Neue Wege

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Fünf Jahre zuvor....
„Und hier sehen wir ein weiteres bemerkenswertes Kunstwerk von Van Gogh. In dieser Zeit, hat sich sein Stil weiter entwickelt, dass zu seinem persönlichem Markenzeichen wurde. Die Linienführung spricht klar für seine Wandlung, da...", weiter hörte ich der Erläuterung des Direktors vom Musée d'Orsay nicht weiter zu.

Schon seit zwei Stunden wurden die Praktikanten, darunter auch ich durch das Museum geführt. Bemerkenswert war der Eintritt durch den Raum der Skulpturen. Der ehemals umgebaute Bahnhof diente nun zur Ausstellung von Kunstwerken der modernen Kunstgeschichte.

Diese Epoche war es, die mich am meisten reizte. Gerade der Wandel des Jahrhunderts. Das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verband. Meine Eltern hatten mich schon mal hier her mitgenommen. Damals besuchten wir auch den Louvre, andere Museen und Sehenswürdigkeiten.

Mein Weg hatte mich nach Paris geführt. Und mit dieser Praktikantenstelle eröffneten sich mir neue Möglichkeiten und Herausforderungen.
Am liebsten hätte ich mich von der Gruppe entfernt und auf eigener Faust mir die Kunstwerke angeschaut, die mich interessierten. Wohl oder übel, musste ich es noch etwas über mich ergehen lassen.

Schon zwei Jahre war es her. Zwei verfluchte, lange Jahre. Meinen Abschluss hatte ich in meiner Tasche und mir stand eine glänzende Karriere bevor. Doch zu welchem Preis? Aufstehen, Arbeit, Kunst, Schlafen und wieder aufstehen. Ich folgte einem Rhythmus, den ich mir selbst auf diktiert hatte. Wie eine Uhr folgte ich diesem. Immer im Takt, immer weiter. Doch heute, würde ich mir eine kleine Auszeit nehmen.

Ich hatte es geschafft, einer der wenigen Karten zu bekommen. Das Konzert war schon Monate im Voraus ausverkauft. Nicht weit von meinem Apartment, in der Nähe vom Place du Colonel Fabien fand dies statt. Deep Purple war in der Stadt und sie traten im Zénith auf.

Einige Stunden später, gefolgt von einem Essen in der Kantine, löste sich die Gruppe von Praktikanten auf. Ich durchschritt auf meinem Weg hinaus den Vorraum des Museums. Mein Blick richtete sich auf die große goldenen Bahnhofs Uhr, die von oben herab, auf die ganzen Menschen herabzusehen schien.

Was hatte sie schon alles gesehen? Selbst wenn ich nicht mehr war, würde es dennoch weiter gehen. Und andere Personen würden diese Schätze aufsuchen und bestaunen. Nichts ist für die Ewigkeit bestimmt. Nur das was einer erschafft, blieb erhalten. Was wollte ich erreichen? Die Schranke wich zurück und ich trat hinaus. Es war Herbst und die ersten Blätter färbten sich rot. Jedoch beeilte ich mich zu meiner kleinen Wohnung zurück zu kehren.

Zusammengepfercht mit Touristen oder Einheimischen, hielt ich mich an der Stange in der Metro fest. Alle fünf Minuten konnte man den nächsten Zug erwischen. In dieser Stadt pulsierte das Leben. Ob morgens, mittags oder abends immer war etwas los. Immer gab es etwas Neues zu entdecken.

Auch wenn ich meine meiste Energie in meine Arbeit steckte, konnte ich mich diesem Sog nicht entziehen. Selbst mir vielen einige kleine Details auf. Ob es nun eine junge Touristin war, die fieberhaft die Karte studierte, ein Musiker der den Zug betrat und ein fröhliches Lied anstimmte. Oder die alte Frau, die sich an ihren Einkäufen zu klammern schien.
Diese Ausschnitte aus dem Leben anderer Personen gewährten mir einen Blick in deren Normalität. Es war, als würde dem Teil meines Lebens, der mir fehlte in kleinen Stücken zurückgeben. Sie hatten ein Leben und meines ging auch weiter.

Als ich endlich die Metrostation verließ, begann es bereits zu dämmern. Als ich meine vorläufige Wohnung erreichte, legte ich meine Sachen auf dem Bett ab. Winzig, praktisch und gut isoliert war alles das ich von diesem Ort verlangte. Es war nur eine Übergangslösung. Wenn mein Praktikum endete, würde ich mich anderen Städten zuwenden.

Rom, Venedig, New York oder Tokio standen auf meiner Liste. Ich wollte so viel sehen wie möglich und es trieb mich immer weiter. Nach einer kurzen Dusche zog ich auf meine Jeans ein passendes schwarzes Hemd. Ich griff nach meinen wichtigsten Sachen und machte mich auf zur Konzerthalle.








Fans standen in der Reihe, die sich vor der Halle versammelt hatten. Die Eintrittskarten wurde von einem Türsteher kontrolliert. Nach den letzten Anschlägen hatten sich die Sicherheitskontrollen deutlich verschärft. Die Menge drängte sich wie von alleine nach vorne. Um eine bessere Sicht auf die Bühne zu bekommen, versuchte ich einen nahen Platz ganz vorne zu ergattern.


Die ersten Akkorde erklangen. Laute Rufe, klatschende Hände und hier und da wallte die Begeisterung der Fans um mich herum auf. Immer mehr wurde ich Richtung Bühne gedrängt. Die Stimmung wurde immer hitziger. Ein plötzlicher Stoß von der Seite lies mich gegen meinen Nebenmann knallen.

Nur mit Mühe konnte ich mein Gleichgewicht wieder finden. „Alles ... Ordnung?", brüllte die Person gegen die ich gestoßen war in mein Ohr. „Ja gerade so...", gab ich zurück. Der Mann mittleren Alters sah mich belustigt an. „Na ...ist gut!" Ich ließ mich von der guten Laune anstecken. Bei „Smoke On The Water" konnte ich mich nicht mehr zurück halten. Laut sang ich beim Refrain mit und mein Nebenmann stimmte leidenschaftlich mit ein.
Mit dem letzten Lied des Abends, gab die Band ihre letzte Zugabe. Total aufgedreht, fand ich mich in der Realität wieder. Meine Hände pochten vom Klatschen und meine Stimme war durch das mitsingen komplett hinüber. Abwartend stand ich da, bis sich der Saal weitestgehend gelehrt hatte. Nur blieb ich nicht alleine.

„Na wenn das mal nicht ein gelungener Abend war! Ich bin Phil und wer sind Sie?" In normaler Lautstärke verstand ich endlich seine Worte. "Rayan, freut mich!" Er bot mir seine Hand freundschaftlich an und ich schlug ein. „Nach einem so gelungenem Abend, schreit es ja förmlich nach einem gut gekühlten Bier. Lust mitzukommen?" Phil sah mich heiter an. Erfreut über diese Geste willigte ich ein.

In der Nähe fanden wir eine Kneipe. Gegen den Tresen gelehnt unterhielten wir uns über das heute Konzert. "Und erst der Bass! Wenn ich damit gerechnet hätte, welchen Überraschungsgast dabei gewesen wäre...!" Ich nahm einen tiefen Schluck aus meinem Glas. Es war schon das dritte Bier in Folge und Phil wurde es nicht müde einen willigen Zuhörer gefunden zu haben.

„Mein Kumpel Antoine hat mir auf die schnelle noch eine Karte besorgen können. Er hat einige gute Verbindungen. Da ich gerade geschäftlich in der Stadt bin, konnte ich mir sowas nicht entgehen lassen." Lachend klopfte er mir auf die Schulter. „Ab und zu muss man sich eine Auszeit gönnen. Ob nun von der Familie oder von der Arbeit." Zustimmend hob ich mein Glas. „Und Rayan? Was führt dich nach Paris?", fragend schaute mich Phil an. Ich blickte von meinem Glas auf und nahm einen weiteren Zug, bevor ich seine Frage beantwortete.

„Ich habe vor einiger Zeit mein Studium beendet. Derzeit arbeite ich in einer der Museen. Wenn ich dort fertig bin sehe ich weiter. Wenn alles klappt, werde ich mir noch andere Plätze anschauen." „Ahh.. ja Reisen, sich bilden und den Horizont erweitern. Das klingt nach Freiheit. Als Lucia und ich zusammen kamen haben wir das gemeinsam gemacht, nach unserem Studium. Bis unsere Kleine kam." Phil kramte nach seiner Brieftasche und hielt mir ein Bild von seiner Familie hin.

Auf dem Bild waren seine Frau und seine ca. 8 Jahre alte Tochter zu sehen. Sie stand in der Mitte beider Elternteile. Phil hatte den Arm um seine Frau gelegt und seine andere Hand ruhte beschützend auf der Schulter seiner Tochter. Sie sahen so glücklich aus. Dies spiegelte sich auch in seinen Gesichtszügen. Seufzend runzelte er die Stirn.
„Sie ist schon 17 und kein kleines Mädchen mehr. Vor kurzem hat sie ihren ersten Freund mitgebracht. Heimlich natürlich... Da weiß man als besorgter Vater nicht immer weiter...." Ich stellte mir die Szene bildlich vor, wie Phil versuchte die Verehrer seiner Tochter abzuwehren. Dabei musste ich Lachen. „Als Vater hat man es nie leicht.", stimmte ich ihm zu.

Wenn ich mir eine ältere Version seiner Tochter vorstellte, konnte ich gut nachvollziehen, warum er sich so sorgte. Sie hatte die feinen Züge Ihrer Mutter geerbt, so wie die schlanke Statur. Jedoch hatte sie die Augen ihres Vaters und in ihnen lag ein wissender oder neugieriger Blick. Eine wahre Schönheit. Wir redeten noch über dies und das. Sehr spät am Abend bezahlte ich die letzten Getränke. Unsere Wege trennten sich.

Ein letztes Mal sah ich Phil nach. Er würde in ein paar Tagen wieder mit seiner Familie vereint sein. Glücklich und die Rolle des besorgten Vaters, würde er wieder einnehmen. Die letzten Augenblicke meiner Auszeit hing ich meinen Gedanken nach. Bis ich in mein Zimmer zurückkehrte.

Ich wollte wieder Normalität. Ich wollte wieder ein Leben. Ich wollte so viel. Und da wusste ich, welchen Weg ich einschlagen musste.

A different view (Rayan Zaidi FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt