Uni Klinik

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Wie entscheidest du dich?

Ich habe die halbe Nacht nicht wirklich geschlafen. Ständig bin ich wach geworden und habe über alles Mögliche nachgedacht. Ich habe über mein bisher vergangenes Leben nachgedacht. Vor allem aber  über die schönsten und schlimmsten Momente. Und jetzt, liege ich hier im Bett, in 2 Stunden klingelt mein Wecker und ich habe nichts besseres zu tun, als über diesen Tumor nachzudenken. Der ist wortwörtlich die ganze Zeit in meinem Kopf. Mein Leben hatte bis jetzt schöne und schlimme Dinge mit sich gebracht, so wie in jedem Leben. Und, genauso wie das Leben, bringt auch der Tumor schöne und schreckliche Momente mit sich.

Das schlimmste und das schönste mit dir

Da ja das Beste bekanntlich zum Schluss kommt, fangen wir erst mit den unschönen Dingen im Zusammenhang mit dir, lieber Dachschaden an. Das erste was mir jetzt einfällt, was wirklich das schlimmste an der ganzen Sache ist, ist zu wissen, dass es da etwas in deinem Kopf gibt, was dort nicht hingehört. Also, im Normalfall. Aber, ich war immer schon anders. Also hätte man es auch vorhersehen können. Ne ehrlich, ganz abgesehen von den Symptomen die teilweise echt furchtbar sind, ist das schlimmste an und mit dir immer noch, dass man keinen Ausweg hat. Ich habe dich jetzt, ohne es mir ausgesucht zu haben und muss leiden. Ich habe dich, ohne dichmir ausgesucht zu haben.  Ich muss alles mit mir machen lassen. Jede Untersuchung, jedes MRT, jeder Krankenhausbesuch. Egal was es ist, ich kann nicht weglaufen. Ich kann schlecht vor meinem eigenen Kopf weglaufen. Dann sind da noch die Symptome. Und da gibt es einiges was jetzt interessant werden könnte. Ich habe seit April 2018 durchgehend Übelkeit und damit verbundene Panikattacken. Ich hatte unzählige Blutentnahmen, Untersuchungen bis hin zur Magenspiegelung. Es wurde nie etwas gefunden. Auch meine Panikattacken konnte sich niemand erklären. Weder ich, noch mein Arzt sogar die Psychologin war überfragt. Also nahm ich es einfach irgendwann hin. Auch wenn es anstrengend ist, wenn man nicht weiß warum das alles so ist, wie es ist. Seitdem habe ich so viel Ingwertee getrunken, dass ich schon aus purem Ingwer bestehe. Ich bin echt eine scharfe Ingwerknolle Leute. Iberogast, habe ich immer dabei und wenn mir auch nur ein Hauch von Übelkeit alleine in den Sinn kommt, nehme ich es. Es ist das einzige was mir Sicherheit gibt. Immer wenn ich irgendwo bin, gucke ich wie ich am besten aus der Situation flüchten kann, denn es wäre peinlich, wenn ich vor der ganzen Klasse zum Beispiel brechen müsste. Ich bin ein kleiner Profi. (Genauso wie der Tumor. Klein und professionell). Jedenfalls haben wir Monate gesucht und nichts gefunden. Heute weiß ich, dass der Tumor schon mindestens ein Jahr in meinem Kopf ist und somit die Symptome auch davon sein können. Ich habe also endlich eine Erklärung dafür gefunden. Welche einen zuerst erleichtert, weil ich somit einen Grund gefunden hatte für meine Übelkeit. Gleichzeitig ist es keine Erleichterung zu wissen, dass der Tumor drin. Und solange ich meinen Dachschaden behalte, werde ich immer die Symptome haben. Also die Übelkeit, die Panikattacken aus dem nichts, die Halsschmerzen, meine Gesichtsfeldausfälle und meine starken Kopfschmerzen. Und ich stelle mir selbst nichts anstrengenderes vor, als mit der ganzen Sache das Leben zu meistern. Wie soll ich so die Schule schaffen? Wie soll ich so irgendwann arbeiten oder eine Familie gründen? Wie soll mein Umfeld es so mit mir aushalten? Es ist anstrengend mit so jemandem zu leben. Das weiß ich. Ich halte es ja manchmal schon nicht mit mir selbst aus. Zu wissen, dass ich das jetzt habe und es vermutlich nie wieder los werde, tut weh. Es tut weh, denn ich war immer lebensfroh. Ich wollte eine Familie, ich wollte reisen, ich wollte Erfahrungen sammeln, Erinnerungen sammeln aber vor allem wollte ich eins. Ich wollte Gesund sein dabei. Ich wollte das alles erleben, während ich gesund bin. Aber, genau das wird vielleicht für immer ein Traum bleiben. Vielleicht gibt es irgendwann eine Lösung, vielleicht habe ich nochmal die Chance auf mein altes Leben und solange ich nicht weiß wie es weiter geht und nur weiß, dass es so bleibt, hoffe ich. Ich hoffe, dass alles irgendwann besser wird und ich mein altes Leben zurück bekomme. Denn ich habe mein ganzes Leben in einer Sekunde verloren. In einer einzigen Sekunde habe ich mein komplettes Leben verloren. Aber, jetzt kommen wir zu den schönen Dingen durch den Tumor. Wahrscheinlich fragen sich jetzt die meisten zu Recht, was es da schönes gibt. Ja, das kann ich euch sagen. Abgesehen von mir, denn ich bin verdammt schön.  Dadurch, dass es mir sehr oft Mega schlecht geht, weiß ich es viel mehr zu schätzen, wenn es mir dann mal gut geht. Ich weiß es zu schätzen, dadurch nutze ich die Zeit intensiver als früher. Ich bin froh, dass es mir teilweise schlecht geht, denn sobald es mir gut geht, bin ich auch gleich viel besser drauf, als eh schon. Denn auch wenn es mir schlecht geht, habe ich noch immer gute Laune weil ich mir selbst sage, dass es bald weg ist.

Auch der schlimmste Tag hat nur 24 Stunden.

Die Uni Klinik
I

ch bin jetzt in der Uni Klinik und warte darauf aufgerufen zu werden. Ich bin nervös, ja. Denn ich habe Angst, dass sie mir sagen sie werden mir nicht helfen. Und warum hat mein Bauchgefühl immer ein bisschen Recht?  Ich sitze ganz hinten im Wartezimmer, weil alle anderen Plätze besetzt sind und ich glaube ich wurde gerade aufgerufen. Ich stelle mich hin und schaue den Arzt fragwürdig an. Er fragt „Frau (...)?“ und ich ganz glücklich „JA“. Der Arzt macht auf mich im ersten Moment einen sehr netten Eindruck, allerdings aber auch irgendwie nicht so gut. Also, ich habe Angst, dass er vielleicht nicht so gut ist. Und zum ersten Mal hatte mein Bauchgefühl nicht Recht. Ich setze mich hin, es ist noch ein Medizinstudent mit im Raum. Ich erzähle meine ganze Geschichte und alleine das hat jetzt schon 15 Minuten gedauert. Der Arzt hört zu, und fängt dann an mit der Untersuchung. Es folgen wieder die gleichen Fragen „Halsschmerzen“… bla bla bla es ist immer das gleiche. Er guckt sich mit uns nochmal die Bilder an und sagt folgendes: „Es ist so, das haben Sie bestimmt oft gehört und wir können es nur bestätigen. Sie haben einen gutartigen Hirntumor, der auf den rechten Sehnerv drückt. Das ist kein Geheimnis, das ist so. (Die in der Neurochirurgie von letztens, würden daraus aber ganz gerne ein Geheimnis machen, denke ich mir) Jetzt ist das so, dadurch dass er Hormoninaktiv ist, fällt die Medikamentöse Behandlung weg. Bleibt noch die Operation. Und da tritt das größte Problem auf. Der Tumor ist ca. 1 cm groß und an einer unfassbar unpraktischen Stelle. Dort wird alles geregelt was Hormone, Blut und den Kreislauf angeht. Abgesehen von den Nerven die in direkter Umgebung liegen. Wir würden Operieren, nur noch nicht jetzt. Da er zwar Symptome verursacht, aber zu klein ist. Desto kleiner der Tumor, desto größer die Risiken bei der OP. Bei der Narkose an sich kann schon sehr viel passieren, dann wird durch die Nase operiert, da könnten wir einiges verletzen, so dass sie eventuell nichts mehr riechen oder schmecken könnten. Es müsste ein Durchgang gemacht werden, um überhaupt  an den Tumor zu kommen und da der Sehnerv schon leicht beschädigt ist, ist es sehr, sehr schwierig den nicht endgültig zu beschädigen. Schneiden wir nur einen Millimeter zu viel weg, könnten sie nach der OP noch mehr Probleme haben als vorher. Überlegen Sie sich, ob das Leben mit Tumor nicht erträglicher ist, als das Leben was Sie nach der OP erwarten könnte. Sie würden die Zeit nicht alleine durchmachen müssen. Wir würden Ihnen eine Überweisung für einen Psychologen mitgeben, denn das ist belastend. Gegen die Symptome würden sie Medikamente bekommen. Das Leben ist nicht einfach mit Tumor und es hat auch ein Risiko, aber die OP hat mehr Risiko. Wir würden dann jedes halbe Jahr eine Routine Untersuchung machen mit MRT, Blutabnahme, Neurologe und Augenarzt.“ Ich bin schockiert und muss erst mal schlucken. „Wie wäre denn jetzt erst mal das weitere Vorgehen? Ich habe schon ein halbes Jahr Schule in den Sand gesetzt. Wie stellen Sie sich das vor?“ der Arzt zeigt wenigstens Verständnis und sagt „Wir werden in drei Monaten ein weiteres MRT machen, mit speziellem Kontrastmittel und ein MRT welches länger gehen wird, damit wir bessere Aufnahmen haben. Und wir werden nochmal Endokrinologisch alles abklären lassen. In der zwischen Zeit gehen sie bitte nochmal zum Augenarzt und lassen neurologisch alles  abklären“ Ich stimme zu. Auch wenn für mich grade eine weitere Welt zusammen bricht, denn in 3 Monaten hat das neue Schuljahr angefangen, welches ich von neu starten wollte und wie soll ich mit solchen Kopfschmerzen und Konzentrationsproblemen die Schule schaffen? Wie entscheide ich mich? Leben mit Hirntumor, der mich so gesehen auf langer Sicht auch das Leben kosten könnte, oder eine Operation von der keiner weiß, wie sie enden wird?

Mein Leben mit einem Dachschaden Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt