11. Beautiful soul

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Lächfältchen-Paul startet den Motor und biegt um die Ecke. Ich winke zum Abschied und tapse auf leisen Sohlen meine Einfahrt hinauf, um etwaigen Blicken von Frau Oppenmeyer auszuweichen- schliesslich komme ich in exakt den selben Klamotten, die ich gestern Abend anhatte, um 11.30 Uhr am nächsten Mittag nach Hause. Schnell wie ein Wiesel schlüpfe ich ins Haus. Drinnen lehne ich mich erstmal gegen die Tür. Uff. Zu Hause. Was für ein Trip. Jetzt geht erst mal nichts anderes als duschen, mich auf's Sofa setzen und nachdenken. Vielleicht gönne ich mir sogar noch einige Minuten meines geliebten „Ins-Nichts-Starrens".
Unter der Dusche muss ich immer wieder an seine Worte im Hotelzimmer denken.

„Schläfst du schon, soulgirl?"
„Nein, du auch nicht?"
„No, I can't. Wenn du so nah bist, kann ich nicht einschlafen. Zu viele Gedanken."
„Worüber denn?"
„Private stuff." Ich höre an seiner Stimme, dass er grinst. „Hat ziemlich viel mit dir zu tun."
„Private stuff also, ja? Aber wenn der stuff von mir handelt... Dann muss ich das doch wissen...?"
„Nope. Glaub mir, es ist besser für dein Seelenheil."
Nun grinse auch ich in die Dunkelheit.
„Wie dramatisch, Kelly."
Erneut unterbricht er die Stille:
„Ich habe daran gedacht, dass ich einmal mehr froh bin über manche Dinge, die ich im Kloster gelernt habe." Er raschelt mit seiner Bettdecke herum.
„Was hast du denn im Kloster gelernt, das man nachts im Hotelzimmer gebrauchen kann?"
„Nachts im Hotelzimmer mit einer schönen Frau", ergänzt er.
Mir schiesst das Blut in die Wangen; zum Glück ist es dunkel.
„Oh. Danke... Und was raten einem da die Priester des Vertrauens?"
„Beherrschung."

Ich trockne mich ab und erblicke mein dümmlich grinsendes Gesicht im Spiegel. Na das war ja was. Ich freue mich unbeschreiblich auf Caro's Gesicht. Sie wird sich nicht mehr einkriegen können. Und sie wird mir nicht glauben, dass er brav auf dem Sofa geschlafen hat und ich in seinem Bett. Sechs Stunden in seinem Himmel-Duft. Hmm... Diese Nacht wird mir eines Tages doch vorkommen wie ein Traum. Vielleicht schon morgen. Vielleicht kann ich es schon in dem Moment selbst nicht mehr glauben, indem ich Caro einweihe. Aber es wird mein Traum sein. Ein unverhoffter Abstecher, losgelöst vom Alltag, in eine andere Welt. Unvermittelt muss ich an irische Küsten denken. Der dunkelblaue Ozean... Kelly, du hast mir den Kopf vernebelt, denke ich erschöpft und lasse mich endlich auf's Sofa plumpsen.
Stunden später wache ich ganz zerknittert auf und stelle fest, dass es draussen bereits dunkel ist. Ich greife nach meinem Handy, um die Uhrzeit zu checken, als mir etwas anderes ins Auge springt. mi.pa.kel hat dir eine Nachricht gesendet, meldet Instagram mir. Schnell öffne ich die App.

MPK: Hi soulgirl. Ich bin noch ganz smokey im Kopf. Danke für diese unglaubliche Nacht. From the bottom of my heart. Danke für dieses Geschenk. God bless you. XoXo Paddy.
PS: Du verstehst, dass ich dir sicherheitshalber nicht followe, ne? Wegen Pino und so...
PPS: When will we meet again?

Uuh, na diese Nachricht ist jetzt aber genau von der Sorte, die in den falschen Händen Ärger verursachen würde. ‚Danke für diese unglaubliche Nacht', ich meine...
Und es wird offenbar keine einmalige Geschichte gewesen sein. Der Traum geht weiter. Just in diesem Moment frage ich mich ernsthaft, wie ich am Montag meinen stinknormalen Bürotag bewältigen soll. Ernüchtert lasse ich den Kopf in den Nacken fallen und schnaube verächtlich. Geht ja wohl gar nicht. Ich bräuchte gefühlt mindestens einen vollen Monat Urlaub, um mich auch nur halbwegs wieder einzukriegen.
Aber meine Antwort. Ok, Kelly...

L: Lieber Paddy. Ich finde keine Worte, um dir zu danken. Es ist wirklich ein Geschenk- ein unfassbares. Der Zustand meines Kopfes ist ähnlich wie deiner ;-) Wegen nochmal treffen: Ich muss mich wieder ein bisschen im Büro-Alltag akklimatisieren; was mir gerade unmöglich erscheint. Wenn ich da wieder im Drive bin, können wir uns sehr gerne wiedersehen. Ok? Aber sonst drifte ich noch komplett ab... Klar, verstehe ich mit dem Followen. Wer ist Pino? Ich umarme dich.

„Gesehen", erscheint unter meiner Nachricht. Jetzt „Schreibt..."

MPK: Oh no, I feel you. Kündige den Bürojob und komm mit auf Tour, wir finden schon was zu tun für dich ;-)
Ok, melde dich, wenn du soweit bist.
Don't hurry, beautiful soul.
PS: So heisst übrigens der Song, den ich nach „unserem" Konzert geschrieben habe. „Beautiful soul".
PPS: Pino ist mein Manager.

Na klar, Spassvogel. Mal eben als Kabelträgerin mit Mr. Rockstar auf Tour gehen- verrückt. Oder...?

L: Ich möchte den Song unbedingt hören!!!

MPK: Gerne. Weisst du was? Nächste Woche spielen wir wieder in der Nähe von Hamburg. Wenn du kommst, werde ich das Lied spielen. Wir müssen uns ja backstage nicht sehen, wenn dir das zu viel ist. Komm einfach und hör es dir an. Ok?

Der Mann flasht mich in Dauerschleife. So wird das heute nichts mehr mit einer Lichtung des Nebels in meinem Kopf.

L: Du würdest den Song echt spielen? Vor all den Leuten?

MPK: Ist ja nichts dabei. Es kennt ja niemand die Geschichte dahinter. Also, was sagst du? ;-)

Ich kichere. Na warte. Schnell tippe ich auf meinem Smartphone herum.

L: Sieh dir meine Story an ;-)

MPK: ???????

Jetzt hat er sicher Bammel wegen der ganzen Vorsichts-Geschichte. Ich bin gemein. Trotzdem grinse ich wie ein Honigkuchenpferd.

L: Mach schon.

MPK: Holy shit, jetzt hast du mir einen Schrecken eingejagt. „I'll be there @michael.patrick.kelly.official" und ein Foto des Konzert-Termins. Ok, das ist zum Glück unverfänglich. Wolltest du mich jetzt mit Absicht schocken?

L: Nö, würde ich nie tun ;-)

MPK: Böööse ;-) Kriegst du irgendwann zurück.

L: Ich freu mich ;-)

MPK: Auf das Konzert oder meine Revanche?

L: Auf beides, selbstverständlich.

MPK: Haha, gut soulgirl. XoXo

L: XoXo

Ich schliesse die Instagram-App. Unglaublich, wie einen diese Gefühle überwältigen können. Holy shit, denke ich und muss bei Paddy's oft genutzten Worten grinsen. Einerseits flasht es mich immer wieder und andererseits laugt es mich aus. Wie können diese beiden völlig gegensätzlichen Empfindungen parallel existieren, zur exakt gleichen Zeit?

Ich schiebe eine Fertigpizza in den Ofen und überlege, ob ich Caro gleich anrufen soll. Das eilt nicht, denke ich lächelnd. Der ganze wunderschöne Traum soll noch ein paar Tage in meinem kleinen Universum bleiben.

SoulgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt