Kapitel 12

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Luke sah Oliver verständnislos an. Was genau Oliver ihm daraufhin zeigte, bekam ich nicht mit, da er direkt hinter mir stand, aber ich denke, dass er wahrscheinlich auf Eric deutete.  Seine Worte verfestigten meinen Verdacht.
"Ich will, dass du gefälligst ihn fesselst und nicht sie!" Das Wort 'ihn' betonte er besonders und ich spürte einen kleinen Ruck hinter mir, woraus ich aus irgendeinem Grund schloss, dass Oliver mit dem Kopf auf ihn deutete. Nun sah Luke ziemlich wütend aus und blickte Oliver kalt an. Hoffentlich meinte er nicht mich mit diesem Blick, ich weiss es ist unwahrscheinlich und ein unnötiger Gedanke, aber es könnte ja trotzdem sein, dass Luke sauer auf mich ist, weil er jetzt seinen Freund fesseln muss. Eigentlich ist das ja überhaupt nicht meine Schuld, aber ich bin so, dass ich den Fehler eigentlich immer bei mir zuerst suche. Ausserdem stand ich ja direkt vor Oliver, also könnte es doch sein, dass der vernichtende Blick mir galt. 

Eric hatte den Ernst der Lage wohl begriffen, denn als Luke sich an seinen Handgelenken zu schaffen machte, wehrte er sich überhaupt nicht, auch wenn Luke meiner Meinung nach ein wenig fest zudrückte, und ziemlich unsanft mit seinem Kollegen umging. Mir war diese ganze Situation total unangenehm, auch wenn ich wohl nichts dafür konnte, es war irgendwie einfach der Gedanke, dass jemand, dann noch sein Kollege, Eric so behandelte. Eigentlich bin ich der Meinung, dass man gar keine Personen so behandeln darf, ausser eventuell die, die das wirklich verdient haben, aber selbst da muss man die Grenzen kennen und einhalten. Da ich nicht mitansehen konnte, wie Luke seinen unschuldigen Kollegen so fesselte, musste ich einfach wegsehen. Leider ging das aber auch nicht, da dieser Oliver mich ja festhält, so, dass ich meinen Kopf nicht in die andere Richtung drehen konnte. Ausserdem glaubte ich nicht, dass es ihn sehr erfreuen würde, wenn ich wegsähe. Mit dieser gesamten Aktion will er uns alle doch bloss demütigen. Das ist ihm jedenfalls schon mal gelungen. Wie schlimm würde das wohl noch werden? Und vor Allem drängte sich wieder die Frage auf, was genau die jetzt von mir wollten. 

Schliesslich hatte Luke seine Aufgabe beendet und wandte sich wieder an Oliver. Lange sagte niemand etwas, so langsam bekam ich auch Angst, dass Luke nächstens irgendwas Falsches sagen könnte, was Oliver noch wütender macht, als er ohnehin schon ist. Wie das dann enden könnte, will ich mir gar nicht erst vorstellen.  Keine Ahnung, warum ich mir dachte, dass Luke Oliver beleidigen würde, ich hatte irgendwie einfach das Bild dieses frechen Typens in meinem Kopf. Schliesslich wurde mein Verdacht bestätigt, aber etwas anders als ich es mir dachte. Statt auch nur ein Wort zu sagen, hob er den Mittelfinger und knallte die Rolle mit dem Klebeband vor sich auf den Boden.

"Weisst du eigentlich, was für ein verdammtes Arschloch du bist?" bellte er, woraufhin Eric ein wenig zusammenzuckte. Ich ebenfalls, im ersten Moment, weil ich nicht mit einer solchen Lautstärke und Ton gerechnet hatte. Dann begann ich zu zittern, wahrscheinlich weil ich jetzt Angst vor Olivers Reaktion hatte.  Diese liess nicht lange auf sich warten. Er stiess mich grob von sich weg, direkt in Lukes Richtung. Das war aber mein Glück, denn so konnte dieser mich auffangen, ohne, dass ich auf den Boden fiel und mir irgendwelche Verletzungen holte. Erneut staunte ich über seine schnelle Reaktion, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre, wäre ich ganz sicher zu langsam gewesen, um ihn rechtzeitig zu halten und wieder hochzuziehen, zudem hätte mir zweifellos die Kraft dazu gefehlt. Luke hingegen stützte mich mit Leichtigkeit und zog mich sogleich hoch und schlang seine Arme um meinen Körper. erneut durchflutete meinen Körper so ein seltsames Gefühl, wie da, als er mich vorhin zu ersten Mal schon umarmte. Jetzt fühlte ich mich aber gleich von Anfang an beschützt und sogar wohl. 

