Gespräch

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Ich wollte zumindest springen, jedoch zögerte ich nochmal. Ich hatte einfach schiss. Das war erbärmlich. Ich hatte sogar zu viel schiss, um mich selbst zu erlösen. Ich wollte es endlich beenden!

Ich sah nach Unten und als ich sah wie hoch das ganze war, wurde mir schwummrig. Schnell sah ich wieder nach Oben. Wieder setzte ich an, um zu springen, bis ich plötzlich rufende Stimmen hörte: ,,Ronja, tu's nicht!" Ich drehte mich ruckartig um, rutschte dabei jedoch ab und fiel runter. Ich konnte mich gerade noch am Geländer festhalten. Das wäre eigentlich die perfekte Möglichkeit gewesen, mich in die Tiefe stürzen zu lassen, aber irgendetwas hielt mich davon ab.

Die Autos unter mir blieben vor Schock stehen und beinahe gab es auch einen Zusammenstoß.

Ich gleitete immer weiter mit meinen Händen ab, bis ich den Halt verlor und ganz abrutschte. Ich wäre in die Tiefe gefallen, hätten mich nicht vier Arme festgehalten. Es waren die, von Leon und Marlon.

Sie hieven mich mit ihrer ganzen Kraft hoch und hoben mich über das Geländer auf den sicheren Weg. Leon schien Tränen in den Augen zu haben und auch Marlon sah nicht glücklich aus. Joachim drängelte sich zwischen die Beiden und fragte aufgeregt: ,,Ronja, geht es dir gut?" Er umarmte mich und ich blieb einfach stumm. Er war ebenfalls nicht froh darüber, mich hier anzutreffen. Wenigstens hätte ich noch drei Leute, die um mich wirklich trauern würden...

Zusammen gingen wir zum Auto, doch keiner sagte auch nur ein Wort. Auch auf dem Weg nach Hause schwiegen wir. Erst als wir Zuhause waren, bat mich mein Adoptivvater an den Wohnzimmertisch. Im Wohnzimmer war es so schön warm und ich realisierte erst dann, wie kalt mir war und das mir alles weh tat. Mein Fuß aber am aller meisten, da ich mich ja schon öfter daran verletzt hatte.

Ich setzte mich auf das gemütliche Sofa und Leon neben mir. Marlon und Joachim setzten sich jeweils in einen Sessel. Dann herrschte wieder Stille. Ich spielte nervös mit meinen Fingern. Was sie nun wohl sagten? Bekam ich Ärger, oder wollten sie mich nur fragen, warum ich das getan hatte oder besser; es vorhatte.

Da brach Joachim das Schweigen; ,,Ronja, was hast du dir dabei gedacht?" Ich schwieg, denn ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Immerhin wussten sie doch nun alles durch den Brief. ,,Ronja, bitte sieh mich an.", sagte der Regisseur mit einer verzweifelten Stimme und deshalb konnte ich nicht anders, und musste hoch sehen und in seine Augen. ,,Wieso wolltest du dir wegen diesen Jungen bitte das Leben nehmen? Sie sind das doch nicht wert!" Ich wollte etwas erwidern, als Marlon dazwischen kam: ,,Und Streit zwischen Geschwistern kommt nun mal zwischendurch." ,,Das sind doch nur Teile des Ganzen.", gab ich leise und gedrückt hervor. ,,Dann sag uns das ganze Stück!", bat Leon mich. Ich seufze. Sie verstanden mich einfach nicht. Ich versuchte es ihnen aber trotzdem zu erklären;

,,Versucht ihr euch doch mal in meine Lage hinein zu versetzten! Stellt euch vor, ihr hättet eine Freundin, die ihr über alles liebt und dann kommt da so eine blöde Sache, die alles zwischen euch verändert. Immer wieder streitet ihr euch und für sie ist schon alles vorbei. Sie sucht sich schon einen neuen Freund. Dann seit ihr kurz davor, nach langer Zeit, endlich wieder zueinander zu finden und plötzlich kommt der neue Freund und macht alles kaputt. Zudem verliert ihr auch noch euren besten Freund oder eure beste Freundin. Die Familie ist halbwegs zerstritten. Ihr habt einfach keinen Zufluchtsort mehr. Dann bemerkt ihr auch noch, das ihr euren besten Freund oder eure beste Freundin die ganze Zeit verarscht habt, dabei war er oder sie die ganze Zeit für euch da. Da würdet ihr doch auch nicht alles so hinnehmen oder?" Nun schluchzte ich, denn bei mir hatten sich Tränen gesammelt. Ein paar liefen mir sogar schon über die Wangen.

Meine Familie schien zu überlegen. Leon versetzte sich wirklich in meine Lage, denn mit einer traurigen Stimme sagte er: ,,Nein, das würde ich nicht."

Ich sah zu Joachim und konnte es kaum glauben; er war den Tränen wirklich nah und als er mit mir sprach, weinte er: ,,Aber wenn ich überlege, das ich dich verloren hätte...Das wäre glaube ich nicht nur mein Untergang gewesen...Das wäre es glaube ich für uns alle." Ich konnte nicht anders und musste aufstehen und zu ihm gehen. Er nahm mich in seine Arme und streichte mir über den Rücken. Es war komisch, denn nun wusste ich, das ich schon bald meinen leiblichen Vater mehr kennen lernen würde. Dabei fiel mir das Thema Umzug wieder ein und ich sprach es sofort an: ,,Verlassen tu ich euch aber trotzdem." Meine Adoptivfamilie sah mich erschrocken an und ich erklärte schnell: ,,Ich werde doch bald zu meinem leiblichen Vater ziehen. Trotzdem möchte ich euch wiedersehen!"

,,Das bekommen wir bestimmt geregelt. Ich wusste es aber auch schon bevor du uns den Brief geschrieben hast.", sagte Joachim und ich sah ihn verwirrt an. Ich hatte ihm doch gar nichts davon gesagt. Als er meinen Blick sah, sagte er: ,,Ich hatte schon davor mit Luke telefoniert. Er klang sehr nett. Ich denke, du wirst es gut bei ihm haben." Ich lächelte leicht. ,,Aber...", fing Joachim dann wieder an. ,,Er wird dich noch Heute abholen. Es sollte eigentlich eine Überraschung sein, aber du musst ja noch deine nötigsten Sachen packen." ,,Wie spät kommt er denn?", fragte ich aufgeregt. ,,Gegen 18:00 Uhr." Ich sah auf die Uhr. Oha, ich hatte nur eine Stunde um alles zu packen! Schnell sprang ich auf und rannte nach Oben. Dort schnappte ich mir meinen Koffer und packte alles Wichtige ein. Am Ende versicherte ich mich, das ich wirklich alles hatte, dann klingelte es auch schon.

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