Innere Zerissenheit

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Meine Schritte waren kaum hörbar. Nach 30 Minuten zog ich das Tempo etwas an. Die Sonne begann bereits auf zugehen und ich merkte wie meine Muskeln sich anspannten. Auf einer Parkbank nahm ich erschöpft Platz. Hier alleine im Park konnte ich wieder einen klaren Gedanken fassen. Ich hätte jederzeit diesen Ort gegen einen Bergweg getauscht, doch es war mir momentan nicht vergönnt.

Bei der Anmeldung des örtlichen Fitnessstudios, waren mir leider ein paar unschöne Erinnerungen geblieben. Die Trainerin gab mir eine ordentliche Einweisung zu der Nutzung der Geräte, jedoch konnte ich nicht ungestört weiter trainieren. Die erste Lektion die ich dabei lernte, war entweder ganz früh oder ganz spät hinzugehen.
Schmachtende Blicke, heimliches zustecken von Telefonnummern und das leise Seufzen der anwesenden Damen machte es nicht gerade leicht für mich.

„He! Wenn ihr flirten wollt, dann wo anders! In meinem Studio wird trainiert! Zurück an die Geräte, oder es heißt Liegestütze. Und meine Herrschaften das ist ein Versprechen, keine Drohung!", grinste die Trainerin teuflisch. Mit ihr wollte ich mich nicht unbedingt anlegen. Ich kam mit ihr überein, zu trainieren wenn wirklich nichts los war. Hauptsache ich hatte Ruhe.

Von der Bank stand ich wieder auf. Mir war kalt. Ich hasste es total verkrampft zu sein, nach so einem langen Lauf. Einige Dehnübungen später begab ich mich zu meiner Wohnung. Eilig machte ich mich fertig. Schließlich musste ich zur Arbeit.

Überall in der Stadt waren die Plakate von Crowstom zu sehen. Diese Band gab am Ende der Woche ein Konzert. Nicht nur bei den Studenten, sondern auch bei den Professoren war es das Gesprächsthema schlechthin. Die Musik von ihnen war sehr erfrischend. In letzter Zeit hatte sich auch ein Sänger Namens Jay einen Namen gemacht. Meine persönlichen Favoriten waren Deep Purple, Metallica, Iron Maiden oder AC/DC. Ich konnte es mir nicht nehmen lassen, einige dieser Bands in der Vergangenheit live zu sehen. Man konnte sich nicht ewig in Arbeit verlieren.




Vor den Kursen, sollte ich mich noch mit Melody treffen. Sie hatte noch einige Dokumente für mich. Freudenstrahlend kam sie mir entgegen gelaufen. In so einer guten Laune erlebte man sie selten. Vielleicht konnte sie endlich etwas Abschalten. „ Guten Morgen, Professor Zaidi! Ich habe alles dabei. Sie haben doch sicher noch kurz Zeit diese durchzugehen?", rief Melody schon von weiten. Sie drückte dabei die Unterlagen an sich. Schnellen Schrittes kam sie mir entgegen. Dieses Mädchen war wirklich ein Wechselbad der Gefühle. Die nächsten zwei Stunden verbrachten wir damit, die letzten Vorbereitungen der Kurse zu treffen.
„Melody ich möchte Ihnen die Gestaltung eines Kursthemas überlassen. Sie haben hier die Möglichkeit einen Künstler näher zu betrachten, eine Epoche oder eine Diskussion bezüglich eines Stils.", bot ich Melody an. Ungläubig schaute sie zurück. „Meinen Sie,...ähm. Herr Zaidi, wie stellen Sie sich den Ablauf vor?", fragte sie Zögerlich.

Da gibt man jemand die Möglichkeit sich frei zu Entfalten und diese Person schränkte sich selbst wieder ein. Typisch. Seufzend richtete ich mich von meinem Stuhl auf. „Ich möchte Ihnen die Möglichkeit geben, sich frei ein Thema zu wählen Melody. Haben Sie mehr Selbstvertrauen in Ihre Fähigkeiten. Sie können stolz sein, so weit gekommen zu sein.", erwiderte ich.

Egal was meine Assistentin im Kopf vorging, sie brauchte einige Vorgaben. Träge gab ich ihr den Rahmen vor. Ehrgeizig machte sich Melody dabei Notizen. Das Feuer musste sie richtig ergriffen haben. „Ich werde Sie nicht enttäuschen, Herr Professor!", kündigte Melody an und rauschte davon.
Sprachlos blieb ich zurück. Was hatte ich da nur Angerichtet? Das sollte mir erst später klar werden.







