24. Türchen | Schicksalsbände

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Geschrieben von: SPIRITEDAMAY

Fandom: KPop / BTS


Schicksalsbände

Der letzte Monat des Jahres ist immer etwas besonderes – er ist irgendwie leiser, dunkler, anders als die anderen. Der Dezember war schon immer Jimins Lieblingsmonat, auch wenn er nicht recht benennen kann, was ihn so fühlen lässt, was ihn dazu bringt, so zu empfinden. Vielleicht ist es die altbekannte, bittersüße Schwere der Nostalgie, die ihn jedes Jahr aufs Neue überkommt, wenn sich das Jahr verabschiedet und er auf alles zurückblickt, was geschehen ist. Manches Mal hat er Angst, dass seine Erinnerungen zu schnell verblassen, ihre polychromen Farben verlieren und schließlich einfach aufhören zu existieren. Vielleicht liebt er den Dezember aber auch, weil es der Monat ist, der sowohl Ende als auch Anfang zugleich bedeutet. Erinnerungen verblassen, aber gleichzeitig entsteht Raum für neue.

Mit einem leisen Seufzen schiebt Jimin mithilfe seiner schwarzen Schuhspitze ein bisschen des puderartigen Schnees zur Seite, vergräbt die kalten Hände tiefer in den Taschen seiner kuscheligen Winterjacke. Der rote, flauschige Schal verdeckt fast sein gesamtes Gesicht, als er die Schultern zum Schutz vor der Kälte weiter nach oben zieht. Seine Wangen sind vom kalten Windhauch dieses Weihnachtsabends leicht gerötet, doch noch will er nicht wieder in die wohlige Wärme des kleinen, festlich geschmückten Backsteinhauses zurückkehren. Seiner Meinung nach hat Seokjin es etwas übertrieben mit der diesjährigen Weihnachtsdekoration – an den Fenstern hängen überall kleinere Mistelzweige mit einem roten Seidenbändchen, etliche Teelichtgläser mit Rentieren und Schneeflocken stehen überall verteilt und werfen warm–goldenen, flackernden Kerzenschein an die hellen Wände.

Der Adventskranz auf dem Wohnzimmertisch leuchtet heller denn je, ist überzogen von einer feinen Schicht goldenem Glitzer. »Für das bisschen mehr extra Magie, wenn du weißt, was ich meine«, hatte der Älteste ihn mit einem geheimnisvollen Zwinkern erklärt und danach irgendwie leicht gruselig gelacht. Aber Jimin hatte es nicht verstanden, was er meinte, und war schlichtweg nicht interessiert genug daran, es in Erfahrung zu bringen, was es denn nun mit dem »bisschen extra Magie« auf sich hatte. Für ihn war Weihnachten allein schon magisch genug.

Als er dies einige Tage zuvor mit leiser Stimme angemerkt hatte, wurde er von Seokjin, behängt mit Lametta und auf der Suche nach weiteren Teelichtern und Christbaumkugeln, nur mit einem verständnislosen Blick betrachtet. »Es kann nie genug Deko geben, Jimin. Nie.« Damit war der kurze Wortwechsel, der Sicht einmal als Gespräch betiteln lässt, beendet gewesen und Seokjin hatte, fröhlich Jingle Bells summend, seine Suche fortgesetzt. Jimin hatte ihm nur mit einem Kopfschütteln, aber auch einem leichten Grinsen auf den Lippen nachgesehen. Jedes Jahr dachte er, dass es nicht noch weiter ausarten könnte, doch jedes Jahr stellte es sich heraus, dass er sich erneut getäuscht hatte. Dieses Jahr starren ihm sogar kleine, rundliche Weihnachtsmannfiguren aus dem Flur entgegen und ein roter Stern aus Papier, mit einer winzigen Glühbirne im Inneren, baumelt über dem Wohnzimmertisch.

Und irgendwie hat Seokjin es sogar geschafft, Yoongi mit seiner Euphorie anzustecken. Zumindest soweit, dass dieser es nur mit einem genervten »Ist das dein Ernst?« über sich ergehen ließ, als Jin ihm heute morgen das »strahlendste Lametta, dass er auftreiben konnte« an die dunkle Brille gehängt hatte. Jimin hatte jedoch sofort gemerkt, dass Yoongi es gar nicht so tragisch fand, wie er versuchte es darzustellen. Ganz im Gegenteil, vermutlich hätte er sich am liebsten noch seinen wirklich abgrundtief hässlichen Weihnachtspullover aus dem letzten Jahr übergezogen. Bei dem Gedanken an den zufriedenen Gesichtsausdruck des Ältesten, der das restliche Lametta mehr schlecht als recht auf dem ohnehin viel zu überfüllten Weihnachtsbaum zu verteilen versucht hatte, musste Jimin schmunzeln; es war ein wirklich niedlicher Anblick, ihn so euphorisch zu sehen. Ein eisiger Windhauch lässt den jungen Mann zusammenzucken; fast schon fühlt es sich an, als würden kleine Eiskristalle seine Haut benetzen.