Doch ich hatte nicht wirklich gross Zeit, um über meine Gefühle nachzudenken, denn kaum war ich in Lukes Armen setzte sich Oliver in Bewegung und kam direkt zu uns rüber. Augenblicklich löste Luke seine Arme von mir, schob mich hinter sich, so dass er schützend vor mir stand. Dabei hielt er aber meine Hand fest. Ich drehte mich zu Eric um und überlegte, ob ich wohl schnell genug war, um zu ihm zu gehen und ihn loszubinden. Doch als ich sah, dass Luke wohl ganze Arbeit geleistet hatte, verwarf ich den Gedanken wieder, ich wollte verhindern, dass Oliver einen weiteren Grund hat, sich aufzuregen.  Ausserdem fragte ich mich, wie der wohl war, wenn er nicht gerade vor Wut kochte. Aber eigentlich wollte ich ihn nie mehr sehen, nicht mal, wenn er gut drauf war. War der überhaupt irgendwann mal gut drauf? Er schien mir einfach total unberechenbar, aber das sind ja theoretisch alle Personen, sie man nicht gut kennt. Anderseits war ich mir nicht mal sicher, wie meine Freundinnen reagieren würden, wenn sie jetzt in meiner Situation wären, ehrlich gesagt wusste ich nicht einmal, was ich jetzt machen sollte. Am Allerliebsten hätte ich natürlich nach einer Fluchtmöglichkeit gesucht, aber ich hatte Angst, dass man mich dabei erwischt und wir dann alle noch mehr drankommen.  Erneut bekam ich Angst, dass Oliver uns alle bloss aus Spass foltern wollte. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich Eric diese Frage stellen sollte, denn schliesslich kannte er seinen Kollegen besser als ich. Doch ich liess es bleiben, da ich Angst vor Olivers Reaktion hatte, denn ich war mir sicher, dass er es ebenfalls hören würde, auch wenn ich ganz leise sprach. 

Obwohl ich es eigentlich gar nicht sehen und wissen wollte, schaute ich trotzdem hinter Luke hervor, um zu erkennen, was Oliver tat, oder herausfinden, was er tun könnte als nächstes. Soweit ich beurteilen konnte, schien dieser noch ziemlich ruhig zu sein. Er stand bloss vor Luke und starrte ihn an. Oliver war vielleicht einer oder zwei Zentimeter grösser als Luke, dennoch sah man sehr gut, das Oliver mehr Autorität ausstrahlte und somit beinah auf Luke runter sah. Wenn mich jemand so anstarren würde, dann drehte ich sicher durch.  Doch Luke schien das gar nichts auszumachen. Sein Gesicht konnte ich zwar nicht sehen, aber anhand seiner Haltung, interpretierte ich für mich, dass es ihm nicht unangenehm war. Wahrscheinlich war es sich das von Oliver eigentlich gewohnt. Erneut staunte ich über die Ausdauer und Geduld die die Beiden zu haben schienen und schielte erneut zu Eric rüber. Als mein Blick seinem begegnete wollte ich im ersten Moment sofort wegschauen, doch ich beherrschte mich, da das vielleicht ein wenig auffällig gewesen wäre. Dennoch schaute ich, dass ich ihm nicht gerade direkt in die Augen blickte, kein Ahnung wieso. Es war mir wohl irgendwie peinlich, wenn er erfahren würde, dass ich ihn verknallt war. Ich meine, er hat sicher schon eine Freundin, so wie er aussieht und drauf ist. In der Schule habe ich ihn zum Teil ein wenig beobachtet und schloss, dass er in der Klasse ziemlich beliebt war. 

Das Seltsamste war aber, dass ich ein grösseres Kribbeln in der Bauchregion registrierte und sich mein Herzschlag erhöhte, als ich an Luke dachte. Vor Allem an die Umarmungen und den Kuss. Ich hatte das Gefühl, dass ich in Luke verliebt war. Aber geht das überhaupt, dass man in zwei Jungs gleichzeitig verknallt ist? Immer wieder hört man ja von Männern, die zwei Beziehungen aufs Mal haben, ohne dass jemand etwas weiss, ausser er selber. Doch es gibt ja viele Mädels, die auch etwa in meinem Alter sind und sich in zwei Jungs gleichzeitig verknallt haben.  Wenn man mir sowas erzählte, dann dachte ich mir immer, dass man für bei einem Jungen vielleicht bloss das Gefühl hat, dass man etwas für ihn empfindet. Aber jetzt, da ich selber dieses Gefühl in mir hatte, wusste ich nicht einmal, in wen ich nun wirklich verleibt war, oder ob ich es überhaupt war. Grosse Gedanken darüber, wie mein Traumtyp aussieht oder sich verhält, habe ich mir bisher nie gemacht, irgendwie stellte ich mir in meinen Tagträumen immer einen fiktiven Jungen vor, wenn ich wirklich in Eric verknallt wäre, dann wäre er ja mein Traumtyp und ich hätte auch sicher mindestens einmal von ihm geträumt.  Doch nichts dergleichen ist bisher vorgekommen, also überlegte ich mir nun logischerweise ernsthaft, ob ich in Wirklichkeit vielleicht in Luke verliebt war. Ich stellte mir sogar die Frage, ob Luke eventuell auch etwas für mich empfand. Wenn er es nicht wäre, dann hätte er mich ja wohl nicht geküsst, oder? Oder hatte der Kuss vielleicht eine andere Bedeutung? Aber welche? 

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