Der langersehnte Kurs am Nachmittag stand endlich an. Wie gewohnt war ich ein paar Minuten früher da, um mich besser darauf vorzubereiten. Ungeduldig sah ich auf die Uhr. Mein Blick wanderte abwechselnd zu meinen Dokumenten und zur Tür. Wo war sie? Ich sah wie Chani den Eingang zum Hörsaal betrat, aber nicht in Begleitung von Lynn. Nervös trommelte ich mit meinen Fingern, auf dem Pult. Vielleicht kam sie etwas später. Zwei Minuten gab ich ihr noch, dann musste ich mit dem Kurs anfangen.

Lynn war einfach nicht da. Ich fühlte mich gar nicht wohl dabei. Impulsiv machte ich mir Luft. Gegen das Pult gelehnt, richtete das Wort an meine Studenten:

„Einmal da, schon bist du fort.
Immer weiter, immer dort.
Dein Bildnis im Herzen und doch so verwandt.
Ich habe mich selbst darin erkannt.
Es fehlt das Wort, es fehlt die Zeit.
Nur spürbar ist deine Abwesenheit.
Hin und her treibt es mich zu dir.
Das einzige was bleibt, das sind wir."


Mit diesem kleinen spontanen Gedicht, fasste ich meine aufwallenden Gefühle zusammen. Stille herrschte bei den Studenten. Wenn ich heute die Aufmerksamkeit auf mich richten wollte, hatte ich es damit definitiv erreicht. Wie gespannt warteten die Studenten auf meine weitere Reaktion. „In dem heutigen Thema der Stunde, befassen wir uns mit der Abwesenheit. Wie kann man in einem konkreten Kunstwerk Abwesenheit spürbar machen?"

Die ersten Studenten meldeten sich dazu. In der nächsten Stunde kamen so aller Hand Meinungen zusammen. Wir besprachen die abstrakte Malerei. Dadurch das nur einige Formen angedeutet wurden, sollte vom Betrachter aus das fehlende Ergänzt werden. Ein sehr prägendes Zitat kam von Chani. Ein Bild enthält Abwesenheit, Gegenwart, Gefallen und Missfallen. Sie sprach dabei die Emotionale Ebene an, die ein Kunstwerk vermitteln konnte. Ich bat zum Abschluss die Studenten ein Kunstwerk auszuwählen. Dieses sollten sie in der kommenden Stunde vorstellen.

Chani kam am Ende der Stunde auf mich zu." Herr Zaidi, haben Sie kurz Zeit?", fragte sie mich arglos. Zustimmend nickte ich ihr zu. Wir entfernten uns von den anderen Studenten. „ Das Thema der heutigen Stunde, war sehr interessant gewählt. Könnten Sie mir einige Werke dazu empfehlen?"

Sie musste wirklich eine Schwäche für Bücher haben. Ich gab ihr einige Vorschläge. „Mir ist heute aufgefallen, dass Ihre Freundin Lynn nicht im Kurs war. Ich hoffe es ist nichts Ernstes?", ergründete ich so beiläufig wie möglich. „ Als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, bekam Lynn einen wichtigen Anruf. Ich denke, deswegen ist sie heute Ausnahmsweise nicht da.", bestätigte Chani. Mir viel ein Stein vom Herzen. Chani sah mich mit verschleiertem Blick an und wand sich von mir ab.







Es war wie immer spät am Abend. In meinem Büro hatte ich die letzten Ausarbeitungen ausgewertet. Es waren einige vielversprechende Ansätze dabei. Einige brauchten noch den Schubs in die richtige Richtung. Meine Uhr zeigte mir die Zeit an. 1.23 Uhr! Morgens!?! Wenn ich so weiter machte, entwickelte ich mich noch zum Workaholic. Ich rieb mir die Stirn. Um diese Zeit sollte das Konzert von Crowstorm vorbei sein. Einige Lieder von ihnen hatte ich mir auf YouTube angeschaut. Zwei von ihnen befanden sich seitdem auf meinem MP3 Player.

Ganz alleine ließ ich meinem heimlichen Gedanken freien Lauf. In meiner Vorstellung malte ich mir aus, wie Lynn zu diesem Konzert ging. Ein hübsches Abend Make Up, das ihre schönen Augen betonte. Dazu ein kurzes Kleid und ein klassischer Pumps, das ihre langen Beine noch besser in Szene setzte. Bei diesem Gedanken wurde mir richtig heiß. Nur war ich es nicht, der sie begleiten konnte.

Zum einen war sie meine Studentin. Zum anderen gab es sicher jemanden, der bei ihr war. Ein bitterer Geschmack von Eifersucht legte sich auf meine Zunge. Deprimiert legte ich mein Gesicht auf meine Hände ab. Ich wusste wo mein Platz war und es gab keine Möglichkeit dies zu ändern. Es wäre unverantwortlich, meiner Pflicht aus dem Weg zu gehen.

Erschrocken darüber, fuhr ich zusammen. Wohin führten nur diese Gedanken? Was zum Teufel war mit mir los? Ich konnte es nicht zulassen, dass diese Gefühle sich weiter in mir ausbreiteten. Hecktisch machte ich mich auf nachhause.

