Das eine Lächeln

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„ Melody? Ich werde noch ein paar Besorgungen in der Stadt machen. Den Rest der Dokumente fasse ich später noch zusammen. Sie können die angefangene Präsentation mitnehmen und spätestens am kommenden Montag bei mir abgeben."

Wir waren in meinem Büro und hatten die letzten drei Stunden an allem Möglichen gearbeitet. Melody ging dabei voll in ihrem Element auf. Was mir etwas Unbehagen bereitete, war die Tatsache, dass sie sich zu sehr auf die Arbeit fixierte. Immer mehr lud sie sich auf. Das musste nicht sein.

Meine Assistentin ergriff das Wort:, „Herr Zaidi, wir sind richtig weit gekommen. Wenn Sie mir die anderen Dokumente überlassen, kann..." Ich unterbrach sie:," Ihr Enthusiasmus in allen Ehren Melody, doch ich habe es Ihnen gerade gesagt, dass ich mich drum kümmern werde!"
Sie zuckte dabei zusammen und wand den Blick von mir ab. Vielleicht waren meine Worte etwas zu hart gewählt. Ich schlug einen versöhnenden Ton an:," Ich weiß Sie möchten nur das Beste leisten und Sie nehmen das Ganze nicht auf die leichte Schulter. Tatsache ist, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Dennoch ist es mir wichtig, dass es Ihnen gut geht und Sie sich nicht zu viel zumuten." Ich lehnte mich dabei etwas zurück. Aufmunternd lächelte ich sie an:," Ich bin schließlich auch noch da!"

Verlegen schaute Melody mich an und wurde bei meinen Worten rot wie eine Tomate. Amüsiert zog ich eine Augenbraue hoch. Innerlich war ich jedoch ganz weit weg. Ob ich es wollte oder nicht, diesen Gesichtsausdruck musste ich, bei einer anderen sehen. Und nicht bei Melody. Es waren schon einige Tage vergangen und den Kurs, indem ich Lynn wieder sehen sollte rückte immer näher. Die kleine Aufmerksamkeit für sie hatte ich immer bei mir. Ich wollte mir die Gelegenheit nicht nehmen lassen, es ihr zu geben. Vielleicht traf ich Lynn per Zufall. Wer weiß?

Nachdem die Unterlagen zusammen geräumt waren, verließen Melody und ich das Büro. Ich verschloss gerade die Tür, als Melody fieberhaft nach Worten rang. „Ähm, Herr Zaidi, wenn es Ihnen nichts ausmacht.... könnte ich Sie noch begleiten?" Verblüfft drehte ich mich zur ihr um. „Naja ich brauche auch noch ein paar Sachen aus der Stadt und da dachte ich....", sprach sie immer hastiger.

Was sollte ich dazu noch sagen? Unwohl war mir schon dabei. „Es tut mir leid Melody. Ich habe noch etwas vor. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.", lehnte ich kompromisslos ab. Sie wirkte etwas gekickt, jedoch riss sie sich schnell wieder zusammen. „Ja, Herr Professor. Ihnen auch einen schönen Abend." wand sich Melody von mir und ging.

Zielstrebig verließ ich den Campus. Bei Lynns Arbeitsplatz machte ich einen kurzen Zwischenstopp. Ich warf einen flüchtigen Blick hinein, konnte sie aber nicht ausmachen. Schade. Nur ein junger Kellner bediente die wenigen Gäste. Meinen Weg fortsetzten, machte ich halt in der Buchhandlung.

Es waren ein paar Bücher für mich gekommen. Darunter auch mein persönliches Highlight des Abends. Die siebte Staffel von Game of Thrones. Die Serie hatte ich bereits geschaut, doch meine Sammlung war noch nicht komplett. Irgendetwas fehlte noch. Ich schlug mir gegen die Stirn. Popcorn! Das zweitwichtigste für einen guten Filmabend und ich musste es noch kaufen. Schnurstracks machte ich mich auf zum Supermarkt.

Es war schon spät, aber der Markt hatte bis 22.00 Uhr auf. Die Glasschiebetüren gingen wie von Zauberhand auf und ich betrat den Laden. An Snacks, Süßwaren und Getränken vorbei, wurde ich Zeuge eines Dramas.

An der Kasse war der bekannteste, schlechtgelaunteste Verkäufer der mir je untergekommen war. Er knallte die Hand auf die Theke und drohe einer jungen Kundin die Polizei zu rufen. Sie wirkte sichtlich Erschrocken und versuchte den Verkäufer zu beschwichtigen. Ich trat ein paar Schritte näher. Zwei Sekunden brauchte ich um die Situation zu verstehen. Erstens war Lynn die betreffende Kundin. Zweitens der Alkohol auf der Theke. Drittens mir schmeckte es gar nicht wie der Verkäufer mit meiner Studentin umging. Sie versuchte Alkohol zu kaufen, doch ihr gegenüber nahm ihr Alter einfach nicht ab.

Ich stellte mich neben Lynn und erkundigte mich als erstes, ob alles bei ihr in Ordnung wäre. Lynn war sichtlich überrascht, mich zu sehen. Währenddessen schnauzte mich der Verkäufer von der Seite an. Das brauchte bei mir das Fass zum überlaufen. Innerlich zählte ich auf drei runter. Schroff fuhr ich ihn an:," Ich glaube, Sie wollten sagen „Guten Tag, was kann ich für Sie tun?", oder?" Mein inneres Stimmchen ermahnte mich, nicht zu impulsiv zu handeln. Andererseits war die Verlockung groß, diesem Vollidioten eine rein zu hauen. Ich begnügte mich damit, die Situation souverän zu lösen.

