin.
Ein Ich, wenn ich bei meiner Familie bin.
Ein Ich, wenn ich bei Fremden bin.
Ein Ich bei Menschen, bei denen ich noch nicht ganz sicher bin, was ich von ihnen halten soll.

Und dann ist da noch dieses andere Ich, dass ich bin, wenn ich alleine bin.
Das ist das Ich, dass niemand jemals zu Gesicht bekommt,
denn es ist das, was mich am verletzlichsten macht.
Wo ich bin, wie ich bin, wenn ich niemanden gefallen muss.
Wo ich niemanden begeistern muss,
wo ich niemanden unterhalten muss,
wo ich mit niemand reden muss,
denn da bin nur ich und in genau diesen Moment,
bin ich das, was ich bei allen anderen nicht bin,
denn man ist am ehrlichsten, wenn man alleine ist.

Denn manchmal wechsele ich meine Seiten, wie andere ihre Unterwäsche,
und dann hab ich wieder den Überblick verloren,
wer ich im Ganzen bin und nicht nur auf dieser einen Seite.

Denn wir alle haben eine Seite an uns, die niemand zu Gesicht bekommt,
eine Seite, die vielleicht ein bisschen kaputt, zerkratzt und zerfledert ist,
und auch wenn sie ein Teil von einem ist, zeigt man sie nicht,
und wenn doch dann nicht ganz freiwillig,
denn es ist das, was uns verletzlich und angreifbar macht.

Ich zeig dir diese Seite,
wenn ich weiß, dass du sie nicht gegen mich nutzt,
denn angegriffen und ausgenutzt wurde ich schon viel zu oft,
dass wurden wir alle,
und das ist der Grund für all diese Fassaden, Masken und verschiedenen Seiten,
die wir dem einen oder anderen Menschen zeigen oder vorenthalten.

Und dann gibt es da die Menschen,
denen wir mehr vertrauen als anderen,
aber am Ende vertrauen wir nur uns selbst am meisten,
weil man manchmal nicht ganz sicher ist, was als nächstes kommt,
und man glaubt man hätte genau gewusst,
wo es hin führt, nur um am Ende ganz woanders zu stehen.

Denn mein Ich besteht aus mehr,
als nur dieser einen Seite,
dieser einen Maske,
dieser einen Fassade,
die ich dir zeige.

Und wenn du lange genug bleibst, zuhörst und genau hinsiehst,
zeig ich dir vielleicht auch all meine anderen Seiten,
sogar die, die ich fest versiegelt, zusammengeklebt und verschlossen habe,
um sie hinter einem eisernen Vorhängeschloss und Gitterstäben zu sperren,
damit niemand sie jemals zu Gesicht bekommt,
weil ich weiß, das genau das mein Schwachpunkt ist.

Aber wenn du lange genug bleibst, zuhörst und genau hinsiehst,
zeig ich sie dir, auch wenn das Risiko besteht,
das du vielleicht doch nicht der bist, für den ich dich gehalten habe.

Aber vielleicht bist du ja auch genau wie ich,
und ich will all deine Seiten sehen,
sogar die dunklen und die,
die du fest versiegelt, zusammengeklebt und verschlossen hast,
um sie hinter einem eisernen Vorhängeschloss und Gitterstäben zu sperren,
weil ich wissen will, wer du bist, wenn du alleine bist,
und wo du bist, wie du bist, wenn du niemanden gefallen muss.
Wo du niemanden begeistern musst,
wo du niemanden unterhalten musst,
wo du mit niemand reden musst,
denn genau da bist du am ehrlichsten,
dann bist du am meisten du.

Und ich will all deine Seiten und Fassaden und Masken kennen,
denn vielleicht sind wir zwar beide gute Lügner,
aber vielleicht sind wir uns gar nicht so unähnlich,
und vielleicht bist du genau wie ich,
und vielleicht können wir zusammen noch ehrlicher sein,
ehrlicher als wenn wir alleine sind.

Und dann lassen wir gemeinsam unsere Masken und Fassaden fallen,
und machen uns gegenseitig ein bisschen verletzlich und angreifbar,
und vielleicht finden wir in den dunklen Seiten des anderen,
die, die niemand jemals zu Gesicht bekommen sollte,
uns selbst,
und vielleicht finden wir dort im Dunklen doch ein bisschen Licht für uns beide,
um zu finden, was wir in allen anderen vorher gesucht haben,
um endlich doch etwas zu sagen,
was Bedeutung hat, etwas das wirklich wichtig ist.

Und wenn Worte manchmal vielleicht doch nicht reichen, dann ist das okay,
denn dann sehe ich deine dunklen Seiten in ein bisschen mehr Licht,
und dann können wir zusammen ein bisschen mehr ehrlich und wir sein,
als wenn wir alleine sind.

Lautlose WorteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt