Kapitel 9

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Was tun sie wohl, wenn die Typen merken was für eine Heidenangst ich habe? Nützen sie es dann noch mehr aus? Was hatten sie überhaupt vor? Tausend Fragen schwirrten wie kleine Geister in meinem Kopf herum. Ein Wunder, dass mir das keine Kopfschmerzen bereitet hat  bis jetzt. Hoffentlich auch später nicht. Ich wusste, dass mir nur noch Sekunden blieben, bis sie in 'meinem' Raum waren. Was soll ich tun? Am liebsten davonrennen, aber wenn er ja Verstärkung hat bin ich sowas von am Arsch! Scheisse. Wenn ich mich verkrieche, oder zurückweiche, wenn sie reinkommen, werden sie es sicher noch mehr ausnützen. 

Vielleicht war es am besten, wenn ich eigentlich ganz cool und gelassen tat. Das könnte sie ja verwirren, es besteht dann Möglichkeit, dass ich eventuell eine Chance hätte abzuhauen. Aber selbst wenn ich es schaffen würde, sie haben Autos, nach kurzer Zeit werden sie mich sowieso wieder eingeholt haben. Also würde es mir nicht so viel nützen, es wird die Lage nur verschlimmern. Ich kann sie ja dafür endlich fragen, wieso man mich entführt hat. Sonst kann ich ja nichts tun. Wenn sie mich entführt haben, um meinen Vater einzuschüchtern, dann werden sie mir sicher nichts tun, solange Dad sich an ihre Anweisungen hält. Auch wenn er es nicht tut, was wahrscheinlich so ist, wäre er nicht so blöd und sagt ihnen auch noch, dass er ihre Anweisungen missachtet, weil er das nicht tun darf, kann oder will. Eher wird er sagen, dass es eine Weil dauert, er sich darum bemühen würde oder so, aber in Wirklichkeit sucht er nach einem Weg, um mich zu finden. 

Ich wusste immer noch nicht, wie ich mich verhalten soll. Was soll's, ich bleib einfach stehen, so kann ich mich wehren, falls man mich packt oder so. Aber nicht zu fest, nur, dass er mich loslässt.  Oder sollte ich mich lieber hinsetzen und so tun, als hätte ich überhaupt nicht bemerkt, dass sie da waren? Dann könnte ich so tun, als hätte ich Angst, weil ich über ihr plötzliches Kommen erschrocken bin.  

Moment mal! Ich glaubte im Vorraum eine Schlägerei ausmachen zu können. Warum? Was war da los, oder täuschte ich mich doch? Einen Moment überlegte ich, ob ich an die Tür stehen sollte, um zu lauschen, aber was, wenn die Tür plötzlich auffliegt? Deshalb ging ich einfach neben die Tür, so, dass sie mich nicht treffen könnte, falls sie jemand aufreisst. Ich presste mein Ohr gegen die Wand, aber leider sprach keiner der Typen da draussen. Shit, so hätte ich wenigstens gewusst, was los war.  Die ganze Zeit fragte ich mich deshalb, warum, und vor Allem wer, da prügelt. Naja eigentlich war das ja klar, aber es ist doch schon irgendwie seltsam, wenn die eine Bande oder sowas sind und sie sich prügeln.

Plötzlich ging alles schnell, die Tür flog auf und ehe ich loskreischen konnte vor Schreck, weil  das so plötzlich kam und ich nicht mitbekommen hatte, dass jemand die Tür aufschloss, stürzte sich jemand auf mich. Durch diese Wucht wurde ich zu Boden gestossen. Ich landete ziemlich hart auf dem Rücken. Mein Angreifer lag auf mir drauf. Rasch versuchte ich, ihn von mir runter zu schieben, doch er war zu schwer. Auf einmal verschwand das Gewicht von meinem Oberkörper und ich schnappte erleichtert nach Luft. Ich wappnete mich darauf, dass er sich vielleicht gleich erneut auf mich stürzt, aber stattdessen klappte er neben mir zusammen und knallte mit dem Kopf auf den harten Boden. Autsch. Ich konnte mir vorstellen, dass das ziemlich wehtat und wollte deshalb nicht mit ihm tauschen. Jetzt sah ich meine Chance. Die andern prügelten sich immer noch, wahrscheinlich würden sie es nicht einmal bemerken, wenn ich mich zwischen ihnen davonschlich. Bevor ich darüber nachdenken konnte, war ich schon fast aufgestanden. Als ich aufrecht war, schwankte ich, da ich wohl zu schnell aufgestanden war, und merkte schon, wie ich hinfiel. Ich stellte mich schon mal auf den Schmerz ein, der mich beim Aufprall sicherlich erwarten wird. 

Doch bevor ich ganz auf dem Boden war, wurde ich festgehalten und wieder hochgezogen.  Ich blickte in das freche Gesicht eines blonden Jugendlichens. Keine Ahnung woher ich das wusste, aber irgendwoher dachte ich mir, dass mit ihm nicht zu spassen war. Schon überlegte ich, ob ich ihm in die Eier treten sollte, liess es aber bleiben. Der war sicher unberechenbar, so wie er aussah. Stattessen gellte ich:
"Lass mich sofort los!" Der Typ grinste komisch, setzte sich auf den Boden, zog mich mit und schlang seine Arme um mich. Nun sass ich direkt vis-à-vis vor ihm und blickte in sein Gesicht. Er beugte sich nach vorne und flüsterte mir ins Ohr: 
"Wieso sollte ich das? Ich will einen Dank hören. Schliesslich habe ich dich gerettet." 
"Nennst du das gerettet? Was soll..." Er drückte mir seinen Zeigefinger gegen die Lippen.
"Beruhig dich doch. Ich tu dir doch nichts."  Ich zog die Augenbrauen hoch. Ja klar. Dass er mir nichts tut, habe ich mir natürlich schon die ganze Zeit gedacht. Als er meine Augenbrauenbewegung sah, begann er zu grinsen. Irgendwie sah es noch total süss und nett aus, denn es bildeten sich kleine Grübchen auf den Wangen. Mann Leila, was denkst du da für einen Quatsch? Der ist gefährlich, aber dennoch kam er mir irgendwie bekannt vor. Ich war mir sicher, dass ich ihn schon einmal gesehen hatte, aber wo und wann das war wusste ich nicht mehr.  

Langsam ging er mir auf die Nerven, ausserdem wollte ich ja abhauen, so lange ich noch konnte. Deshalb begann ich mich zu winden, um mich aus seiner Umklammerung zu lösen. Der Junge merkte es und zog mich fester an seine Brust. Als ich ihn ansah grinste er bloss wieder.
"Lass mich jetzt bitte los, es ist unangenehm!" jammerte ich gespielt.
"Für mich ist es sehr bequem und ich geniesse es." Ich seltsamerweise auch ein wenig. Keine Ahnung wieso, aber irgendwie fühlte ich mich beschützt. Aber dennoch wollte ich lieber wegrennen, hatte aber leider keine Idee, wie ich von ihm wegkam. Um Hilfe rufen wird mit nichts nützen, aber ich glaubte, wenn mir niemand half, konnte ich aus eigener Kraft nicht von ihm weg. Darum dachte ich mir, dass ich es mal probiere, wenn jemand mir hilft und mich dann selber nicht loslässt kann ich ja immer noch treten oder so. Ich wusste, dass ich mich beeilen musste um abzuhauen, wer weiss, wie lange die Schlägerei noch dauerte. Obwohl ich mir fast sicher war, dass es nichts brachte, rief ich um Hilfe.  Der Typ presste seine Hand gegen meinen Mund und funkelte mich böse an. Doch dann wurde seine Miene wieder freundlicher. Auf eine Weise sah er total wild und gefährlich aus, doch auf der andere Seite wunderschön und fast ein wenig kindlich. So wie ein Junge, der Streiche ausheckt. Ich senkte meinen Blick auf seinen Oberkörper, wo ich eine Kette um seinen Hals baumeln sah. Neugierig betrachtete ich sie genauer. E war nicht unbedingt eine Kette, eher ein Anhänger oder so. Sie bestand aus zwei  Lederbändern, wo unten eine Art  Zahn,  antikes Trinkhorn oder sowas ähnliches, aus Metall  dranhing.
"Die werden dir nicht helfen" flüsterte er plötzlich. Nun löste ich meinen Blick von seiner Kette und schaute ihm in die Augen. Am liebsten hätte ich ihm zurückgegeben, dass er mir ja wohl auch nicht gerade half, aber er hatte immer noch die Hand auf meinem Mund. 

Doch dann nahm er sie plötzlich weg. Ich wollte ihn gerade anschnauzen, als er seine Lippen gegen meine legte und mich küsste. Ich war so schockiert, dass ich sogar vergass, mich zu wehren, oder abzuhauen. Mit einer Hand drückte er mich immer noch an sich, mit der anderen krallte er sich in meinem Haar fest. Erst nach einigen Sekunden war ich wieder im Stande mich zu bewegen, und überhaupt etwas zu fühlen, so seltsam das auch klingen mag. Doch aus irgendeinem Grund versuchte ich nicht mehr, ihm zu entkommen. Ein Teil wollte den Kuss erwidern, aber ich wollte auch einfach nur weg.  Entscheiden konnte ich mich überhaupt nicht. Da prallten zu viele Gefühle und Einflüsse aufeinander. Es war, als hätte etwas in mir einen Kurzschluss ausgelöst. Seltsamerweise hatte ich nicht mal eine Ahnung, wie ich mich jetzt gerade fühlte. 

"Luke! Lass sie auf der Stelle los!!" donnerte es auf einmal. Ich erschrak höllisch und der Junge ebenfalls. Wer da so geschrien hatte, konnte ich nicht sehen, da er wohl hinter mir stand. Aber diese Stimme... So vertraut und doch irgendwie fremd. Ich spürte, wie mir jemand die Hand auf die Schulter legte, und sich direkt neben mir hinkniete. 
"Alles in Ordnung?" fragte die Stimme besorgt. Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung und sah in das Gesicht von Eric!

White & BlackWo Geschichten leben. Entdecke jetzt