3. Türchen | Weihnachten oder die Rache der Harpyie - Teil 1

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Geschrieben von: isobelleheart

Fandom: Percy Jackson



Weihnachten oder die Rache der Harpyie

Am Weihnachtsmorgen werde ich bibbernd wach, weil es in unserer Hütte schneit. Und nicht nur, dass es schneit, nein, der Schnee liegt auch schon mehrere Zentimeter hoch auf meiner Bettdecke. Erschrocken richte ich mich auf. Wieso zur Hölle herrscht hier drin ein Schneegestöber? Camp Half-Blood wird doch durch magische Wettergrenzen geschützt!

"Fröhliche Weihnachten, Sage!", brüllt da plötzlich mein kleiner Halb-Bruder und wirft mir einen Schneeball mit Karacho mitten auf die Nase.

"Aua, Gandalf! Bist du blöd?! Was ist denn hier los?"

Durch einen Schmerzschleier hindurch sehe meinen Bruder Gandalf, der mitten in der Hekate-Hütte steht und ein erschrockenes Gesicht macht. Und ja, er heißt wirklich Gandalf, das ist kein schlechter Scherz. Sein Vater hatte früher einen kleinen Fantasy-Fanshop in Philadelphia. Gewaltiger 'Herr-Der-Ringe-Fimmel' sage ich nur... Natürlich sind auch alle anderen Söhne und Töchter der Hekate meine Geschwister, aber Gandalf stehe ich besonders nahe, der er ist (wie ich) seit ein paar Jahren eine Waise. Zumindest was den sterblichen Elternteil anbelangt.

"Hupsi... 'tschuldige, Schwesterherz. Ich wollte dich mit meiner Überraschung wecken!"

Grinsend streckt er die Arme aus und dreht sich in unserem eigenen kleinen Schneesturm. Obwohl meine Nase verdammt weh tut, ringe ich mir zähneklappernd ein Lächeln ab. Ich liebe Schnee. Letzte Woche habe ich ihm anvertraut, wie gerne ich mal weiße Weihnachten erleben würde. Gandalf hat sich diesen Wunsch offensichtlich gemerkt.

"Dankeschön, Gandi. Das ist süß von dir! Obwohl es allerdings ziemlich kalt hier drin ist", merke ich an und schlinge meine Arme um meinen Körper.

"Äh, ja, das ist der zweite Grund, weshalb ich dich wecken wollte. Den Schneezauber habe ich hinbekommen, aber jetzt bekomme ich die Wolken nicht mehr dazu mit dem Rieseln aufzuhören..."

Zerknirscht deutet er zur Decke, wo graue, schwere Wolken eifrig kleine Flöckchen durch die Hütte wirbeln lassen.

"Oh Mann. Wie oft soll ich es dir noch sagen, du Hornochse? Wirke nie einen Zauber, wenn du nicht fähig bist, ihn wieder zurück zu nehmen."

Mit einer schnellen, dennoch komplizierten Handbewegung, löse ich die Wolken auf.

"So geht das, siehst du?"

"Zauberhaft machst du das", flötet Gandalf und grinst. Da ist so ein kleiner 'Running Gag' zwischen Hekate-Kindern.

"Und wo ist mein Geschenk?"

"Das bekommst du heute Abend bei der Feier. Ich mache jetzt erstmal meinen Weihnachtsspaziergang. Willst du mit?"

"Nee, danke."

Gandi ist sowas von faul. Ich zucke mit den Schultern, putze meine Zähne und ziehe mir ein frisches orangene Camp-Shirt und selbst-bemalte Jeans mit bunten Blumen an. Jedes Weihnachten mache ich einen kleinen Spaziergang, um das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen. Vielleicht auch um den Weihnachtsabend ein bisschen davon zu rennen. Ich habe kaum die Hütten hinter mir gelassen, da laufe ich Chiron über den Weg.

"Ach, Sage. Was ist das denn schon wieder für ein langes Gesicht? Mr. D. und ich haben uns ganz tolle Spiele für heute Abend ausgedacht. Axtwerfen, Pegasus-Poker, Blinde Monster-Kuh..."

Chiron weiß, dass ich Weihnachten immer etwas traurig bin, weil ich keine sterbliche Familie habe, bei der ich die Feiertage verbringen kann. Natürlich ist Camp Half-Blood mein Zuhause, aber ich bin trotzdem neidisch, wenn dutzende Camper an Weihnachten zu ihren Elternteilen fahren. Ich setzte extra für ihn ein gequältes Lächeln auf. Er will mich ja nur aufmuntern.