Ich bediente mich einer einfachen Manipulationstechnik. Dem Mirroring. Indem ich an das Ehrgefühl des Verkäufers appellierte, gewann ich schnell seine Sympathie. Wer hört nicht gerne ein Kompliment, dass er oder sie gute Arbeit leistete?

Für seine Lage zeigte ich dabei Mitgefühl. Ab da hatte ich diesen Vollpfosten in meiner Hand. Ich präsentierte ihm meine Lösung. Lynn sollte mir das Geld geben und ich würde den Alkohol bezahlen. Nur so konnte das kleine Problem aus der Welt geschafft werden. Demonstrativ nahm ich die Einkäufe an mich. Der Verkäufer legte währenddessen den Hörer auf die Seite. Lynn gab mir Wortlos das Geld und ich bezahlte damit den Verkäufer. Herablassend wünschte ich diesem noch einen schönen Tag.

Lynn und ich begaben uns zum Ausgang des Ladens. Ich mochte es nicht, von dieser Seite von mir Gebrauch zu machen. Doch es diente einem guten Zweck. Meine Studentin war ganz außer Atem vor Angst. Immer wieder begegnete ich ihr in solchen Situationen. Um sie zu beruhigen machte ich einen kleinen Scherz:," Ich hoffe, niemand beobachtet mich dabei, wie ich einer meiner Studentinnen Alkohol übergebe. Das könnte leicht missverstanden werden." Lynn bedankte sich bei mir. Im Gespräch wurde deutlich, warum das ganze passiert war. Sie hatte irgendwo ihren Ausweis verloren. Und zwar in einem der Hörsäle.
Das war die Gelegenheit für mich. Ganz nebenbei erwähnte ich, dass die Säle bereits geschlossen wären. Jedoch ich ein Schlüssel besaß. Ihre Augen wanderten von einem Punkt zum nächsten. Unschlüssig verlagerte Lynn dabei das Gewicht von einem Bein auf das andere. Sie rang mit sich selbst. Doch am Ende fragte sie mich, ob ich sie begleiten würde.

Nichts tat ich lieber als das. Ich spürte kaum die Kälte der Nacht um uns herum. Wir gingen zurück zum Campus und ich war froh Lynn nicht alleine zu lassen. Wenigstens dieses eine Mal.

Meiner Meinung nach erreichten wir den Campus viel zu schnell. Als wir den warmen Bereich der Eingangshalle betraten, wurde mir erst bewusst wie kalt es wirklich draußen war. Lynn fröstelte es. Man sah ihr richtig an, dass es ihr eine Wohltat war im Warmen zu sein. Das Erinnerte mich an die eine Szene aus einem bekannten Film. Ein prasselndes Kaminfeuer, eine Liebesschnulze schauen, das man mit einem Menschen den man gern hatte teilt. Scherzhaft erwähnte ich das Gedachte gegenüber Lynn. „Ahh, die Szene mit Mark und Juliet! Ich muss den Film unbedingt mal wieder sehen!", sprach sie sichtlich erfreut aus.

Wer hätte gedacht, dass eine Studentin für Kunstgeschichte, sich für solche Filme begeistert lies. Die meisten mochten eher Filme zu Bildungszwecken. Das langweilte mich. Sie gab ihre kleinen Schwächen einfach zu und das mochte ich an Lynn.

Endlich nach einer halben Ewigkeit fand ich den Schlüssel zum Hörsaal. Eilig lief Lynn die Stufen zu einem Platz im Hörsaal hinauf. Sie durchsuchte den Ort. Doch vergebens. Der Ausweis war nicht zu finden. Panisch schaute sie auf ihr Handy. Wie es aussah musste sie noch dringend wohin. Da zählte ich eins und eins zusammen.

Der gekaufte Alkohol und das Wiederstreben mit mir hierher zu kommen. Ich setzte eine ernste Miene auf und fragte Lynn, ob sie heute eine Party auf dem Campus schmeißen wollte. Ehrlich gab sie es mir gegenüber zu. Nicht nur erfreut über Ihrer Ehrlichkeit mir gegenüber sagte ich zu ihr:," Ich verrate Sie sicher nicht! Ich könnte auch so eine Party vertragen, um endlich mal wieder abzuschalten. Und ihre Einkäufe sind auch sehr vielversprechend!" Ihrerseits setzte Lynn eine gespielte ernste Mimik auf:," Ich hoffe es." Wir mussten beide Lachen.

Jetzt oder nie. Ich hatte es mir sooft in den letzten Tagen ausgemalt, doch jetzt fehlten mir praktisch die Worte. So nebenbei bemerkte ich, dass ich noch etwas für sie hätte. Neugierig fragte Lynn mich, was es den wäre. Mit feuchten Händen kramte ich in meiner Tasche nach dem Pfefferspray. Und gab es ihr schließlich in die Hand. Versucht so ruhig wie möglich zu bleiben, erklärte ich ihr meine Bewegründe. Ich hätte es mir nicht verziehen können, wenn einer meiner Studenten etwas schlimmes passiert wäre. Besonders ihr, aber das behielt ich für mich.

Verlegen zupfte Lynn an der Schleife und lächelte dabei versonnen.

Mein Herz begann schneller zu schlagen. Hitze stieg in mir auf. Dieses Knistern breitete sich immer mehr in mir aus. Diese kleine Geste und die Blicke, waren einfach zu viel für mich. Ich riss mich zusammen und spielte es runter. Dieses Geschenk war nichts Besonderes. Nein überhaupt nicht. Ich wünschte Lynn noch einen schönen Abend. Sie drehte sich noch einmal zu mir um. Ihr Lächeln war in diesem Moment für mich das Schönste, das ich je sah.

A different view (Rayan Zaidi FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt