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In den nächsten Wochen passiert leider nichts. Wir haben uns alle nicht noch einmal getroffen und in der Schule verstehen wir uns auch nicht besser. Ich hatte gehofft, dass wir mehr miteinander machen, also dass wir wenigstens mehr miteinander reden, aber die anderen haben halt ihre eigene Clique und ich gehöre nicht dazu. Zwischen Emma und mir ist es irgendwie auch wieder eher distanziert und wir wechseln nur ab und zu einige Worte, aber mehr ist da nicht. Von der anfangs angenommen Freundschaft ist fast nichts mehr zu sehen. Ich bin wohl zu inkompetent, um eine Freundschaft aufzubauen oder ich bin einfach zu langweilig, weswegen sie nichts mit mir zu tun haben will.

Ich schiebe mit Mühe meine Selbstzweifel beiseite und versuche mich wieder auf die Aufgabe zu konzentrieren, die wir im Unterricht bearbeiten sollen.

„Fuck", flucht Hannah neben mir und greift nach meinem Radiergummi. Wir haben gerade Kunst und müssen ein Selbstporträt zeichnen. Während Hannah Probleme mit ihrer Zeichnung hat, verliere ich mich immer wieder in meinen Gedanken.

„Was ist denn?", frage ich und schaue auf ihr Blatt. Sie ist schon viel weiter als ich, im Gegensatz zu mir hat sie schon ihre Nase, ihren Mund und ein Auge gezeichnet.

„Ich kriege das andere Auge einfach nicht hin", stöhnt sie und setzt mit dem Bleistift einige Striche. Ich gehe nicht darauf ein und mache mich daran meinen Mund zu zeichnen.

„Ich hasse zeichnen, ich kann das einfach nicht", sage ich leise zu ihr, damit es unsere Lehrerin nicht hört.

„Ich kann es auch nicht." Ich schaue in den kleinen Handspiegel, den jeder bekommen hat und starre kurz in meine braunen Augen, ehe mein Blick über meine etwas unreine Haut wandert und schließlich bei meinem Mund ankommt. Ich schiebe die erneut aufkommenden Selbstzweifel wieder weg und konzentriere mich voll und ganz darauf ein einigermaßen gutes Bild zu zeichnen.

Am Ende der Stunde habe ich immerhin einen Mund, eine Nase und schon mal die Augenbrauen gezeichnet und bin einigermaßen zufrieden damit. Nächste Stunde muss ich dann nur noch den schwierigsten Teil machen, die Augen. Als ich mein Blatt vorne auf einen Tisch ablege, begutachte ich die anderen Bilder. Die meisten sind echt gut, da wir in unserem Profil eine Handvoll Leute haben, die richtig talentiert sind. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie noch jemand seine Zeichnung ablegt und schaue sie mir an.

„Wow, die ist echt gut geworden", sage ich freundlich und erkenne sofort, dass sie von Emma ist.

„Danke", meint Emma, lächelt kurz und geht dann wieder zu ihrem Platz. Ich begebe mich auch zu meinem Platz und packe meine Sachen ein, während ich nachdenke. Soll ich Emma einfach fragen, ob sie etwas unternehmen will? Aber was ist, wenn sie mich eigentlich gar nicht mehr mag und nichts mehr mit mir zu tun haben will? Soll ich warten bis etwas von ihrer Seite kommt oder frage ich sie morgen nach Psychologie, ob sie mich mitnimmt? Oder schreibe ich ihr einfach und frage da, ob sie sich mit mir treffen will?

***

Im Endeffekt habe ich nichts davon gemacht. Am Donnerstag habe ich mich einfach nicht getraut sie zu fragen, da ich nicht verletzt werden will und ich hasse mich dafür. Dafür, dass ich zu viel Angst vor Zurückweisungen habe und mich deswegen nichts traue.

Mittlerweile ist es schon wieder Dienstag und wir sitzen im Geounterricht.

„Oh man, ich habe echt Lust auf eine Party", murmelt Hannah und wackelt mit ihrem Kugelschreiber hin und her.

„Dann suche jemanden, der eine schmeißt und lade dich selbst ein", schlage ich vor, „also ich mache ganz sicher keine mehr, das ist mir zu viel Aufwand."

„Och, komm schon! Du hast für so viele Monate sturmfrei und dann willst es noch nicht mal nutzen?" Ich nicke und bekomme als Antwort ein Seufzen von ihr. „Gut, dann suche ich eben jemand anderes, der eine veranstaltet."

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