Spiel nicht mit dem Feuer!

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Bruce musterte Loki intensiv. Er trug weitaus einfachere Kleider als bei seinem letzten Aufenthalt auf der Erde: eine braune Lederhose, darüber ein langärmliges grünes asgardianisches Hemd und über diesem eine Art armellose Jacke in Braun und Dunkelgrün, die bis zur Hälfte seiner Oberschenkel reichte. Die Füsse steckten in einfachen Stiefeln, die unter dem Hosensaum verschwanden. Für jemanden aus Asgard sehr schlicht, wenn man bedachte, dass deren bevorzugte Kleider in der Regel mindestens ein paar eingewebte goldene- oder silberne Embleme enthielten. Ausserdem sah Loki ziemlich müde und abgeschlagen aus. Trotzdem wirkte der Gott der Lügen und des Unheils nach wie vor äusserst imposant mit seiner grossgewachsenen, schlanken Gestalt, den schulterlangen schwarzen Haaren und der blassen Haut, welche seine noblen und gutgeschnittenen Gesichtszüge nur noch unterstrich.

Banner erschauerte, als er daran dachte, was man – Tony zufolge – in Asgard so alles mit Loki angestellt hatte. Doch wenn er sich den Mann jetzt genau besah, wunderte er sich, wie wenig man ihm davon anmerkte. Oder besser gesagt: dass man ihm nichts davon anmerkte.

Naja, wenn man mal von den müden Schatten auf seinem Gesicht absah...

Aber sonst... Wenn Bruce sich vorstellte, dass man auch nur die Hàlfte von all dem mit ihm gemacht hätte, dann wäre er jetzt ein Wrack. Nicht nur ein physisches, sondern auch ein psychisches Wrack. Wie um alles in der Welt konnte jemand – irgendein Wesen – so etwas durchmachen und auch nur halbwegs normal daraus hervorgehen? Umso mehr, da es ja noch gar nicht vorbei war: bei Tony Stark gelandet zu sein musste auf Loki sicher wie eine endlose Fortsetzung seiner Strafe wirken... Und zwar völlig unabhängig davon, wie Stark ihn behandelte. Allein schon hier sein und ihm gehorchen zu müssen stellte für jemanden wie Loki mit Sicherheit nichts anderes als einen einzigen, fürchterlichen Alptraum dar.

Bruce war darum ehrlich überrascht, dass Loki überhaupt in der Lage war, den wissenschaftlichen Erklärungen Tonys aufmerksam und ruhig zu folgen. Nicht darüber, dass er verstand, wovon dieser sprach – davon war Banner ausgegangen, denn schliesslich war Asgard der Erde auch in Sachen Technik um Jahrhunderte voraus und Loki Thor zufolge einer der klügsten Köpfe unter ihnen – sondern dass er nach allem, was hinter ihm lag, noch dazu fähig war.

Entweder war seine übermenschliche Natur der Grund dafür, oder Loki besass mehr innere Kraft als er es je für möglich gehalten hätte.

«Ich habe Jarvis eine Analyse des Zepters vornehmen lassen.» Iron Mans Stimme riss Bruce aus seinen Gedanken. «Nicht, dass ich dir nicht trauen würde...» Ein ironisches Grinsen Richtung Loki, «...aber sicher ist sicher. Also, Jarvis, lass uns hören, was du herausgefunden hast.»

Loki hatte bei Starks Worten nur kurz die Augen verdreht und lauschte jetzt ebenso interessiert Jarvis Erläuterungen. «Das Zepter ist ausserirdisch. Es gibt Elemente, die ich nicht identifizieren kann.»

«Gibt es denn solche, die du identifizieren kannst?»

«Das Juweil scheint eine Schutzhülle für etwas im Inneren zu sein. Etwas sehr Starkes, Mächtiges.»

«Wie ein Reaktor?»

«Wie ein Computer. Ich glaube, ich entziffere einen Code.»

«Ein Computer..?» entfuhr es Loki, ehe die Worte zurückhalten konnte. Er lachte auf. «Das nenne ich mal eine nette Untertreibung.»

«Und als was würden sie es denn bezeichnen, Sir?» fragte Jarvis gleichmässig ruhig.

Tonys und Bruces Augen schienen Loki zu durchbohren. Dieser überlegte fieberhaft, wie er ihnen nahe bringen konnte, was gesagt werden musste.

«Der Infinity-Stein im Inneren des Juwels...» begann er und nickte den zwei Männern zu, als er Jarvis Mutmassung was die 'Schutzhülle' anbetraf, somit bestätigte, «...ist ganz sicher sehr viel mehr als eine Art denkende... Maschine. Er ist von einem Computer etwa so weit entfernt wie eine Handschleuder von einem Maschinengewehr. Der Stein ist zwar kein lebendes Wesen, aber ein... denkendes. Er besitzt Intelligenz – und etwas, das sehr nahe an den Begriff 'Gefühle' heranreicht.»