Am Eingang zu Fakultät, begegnete ich der Person die ich so herbeisehnte. Und auch der ich so sehr, aus dem Weg gehen wollte. Sie trug wie in meiner Vorstellung zwar kein kurzes Kleid, aber der Rock lies nichts an Spekulationen offen. Ich musterte Lynn. Einfach nur zauberhaft. Zu meiner Erleichterung war sie mit Chani unterwegs. Und nicht mit einer anderen Begleitung.

Die beiden schienen sich gut zu amüsieren. Ich begrüßte Chani und Lynn. Neugierig fragte ich sie, ob sie vom Konzert kamen. Verwirrt stellte mir Lynn die Gegenfrage, woher ich das wüsste. Vergnügt über ihre unschuldige Reaktion zog ich sie noch etwas auf:," Ja, ich habe das Gefühl seit Wochen von nichts anderem gehört zu haben."
Ins Wort fallend verabschiedete sich Chani von Lynn und mir. Sie war angeblich müde. Unschlüssig schaute ich zwischen den beiden hin und her. Dann war ich mit Lynn alleine. Zerstreut versuchte ich mich wieder auf ein sicheres Gesprächsthema zu fokussieren.

Etwas Smalltalk über das Konzert, überspielte meine anfängliche Unsicherheit. Da Lynn nicht in meinem Kurs war, konfrontierte ich sie damit. Offen entschuldigte sie sich bei mir. Eine dringende Angelegenheit hatte sie leider davon abgehalten. Das Thema der Stunde hätte ihr sicher gefallen und ich hätte gerne Lynns Meinung dazu gehört.

Wir witzelten noch etwas und ich machte ihr ein verstecktes Kompliment:," Schade, dass die beste Studentin heute krank gefeiert hat." Lynn wurde verlegen. Die zarte Röte legte sich auf ihre Wangen. Das war genau das, was ich bei ihr sehen wollte. Dass ich es bei allen meinen Studenten so hielt, nur damit keiner Schwänzte, wurde Lynn bei dieser Aussage komplett rot.



Resigniert stellte ich fest, ihr immer im Dunkeln über den Weg zu laufen. Gerade zu dieser späten Stunde. Bei diesem Satz holte sie das Pfefferspray aus der Tasche. Mit einem Finger strich sie über die Schleife, die immer noch das kleine Geschenk zierte. Zu diesem Zeitpunkt wünschte ich mir, dass diese Geste mir galt.

Lynn beteuerte mir gegenüber, dass ihr auf dem Unigelände nichts passieren konnte. Die einzige Person, der ihr oft über den Weg lief, war ich. Das beruhigte sie ihrer Meinung nach. Kopfschüttelnd wiedersprach ich Lynn;," Aber selbst mich, kennen Sie nicht wirklich...."

Herausfordernd schob sie ihr Kinn nach vorne:, „Das würde ich gerne ändern..." Ihr Tonfall war provozierend. Wie hypnotisiert von ihr gab ich zu, mir dasselbe zu wünschen. Meine Worte waren kaum noch ein Flüstern:, „Ich würde auch gerne mehr über Sie erfahren, Sie machen mich neugierig Lynn...Sie sind anders." Weder der Ort, noch die Zeit spielten für mich noch eine Rolle. Es existierte in diesem Moment, nur eine einzige Person für mich. Die begehrenswerteste Frau, die vor mir stand.

Gedankenverloren fragte ich sie, was sie gerade dachte. Sie machte mich neugierig, da sie jedes Wort von mir zu analysieren schien. Lynns Blick blieb an meinen Mund hängen:, „An Sie...."

Meine Kehle schnürte sich zu. „An mich?!?", stotterte ich. Verführerisch leckte sie sich über die Lippen:," Ja, Ich denke daran, Dinge zu sagen und zu tun, die ich nicht sagen und tun sollte." Mein Herz hämmerte immer stärker in meiner Brust. Ich hatte nun die Antwort die mich in den letzten Tagen so beschäftigt hatte. Und diese Erkenntnis machte mir Angst. Abwehrend erklärte ich ihr, dass wir zu weit gegangen waren. Die Verantwortung wollte ich dafür alleine tragen. Vor mir stand nicht mehr die begehrenswerte Frau von eben. Sondern meine Studentin, die in meiner Obhut lag.

Bei dem ganzen Chaos in meinem Inneren, versuchte ich so schnell wie möglich diesen Ort zu verlassen. Um jeden Preis. Meine Hand berührte die ihre, als ich an ihr vorbei ging. Sanft hielt Lynn meine Hand fest. Stille kehrte in meine Gedanken ein. Für eine Sekunde war ich ihr so nah, und doch so fern. Wiederwillig befreite ich mich aus ihrem Griff.
Lynn blieb alleine zurück. Nichts ahnend, was sie in mir ausgelöst hatte.

A different view (Rayan Zaidi FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt