35. Kapitel - Verändern

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Die Zeit, bis Ryan zurückkam, verbrachte ich damit, auf mein Notizbuch zu starren und mich mit Aadil zu unterhalten, auch wenn das Gespräch ein wenig einseitig verlief. 

Saki kam noch einmal zu uns und erkundigte sich nach mir. Ich fragte mich, warum sie sich um all die Menschen hier kümmerte. Sie schien die erste Person zu sein, an die sich die Menschen wandten, wenn sie ein Problem hatten. 

Vielleicht gehörte ihr die Lagerhalle.

Als Ryan kam, saß ich im Schneidersitz auf meiner Matratze und ging den Text durch, den ich in den vergangenen Stunden geschrieben hatte.

„Lange nicht gesehen", erklang seine Stimme, während er sich an das Ende meiner Matratze setzte.
„Hey", entgegnete ich und klappte das kleine Buch zu. „Wo warst du so lange?"

Bei meiner Frage entstand ein Lächeln auf seinen Lippen, bevor er seinen Rucksack zu sich zog und zwei Verpackungen herausholte. „Ich hab' uns was besorgt."

Fragend hob ich die Augenbrauen und versuchte zu erkennen, was es für Verpackungen waren.
„Das Geld hat nur für zwei gereicht, aber fürs Erste sollte das reichen." Er hielt mir eine der beiden Packungen hin.

Es waren kleine Klapphandys. Mein Blick schoss fassungslos zu Ryan.

„Woher hast du die?" Das Handy sah zwar billig aus, aber ich hielt es so in den Händen, als gäbe es in diesem Augenblick nichts Wertvolleres. 

„Aus dem Drogeriemarkt", antwortete er und beobachtete mich dabei, wie ich das kleine Gerät genauer inspizierte.

„Abgesehen vom Anrufen und Auflegen kann das Teil nicht wirklich was", erklärte er und ich nickte langsam. 

Das ist mehr, als ich zu hoffen gewagt habe.

„Wo ist Malek?", fragte Ryan und musterte mich aufmerksam.

Diese Frage hatte ich mir in den vergangenen Stunden immer wieder gestellt. Er war bereits seit mehr als einer Stunde verschwunden.

„Er wollte sich draußen mit jemandem treffen", erklärte ich, woraufhin sich verwirrte Furchen zwischen Ryans Brauen bildeten. „Das kam unerwartet", bemerkte er und ich nickte lächelnd. Da ging es uns ähnlich.

Ich nickte auf das Handy. „Darf ich es aufmachen?"

Er nickte und lachte leise. „Klar." Vorsichtig riss ich die Packung auf und zog das Klapphandy samt Bedienungsanleitung heraus. Für ein paar Sekunden starrte ich erwartungsvoll auf das Display, auch wenn ich wusste, dass sich von alleine nichts tun würde.

Ryan räusperte sich, woraufhin ich grinsend zu ihm aufsah. „Lass mich. Ich schaff das." Etwas unbeholfen faltete ich die Bedienungsanleitung auseinander und schaute auf die kleinen Bilder.

Vorsichtig klappte ich das Handy auf. Ich drückte auf eine der oberen Tasten, ehe das Display aufleuchtete und mir die Uhrzeit und das Datum entgegen sprangen. Es war fast halb eins.

„Wer bekommt die Handys?", fragte ich, während ich mir die Bedienungsanleitung durchlas. 

„Das dürft ihr gerne unter euch klären. Ich habe noch mein altes."

Ich strich Aadil sanft über den kleinen Kopf. „Wir müssen gleich los", wechselte er plötzlich das Thema und ich sah mit großen Augen von der Gebrauchsanweisung auf. „Ich habe dir ja erzählt, dass du möglicherweise zwei Jobs haben wirst. Der zweite fängt heute an." 

Sofort beschleunigte sich meine Atmung und mein Herz wurde nervös. „Wann müssen wir los?", fragte ich. Auch wenn ich bereits gestern zum ersten Mal gearbeitet hatte, jagte die Aufregung nun gleichermaßen durch meinen Körper, sodass ich kaum ruhig sitzen konnte. Vermutlich weil es hieß, dass sich erneut etwas verändern würde.

„Theoretisch jetzt, aber solange Malek nicht da ist, können wir schlecht losgehen." Ryan stand wieder auf und blickte sich suchend um. „Kann ich dich kurz alleine lassen?", fragte er, während sein Blick wieder zu mir glitt. Ich nickte und begegnete seinem Blick. „Klar."

Ryan nickte leicht und lief mit schnellen Schritten in Richtung Ausgang.

Zehn Minuten vergingen, in denen ich wieder mit Aadil alleine war und immer noch schweigend im Schneidersitz auf meiner Matratze saß. Ich wusste nichts mit mir anzufangen, also starrte ich einfach zum Ausgang und wartete darauf, dass zwei bekannte Gesichter hineintraten.

Als Ryan alleine wiederkam, spürte ich, wie sich meine Nägel in meine Handflächen bohrten. Sorgen hüpften durch meinen Kopf und hinterließen Spuren voller Fragen.

„Mach dir keine Sorgen." Ryans Hand legte sich auf meine Schulter, als er uns erreicht hatte. „Wir nehmen Aadil einfach mit und ich bringe ihn zurück, sobald ich mir sicher bin, dass ich dich dort alleine lassen kann." Bei seinen Worten sah ich überrascht auf. 

Er griff nach seinem Rucksack, ehe sich seine Augen aufmerksam auf mich richteten. Er ging vor mir in die Hocke und griff nach meiner Hand, in der das Klapphandy lag. „Und das behältst du bei dir, okay? Egal wo du bist. Dafür hab ich die Dinger schließlich besorgt." Seine Augen starrten mir erwartungsvoll entgegen, was es mir schwer machte, seinen Worten zu folgen. 

Ich räusperte mich. „Ich werde drauf aufpassen."

Ryans Mundwinkel zuckten, als würde er wissen, dass ich ihm nur halb zuhörte. „Na dann?" Er stand auf und half mir hoch. Während ich mein Notizbuch in meinen Rucksack packte, tippte Ryan etwas in mein Handy, das zumindest für heute auch wirklich meins sein würde. Als ich fertig war, hielt er es mir hin. „Jetzt hast du meine Nummer", erklärte er mir und hob Aadil vorsichtig von der Matratze. Als Ryan ihm auf die Nase tippte, fing mein kleiner Bruder an zu glucksen und ein Lächeln legte sich auf meine Lippen.

„Okay, wir können." Ich blickte zu Ryan hinauf, nachdem ich das kleine Handy in meine Hosentasche geschoben und mir meinen Rucksack über die Schulter geworfen hatte.

„Auf geht's."

***

Diesmal war der Weg kürzer. Anfangs liefen wir den breiten Weg entlang, der an der Lagerhalle endete, bis wir die kleine Stadt erreichten und durch eine Gasse liefen.

Die Sonne schien heute nicht lächeln zu wollen, denn das Wetter war grau und trüb, während wir uns dem Restaurant näherten.

„Aufgeregt?", fragte Ryan und ich blickte zu ihm. Aadil hatte seine Arme um seinen Hals geschlungen, sodass er den Kopf etwas zur Seite neigen musste, um sehen zu können, wohin er lief.

„Ja", antwortete ich und er nickte, als könnte er mich verstehen.

„Ich hol dich gegen einundzwanzig Uhr ab, okay?"

Überrascht wanderten meine Augen wieder zu ihm. Das waren beinahe acht Stunden. 

„Okay", erwiderte ich nach kurzem Schweigen und schaute wieder nach vorne.

„Gut. Ich glaube, das mit dem Zurückhalten brauche ich dir nicht zu erklären, oder?" Während er sprach, wollte ich geradeaus weiterlaufen, aber er legte eine Hand auf meine Schulter und lenkte mich in die rechte Gasse neben uns.

„Da hinten ist es." Er nickte in die Richtung eines abgelegenen Restaurants, dessen Willkommens-Schild bereits abblätterte und dessen Fassade aus Holz bestand.

Kurz bevor wir die Tür erreichten, hielt mich Ryan am Arm zurück. „Ali." Mein Blick glitt fragend zu ihm, bevor seine warme Hand meine Wange streifte und ich innehielt.

„Falls was ist", fing er an, aber ich unterbrach ihn und legte meine Hand auf seine. „Ruf ich dich an." Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen. „Wir sehen uns später." Ich wuschelte Aadil ein letztes Mal durch die weichen Haare, ehe ich zu Ryan hinaufsah. Seine Mundwinkel zuckten, ehe er nickte. „Wir sehen uns um neun." 

Die Welt von hier unten- Man darf uns nicht vergessenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt