Der Gott der Lügen

461 30 11
                                    

Hela realisierte die Veränderung im Inneren ihrer Soldaten nicht. Sie hatte auch nicht den geringsten Anlass, Loki in irgend einer Weise zu misstrauen. Und was aus seinem Mund kam, klang nicht anders als das, was sie selber so von sich gab, um ihre Leute anzufeuern:

«Ihr seid die mutigsten Krieger, die ich je gesehen habe.»

«Asgards Armee zittert schon, wenn sie nur an euch denkt.»

«Niemand kann sich euch ernsthaft in den Weg stellen.»

«Schon heute Abend wird der Sieg unser sein.»

«Ihr alle werdet reichlich belohnt werden für euren Einsatz! Asgards Gold und Reichtum wird euch gehören!»

Hela war zufrieden. Mehr, als sie je zu hoffen gewagt hätte. Nicht nur, dass sie sich noch bevor der Tag zur Neige ging auf Odins Thron setzen würde: nein, sie würde auch Loki direkt neben sich stehen haben. Und den Moment geniessen, wenn man den Allvater und seinen blonden, dämlichen Sohn in Ketten vor ihrer beider Füsse warf!

Odin hatte sowohl sie als auch Loki missbraucht und dann wie Abfall weg geworfen. Er hatte sie beide zuerst in den siebten Himmel gelobt und sie dann in die Tiefe stürzen lassen – im Glauben, sie wären wertlos und unnütz. Es wurde Zeit, dass ihn mal jemand von seinem eigenen hohen Ross runterjagte!

Und wer konnte besser dafür geeignet sein als die beiden schwarzen Schafe in Odins ansonsten so perfekten Familie?

Hela war sich sicher, dass Loki diesen Augenblick genauso auskosten würde wie sie selbst. Ja, er hatte ihr sogar versprochen, ihn noch köstlicher werden zu lassen.

«Wie?» hatte sie gefragt, aber Loki hatte nur gelächelt und gesagt, dass sie sich gedulden solle.

«Lass dich überraschen, Hela.» Das dunkle Funkeln in seinen grün-blauen Augen hatte sie beinahe schwindlig werden lassen. Schade, dass er ihr Bruder war.. «Ich verrate dir nur so viel: du wirst nicht enttäuscht sein!»

«Das weiss ich!» Beinahe wäre sie ihm mit dem Finger über die Wange gefahren, aber sie beherrschte sich. Wenn sie nicht aufpasste, würde der schöne Loki sie noch völlig verzaubern! Aber auch wenn er nur ihr Adoptivbruder war: Familie blieb Famile. Also Hände weg.

Leider...

Loki wusste genau, was in Hela vorging, und zu jedem anderen Zeitpunkt hätte es ihn köstlich amüsiert. Aber dafür war er im Moment viel zu angespannt. Denn er war weitaus weniger selbstsicher und gelassen, als er sich gab. Im Grunde genommen zitterte er innerlich sogar von Minute zu Minute mehr. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis Stark seinem Spiel ein – gewaltsames – Ende setzte. Es war ohnehin schon überfällig. Viel Zeit konnte ihm nicht mehr bleiben, bis Iron Man den Stab benutzte.

Oder?

Nein – Loki verbot sich, zu hoffen. Es war dumm gewesen, wenn er es genau bedachte, überhaupt damit zu rechnen. Egal, wie wenig. Andererseits hatte er keine andere Wahl gehabt...

Heimdall kam ihm in den Sinn. 'Wir hoffen, dass du weisst, was zu tun ist, wenn es soweit ist.' Tja, nun war es soweit. Und Loki wusste, was zu tun war.

Blieb die Frage, ob er es tun konnte. Zumindest lange genug...

Für den Moment sah es jedoch nicht schlecht aus. Im Gegensatz zu seiner Schwester registrierte er die innerlich neue Ausrichtung ihrer Krieger sofort. Sie begannen, Helas Worte zu ignorieren und liessen sich von seinen einhüllen. Einfangen, um es genauer zu sagen!

Natürlich nicht von den hörbaren Worten, die er aussprach. Sondern von den dahinter verborgenen, verzauberten Befehlen.

Seine Silberzunge tat ihren Dienst perfekt. Aber da er etwas aus der Übung war, weil es doch einige Zeit her war, dass er sie das letzte Mal benutzt hatte, um einen Bann über jemanden zu legen, wunderte er sich selbst ein wenig darüber, wie leicht ihm das immer noch fiel.

Gewisse Dinge verlernte man wohl wirklich nie!

Wenn er – wenn Asgard – Glück hatte, reichte es sogar, um Hela den Todesstoss zu versetzen. Aber auch das bezweifelte Loki leider nur zu sehr. Die Krieger zu manipulieren würde allein nicht ausreichen. Die Göttin des Todes war auch dann immer noch stark genug.

Und dann gab es da ja noch Fenrir...

Den riesengrossen Wolf, den sie bisher noch zurückgehalten und auch ihm gegenüber noch nicht erwähnt hatte. Aber Loki, der aus Helas Gedanken alle ihre Absichten hatte erfahren können, wusste natürlich, dass sie ihn noch an diesem Tag einzusetzen gedachte. Fenrir würde den letzten noch verbleibenden Widerstand der Asgardianer brechen.

Es sei denn...

'Sei kein Narr!' schalt sich Loki innerlich. 'Bisher hattest du einfach Glück. Vielleicht war Iron Man zu beschäftigt, oder er hat nicht dran gedacht... Aber sobald er sich an den Stab erinnert, wird er ihn einsetzen. Dass er dir traut... ausgerechnet DIR... vergiss es!'

Trotzdem war da eine leise Stimme in ihm, die einfach nicht versiegen wollte. Eine Stimme, die ihm zuflüsterte, Tony Stark mehr zuzutrauen, als er es momentan tat.

Nun ja, im Grunde genommen spielte es keine grosse Rolle: denn solange er noch auf seinen Beinen stehen konnte, würde er sowieso weiter machen.

Was danach kam, lag nicht mehr in seinen Händen.

Loki: Versklavt!Where stories live. Discover now