8. Gäb es mehr als dieses Leben...

687 25 0
                                    

Mit klopfendem Herzen stehe ich vor der Tür und starre minutenlang die drei kleinen goldenen Zahlen an, als könnten sie mir Mut verleihen. „2-7-7", wiederhole ich im Geiste immer wieder, „2-7-7". Ich blicke auf die hellblaue Keycard in meiner Hand. Sie ist ganz verbogen. Mist, das war ich. Wieso habe ich die überhaupt? Ich kann doch hier nicht einfach reinplatzen. Merkwürdiger Plan von Lachfältchen-Paul. Ich lasse die Karte in meiner Handtasche verschwinden, streiche mein Kleid glatt und atme nochmal tief durch. Ich klopfe an die Tür, höre Schritte und die Tür geht auf. Da steht er. Er ist es wirklich, realisiert ein Teil von mir erst jetzt. So viel Nähe. Wieder haut mich diese Nähe fast um. Ich sehe dunkelblaue Augen. Irische Ozeanaugen. Ich verliere das Gefühl für Zeit und Raum. Dann sehe ich, wie ein Lächeln den irischen Ozean umspielt. Mist, ich glaube, ich habe nicht mal gelächelt, als er die Tür geöffnet hat. Ich muss wie bekloppt gestarrt haben.
„Hi", sagt er leise.
„Hi", bringe auch ich hervor.
„Das war jetzt schon wieder so ein crazy Moment, ne?" fragt er und sein rauhes Lachen geht mir durch Mark und Bein.
„Ich schätze, ja", bestätige ich kopfschüttelnd.
„Come in. Welcome", sagt er und hält die Tür weit auf. Parkett, ein Kingsize-Bett, ein Wohnbereich, ein Kamin (oh, ein Kamin), unzählige Kleidungsstücke, Gitarren und Notenblätter liegen überall verstreut. Ein echter Künstler eben. Bruce Springsteen hüllt den Raum mit seiner unverkennbaren Stimme in eine ganz besondere Atmosphäre.
„Bruce, ja?" lächle ich, während ich meine Jacke auf einen Sessel lege. Er macht eine einladende Handbewegung auf einen anderen Sessel und ich setze mich.
„Yeah, Bruce", grinst er und die irischen Ozeanaugen strahlen. „Er ist grossartig. Ich habe ihn schon als Kind geliebt. Mein erstes Konzert war ein Springsteen-Konzert. I was about nine years old or something." Er grinst etwas verlegen. Auch ein Paddy Kelly wird also mal verlegen, soso.
„Wow, schön", entgegne ich und stelle mir den kleinen Paddy am Bruce Springsteen-Konzert vor.
„Was möchtest du trinken? I need a little drink, I guess", er kratzt sich am Kinn, „war etwas nervös die letzten Tage, glaube ich."
Meine Bitte wurde erhört, danke! Gebt mir Alkohol!
„Ich auch. Also nervös. Und einen Drink. Beides. Aber etwas Süsses, bitte. Ich mag keinen Wein und Sekt etc." Ich lache und nehme mir fest vor, von nun an etwas geistreicher zu sein.
„Ok, I get it", lacht er verschmitzt und macht sich an der Bar zu schaffen. Während ich auf seinen Hinterkopf starre und er mit Gläsern und Flaschen klimpert, kommt mir alles wieder so surreal vor. Paddy Kelly mixt mir in seiner Hotelsuite einen Drink. Ich widerstehe dem Drang, mich wieder zu kneifen und beisse mir stattdessen auf die Unterlippe.
Er reicht mir ein Glas mit einer prickelnden, rosa Flüssigkeit und wir prosten uns zu.
„Cheers, soulgirl vom Hafen", lächelt er schief und seine Worte treffen mich mitten ins Herz. Hafen? Anna... Wie kann er wissen...?
„Cheers", unterbreche ich meine Gedanken  und leere gleich das halbe Glas. Er tut es mir gleich.
„Aber Irin bist du nicht, oder? Du scheinst ja trinkfest zu sein." Er klopft sich lachend auf den Oberschenkel.
„Nee, in Deutschland geboren und aufgewachsen. Aber sag mal, die Sache mit dem Hafen eben..."
Unmittelbar presst er die Lippen zusammen und blickt mich nachdenklich an. „Yes..."
„Was hast du damit gemeint?"
Er räuspert sich, beugt sich etwas zu mir nach vorne und sieht mich mit einem durchdringenden Blick an.

SoulgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt