34. Am Hafen

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Ich spürte wie meine Augen anfingen zu brennen. Bei der Vorstellung an meine Jungs wurde mir ganz flau im Magen. „Haltet unsere Freunde bitte da raus", flüsterte ich, ehe meine Stimme versagte.

„Was? Ich hab doch nur ein bisschen rumfantasiert." Der Busfahrer hob abwehrend die Hände und sah uns unschuldig an. Brock grinste schief.

„Macht mit mir von mir aus, was ihr wollt. Aber bitte tut den anderen nichts", bettelte ich.

Notfalls wäre ich sogar vor den beiden auf die Knie gefallen und hätte sie angebetet, solange nur meine Kollegen verschont blieben.

„Das liegt ganz an euch", erklärte Brock. „Die Aussicht auf ein baldiges Ende hast du dir aber mit der Aktion gerade verspielt. Das kann ich dir gleich sagen. Unser Deal von vorhin ist geplatzt!"

Hilflos hob ich meine Hände und wollte etwas einwerfen, doch ich bekam keinen Ton heraus.

Ich blickte meinen Bruder an, der immer noch an der Bustür stand und sich mit beiden Händen dagegenstemmte.

Ach, Till... Kleiner, dummer Till...

Ich hätte wieder sauer auf ihn sein müssen, aber die Angst überwiegte in diesem Moment.

Nach einer gefühlten Ewigkeit fand ich endlich meine Stimme wieder. „Und... Was habt ihr jetzt mit uns vor?"

Der Busfahrer und Brock warfen sich einen triumphierenden Blick zu. Anscheinend genossen sie es, dass ich vor ihnen erzitterte. Obwohl der Security-Mann doch noch vor wenigen Minuten so nett zu mir gewesen war. Bevor Till sich eingemischt hatte...

„Na, umbringen werden wir euch jedenfalls nicht", sagte der Fahrer nach einer endlosen Minute Schweigens.

„Solange ihr uns keinen guten Grund dafür gebt", ergänzte Brock.

Wieder sah ich zu Till rüber, der mit dem Rücken zu uns gegen die Tür trat.

„Zugegeben, ihr habt mich echt wütend gemacht", setzte der Security-Typ fort, während er sich mit einem Jackenärmel etwas Blut aus dem Gesicht tupfte und dieses danach mit düsterem Blick betrachtete. „Verdammt wütend."

Das zischende Geräusch einer sich öffnenden Bustür erklang und als ich mich zu meinem Bruder umdrehte, sah ich gerade noch, wie dieser aus dem Bus hinaus auf die Straße fiel. Während eines erneuten Versuchs, die Tür mit einem Tritt zu öffnen, musste der Busfahrer einen Knopf betätigt haben.

Ich hörte Till draußen stöhnen und eilte schnell hinaus, um nach ihm zu sehen.

Als ich die Stufen nach draußen in die Nacht hinabsprang, lag mein Bruder reglos auf dem Boden.

„Scheiße!", fluchte ich laut und kniete mich neben ihn.

„Das Geld und die Freikarte erwarte ich trotzdem pünktlich, morgen Abend!", rief Brock mir aus dem Inneren des Busses zu, ehe sich die Tür wieder schloss.

„Aber...", setzte ich an. Ich dachte, der Deal wäre geplatzt? Oder nur der Teil, in dem es hieß, ich würde danach endlich in Ruhe gelassen werden? Wahrscheinlich...

Ich sprach es nicht laut aus, sondern blickte hilflos dem Bus hinterher, der sich mit schneller Geschwindigkeit von uns wegbewegte und mich und meinen Bruder am einsamen Hafen in der Dunkelheit zurückließ.

„Alles in Ordnung, Tilli?"

Ich hockte neben meinem Bruder und stupste ihn mit meinen Händen leicht an.

Er murmelte etwas Unverständliches und rollte sich dabei auf seinen Rücken.

„Was?", fragte ich und er wiederholte, dieses Mal deutlicher: „Ich bring diese Mistkerle um!"

„Nein, das wirst du nicht tun", erwiderte ich. „Du hast uns schon genug Ärger gemacht."

Stöhnend umklammerte Till mit der linken Hand seine Rechte.

„Geht's dir gut?", erkundigte ich mich besorgt.

„Scheiße, nein! Natürlich nicht! Dieser Wichser!"

Ich half meinem Bruder, sich aufzusetzen, da er sich nicht mit seinen Händen am Boden abstützen konnte. Es bereitete ihm zu große Schmerzen.

Dann blickte ich mich kurz nach allen Seiten um.

Ein paar Lichter blinkten um uns herum, an Kränen oder entfernten Schiffen, ansonsten waren wir aber die einzigen Menschen im näheren Umkreis.

„Warum hast du nicht gehört, als ich dir gesagt habe, dass alles in Ordnung ist?", fragte ich meinen Bruder.

„Ich wollte dir einfach nur helfen", verteidigte sich dieser wütend.

„Ich weiß."

Ich wollte sauer auf ihn sein, aber ich konnte es nicht. Vielleicht hatte ich mich bereits daran gewöhnt, dass immer irgendwas dazwischenkam, wenn ich gerade dachte, dass alles gut lief.

„Komm." Ich zog ihn auf die Beine und betrachtete dann sein Handgelenk, welches er immer noch mit schmerzverzehrtem Gesicht umklammert hielt.

„Wir bringen dich jetzt erst mal in ein Krankenhaus."

„Nein." Till zog seine Hand zurück, was ihn kurz aufjaulen ließ, und erklärte dann mit fester Stimme: „Alles in Ordnung. Lass uns zurück zum Bus gehen."

Ich schüttelte entschieden den Kopf. „Was ist, wenn deine Hand gebrochen ist? Ich weiß, das wäre scheiße, aber..."

„Was ist mit dem Konzert morgen?", unterbrach mich Till. „Ich kann nicht Bass spielen, wenn ich einen Gips trage."

„Wir finden schon eine Lösung, aber ich will nicht, dass du es noch schlimmer machst, als es ohnehin schon ist."

„Das werde ich diesem Wichser heimzahlen!", fluchte mein Bruder.

Ich hatte zwar keine Ahnung, wo wir uns genau befanden, aber ich zog Till einfach hinter mir her, während dieser gar nicht mehr damit aufhörte, den Beiden alles Schlechte der Welt an den Hals zu wünschen.

Ich klingelte derweil mit meinem Steinzeithandy bei verschiedenen Freunden durch, in der Hoffnung, jemanden zu finden, der noch nüchtern genug wäre, um ein Auto zu organisieren, uns abzuholen und zum Krankenhaus zu fahren. Aber entweder es meldete sich irgendeine lallende Stimme oder gar keine.

Um ein Taxi zu rufen, war mir mein Geld zu schade. Ich versuchte sparsam zu leben, und eine einfache Fahrt durch Hamburg würde mich sicherlich ein Vermögen kosten.

Deshalb fragte ich mich auf den Straßen durch. Langsam kamen wir in belebtere Straßen, auf denen auch um diese Uhrzeit noch viele Leute unterwegs waren. Die meisten waren zwar betrunken, aber irgendwie kamen wir nach etlichen Kilometern doch endlich an einem Krankenhaus an.

Mein Bruder und ich hatten auf dem Weg kaum miteinander gesprochen.

Wir brauchten beide unsere Ruhe, damit jeder für sich das Geschehene verarbeiten konnte.

Die ganze Zeit lang wurde ich dieses ungute Gefühl in meinem Magen nicht mehr los. Ich war wieder genauso ahnungslos, wie vor dem Gespräch mit Brock im Nightliner.

Das befreiende Gefühl, das ich kurz verspürt hatte, schien Jahre her zu sein. Und die immerwährende Panik von damals schien niemals weg gewesen zu sein.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 16, 2021 ⏰

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