«Will heissen?» Stark hob die Brauen und ignorierte Banners fassungslosen Gesichtsausdruck.

«Sie wollen doch ihren Superroboter mit dieser Technologie ausstatten, stimmts?» Lokis Gedanken rasten. Wie sollte er das bloss sagen?

«Ja, und?» Tony kam etwas näher und fixierte ihn scharf. «Diese Technik würde aus Ultron eine unbesiegbare Waffe machen für jeden Irren, der vielleicht noch die Welt erobern möchte!»

Loki senkte die Augen. «Ich weiss schon, was sie damit andeuten wollen, Stark. Aber könnten sie vielleicht für einen Augenblick vergessen, dass ich es bin, der ihnen das sagt, und einfach...»

«Der mir was sagt?»

Loki sah wieder auf. Er holte tief Luft und entschied dann, gerade heraus zu sagen, was er sowieso nicht abschwächend formulieren konnte: «Dass sie die Finger davon lassen sollten.»

Stark wusste nicht, ob er explodieren oder lachen sollte. Doch Bruce kam ihm zuvor. Er trat neben Tony und fragte ruhig: «Warum?»

«Weil diese... Technologie, wenn wir es denn mal so simpel nennen wollen, nicht zu beherrschen ist. Wenn sie versuchen, das Konzept des Gedankensteins auf Ultron zu übertragen, wird nichts anderes passieren, als dass der Stein ihren Roboter kontrollieren wird. Mit anderen Worten: sie spielen mit dem Feuer, wenn sie das tun.»

«Das ist doch absurd.» erwiderte Tony scharf. «Du hast vorhin selbst gesagt, dass es sich hier nicht um ein lebendes Wesen handelt. Also ist es trotz aller Intelligenz letztlich künstlich – und somit nicht in der Lage, etwas aus eigenem Antrieb heraus zu kontrollieren.»

Loki fühlte Ungeduld in sich aufsteigen – und, wenn er ehrlich sein wollte, auch leise Angst. Er vergass keine Sekunde lang, dass Stark die Mittel hatte, ihn umgehend zum Schweigen zu bringen. «Ich habe aber noch was anderes gesagt: nämlich dass der Stein im Grunde genommen sowas wie Gefühle besitzt. Das, zusammen mit der Intelligenz und der Magie, die ihm natürlich auch noch inne wohnt, macht ihn zu einer unberechnbaren Kraft. Wobei die Gefühle allerdings die gefährlichste Komponente darstellen.»

«Ach ja?» Wieder kam Bruce Banner seinem Kollegen zuvor, der aussah, als würde er am liebsten auf Loki losgehen. «Wieso das?»

«Weil Gefühle bekannterweise mit einem durchgehen können.» Lokis Blick, mit dem er den von Banner erwiderte, sprach Bände. 'Sie müssten das doch genau wissen!' Bruce las die Worte so deutlich in Lokis Augen als hätte er sie ausgesprochen.

Der Asgardianer spürte Tonys Zorn sehr deutlich, und er versuchte daher, eine andere Richtung einzuschlagen. Beschwichtigend und beschwörend zugleich sagte er: «Ich kann sie ja verstehen, Stark. Sie wollen ihr Bestes geben, um die Erde zu beschützen. Aber wenn sie den Gedankenstein freisetzen – und das müssten sie, um die... Technologie...» Er betonte das Wort, «...zu erforschen, wird es nicht lange dauern, bis der Stein das Ruder übernimmt. Bis er... Ultron übernimmt. Und wenn Ultrons grundlegendste Programmierung darin besteht, die Welt vor jeglicher Bedrohung zu beschützen, dann dürfen sie dreimal raten, was geschehen wird.»

«Nämlich?» Stark hatte sichtlich Mühe, nicht die Beherrschung zu verlieren.

Loki schluckte leer und erwiderte leise: «Naja... mal abgesehen von mir und meinesgleichen: was – oder besser gesagt wer – stellt denn die grösste Bedrohung für Menschen dar?»

Schweigen. Die beiden Männer starrten ihn stumm an und weigerten sich sichtlich, die Erkenntnis, die ihnen langsam dämmerte, durchsickern zu lassen...

«Irgendwelche Pflanzen vielleicht?» half Loki nach. «Oder Tiere..?»

«Der Mensch selbst.» gab Banner schliesslich die Antwort. Sie kam so leise, dass man sie kaum verstand.

Loki nickte ernst. «Genau.»

«Vorausgesetzt...» Tony atmete tief und heftig durch, «...du sagst die Wahrheit.»

Der Magier versuchte, sein Zittern nicht sichtbar werden zu lassen. «Ja, natürlich. Andererseits...» Er fuhr sich mit der Zunge kurz über die trockenen Lippen. «...wollen sie das Risiko wirklich eingehen? Denken sie an ihre eigenen Worte: Ultron würde zur unbesiegbaren Waffe werden.»

Es wurde so still im Raum, dass man eine Nadel hätte fallen hören.

Loki: Versklavt!Where stories live. Discover now