"Klingt toll, Chiron", versichere ich ihm halbherzig und hebe die Hand, um mich zu verabschieden.

Ich hab' echt keinen blassen Schimmer, was 'Pegasus-Poker' überhaupt sein soll, aber es ist vermutlich auf Dionysos Mist gewachsen. Diese 'ganz tollen Spiele', die wir hier in Camp Half-Blood veranstalten, sind nämlich in der Regel nichts für schwache Nerven. Nicht selten geht auch schonmal einen Halbgott bei solchen Aktivitäten verloren. Zauberhafte Aussichten für den Weihnachtsabend, um das mal in Gandalfs Sinne auszudrücken.

Als ich die Hütten fast hinter mir gelassen habe, werfe ich nochmal einen Blick zurück auf unser kleines Domizil. Es ist noch nicht so lange her, dass ich in die Hekate-Hütte umgezogen bin. Vorher habe ich in der überfüllten Hermes-Hütte ein Bett gehabt. Die Erbauung meiner neuen Schlafstätte habe ich Percy Jackson zu verdanken. Nach dem Kampf gegen Kronos hat er dafür gesorgt, dass auch die Gottheiten eine Hütte bekommen, die bis dahin übersehen wurden.

Aktuell bewohnen jedoch nur Gandalf und ich die Hütte. Unsere Hüttenälteste Lou Ellen ist über die Feiertage bei ihrer Familie, so wie alle anderen unserer Geschwister und der Großteil der Camper allgemein.

Außer uns beiden aus der Hekate-Hütte bleiben dieses Jahr nur fünf weitere Camper zu Weihnachten hier. Cosette, Tochter der Aphrodite, Belladonna und Poppy, die Zwillingstöchter der Demeter, sowie Will und Nico, die ich euch bestimmt nicht mehr vorstellen muss.

Jeder kennt die großen Halbgötter unserer Zeit. Und obwohl sie trotz ihrer Berühmtheit nicht eingebildet sind, hab' ich insbesondere vor Nico immer ein ganz kleines bisschen Schiss. Der Typ ist einfach respekteinflößend mit seinem Schwert aus stygischem Eisen und einem düsteren Blick, der direkt in die Seele zu blicken scheint. Wenn er mal lächelt, dann eigentlich nur, wenn er mit Will zusammen ist. Die zwei sind (nach Percy und Annabeth natürlich) das süßeste Pärchen des ganzen Camps.

Auf einen Freund kann ich hingegen lange warten. Ich komme ja nie raus aus Camp Half-Blood, denn scheinbar hat niemand auf der ganzen Welt eine Mission für mich (obwohl ich mir jedes Jahr inständig eine zu Weihnachten wünsche). Wenn der Freund nicht zu mir kommt, dann sterbe ich eines Tages also vermutlich als ewiger Single. Das, oder ich belege irgendeinen Neuankömmling mit einem Liebeszauber. Beide Optionen sind nicht gerade ur-romantisch.

Bei den Erdbeerfeldern begegne ich Belladonna, deren Tollkirsche-Ohrringe fröhlich an ihren Ohrläppchen baumeln und Poppy, die ihre Harre stets mit dutzenden Mohnblumen schmückt, aber ich winke ihnen nur von Weitem zu und nehme dann Kurs auf den Waldrand, nahe den Stallungen. Hier ist man normalerweise immer völlig ungestört. Normalerweise.

Ohrenbetäubendes Gekreische wird in der Ferne laut und mir bietet sich ein Bild der besonderen Art. Um es kurz zu machen: Eine durchgeknallte Harpyie drangsaliert einen heftig humpelnden Kerl in zerrissenen Klamotten, der verzweifelt mit seinem Schwert nach dem flatternden Monster schlägt.

Das Schwert ist allerdings echt komisch geformt. Es ist lang, leicht gebogen und ziemlich schmal. Eventuell ein Katana? Der Typ selbst hat asiatische Züge, schwarze, strubblige Haare und ist verdammt hochgewachsen. Als er näherkommt, funkeln seine Augen geradezu golden. Er schaut sich panisch, nach Hilfe suchend, um. Sieht er mich denn nicht? Natürlich nicht, fällt es mir siedend heiß ein. Das Camp liegt hinter einer Zaubergrenze verborgen. Ohne weiter nachzudenken überschreite ich die Grenze (und damit auch den magischen Schutz meines Zuhauses) und wedle mit dem Arm in der Luft herum.

"Hey, hierüber!", rufe ich und errege damit nicht nur die Aufmerksamkeit des Typen, sondern leider auch die der Harpyie. Bockmist.

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