Das Öffnen und Schließen einer Tür, dazwischen das Gelächter seiner Freunde, die gerade Scharade spielen, lenkt seine Aufmerksamkeit in das Hier und Jetzt zurück. »Wo warst du gerade?«, erklingt nach ein paar Sekunden der angenehmen Stille die dunkle Stimme seines besten Freundes. »Ich weiß es nicht genau, irgendwie... habe ich nachgedacht und dann nicht mehr.« Es ist klar, dass Taehyung nicht wissen wollte, wo Jimin sich körperlich befand, denn er steht schon seit gut 10 Minuten hier draußen auf der Terrasse in der Kälte und starrt auf die bunten Lichter der Stadt nieder.

»Jimin...«, fing der Jüngere an, wurde jedoch schnellstens unterbrochen. »Nein, es ist nichts. Wirklich. Es ist alles gut. Nur...« Es wird wieder still zwischen den beiden. Nebeneinander stehen sie am filigranen, mit Schnee bedeckten Geländer, unter ihnen ein Lichtermeer. Taehyung fragt nicht nach, weiß, dass Jimin nur etwas Zeit braucht, um die richtigen Worte zu finden, die ausrücken können, was seine Seele sagen möchte.

»Es ist nur... Ich bin einfach so froh euch zu haben. Ihr seid meine besten Freunde, und wir haben so viel miteinander durchgestanden. Es ist schön, dieses Weihnachten mit euch, meiner Familie, zu verbringen. Das ist mir irgendwie so richtig bewusst geworden, als ich euch zugesehen habe, wie ihr verzweifelt versucht bei Scharade zu gewinnen. In dem Spiel sind wir wohl alle ziemlich erbärmlich.« Seine Hände ballen sich in den tiefen Jackentaschen zu kleinen Fäusten.

»Weihnachten ist so ein besonderes Fest, der gesamte Dezember hat dieses eine bestimmte Gefühl, das ich nicht benennen kann, und immer zu dieser Zeit muss ich zurückdenken an alles was war und ich bin... euch einfach so dankbar... für alles.« Taehyung legt einen Arm um die schmalen Schultern seines Freundes und zieht ihn näher zu sich, kurz darauf erklingt ein leises Schniefen. »Wir sieben, für immer. Wir bleiben immer zusammen, ich versprech's. Und glaub mir, wenn ich dir sage, dass das neue Jahr so viel für uns alle bereithalten wird.« Ein stummes Nicken zaubert ein sanftes Lächeln auf die Lippen des Größeren.

»Alles wieder gut, Chim?« Bei dem liebevollen Spitznamen muss Jimin kurz lachen, doch wird dann ernst. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst mich nicht so nennen., Tae.«

»Ach ja, und was willst du jetzt machen?«, fragt der andere herausfordernd, eine Augenbraue gehoben. Taehyung kann sich nicht vorstellen, dass Jimin, der sonst immer voller Liebe ist, ihm auch nur irgendwie jemals Angst machen könnte. Einfach schon deshalb, weil er um einiges kleiner ist als er selbst. Doch da hat er nicht mit Jimin gerechnet, denn aus dem Nichts – zugegeben, er hat seine Aufmerksamkeit zeitweilig wieder auf die hell erleuchtete Stadt unter ihnen gerichtet– trifft ihn ein eisiger Schneeball mitten im Gesicht. »Das hast du nicht getan...«, mit großen Augen, gezeichnet von leichtem Unverständnis und auch einem Hauch Herausforderung, wendet er sich zu Jimin, nur um kurz darauf von einer weiteren Ladung eisigen Schnees getroffen zu werden. »Doch, ich denke schon, dass ich das getan habe.«

Und mit diesem Satz entflammt eine leidenschaftliche Schneeballschlacht, so weit es die kleine Terrasse zulässt – unter den sieben bilden sich zwei Teams mit Yoongi als Schiedsrichter. Dieser hat er sich mit einer dampfenden Tasse Kakao und »Rentierplüschhausschuhen«, wie er seine neueste Errungenschaft getauft hat, hinter der gläsernen Tür im Sessel bequem gemacht und erfreut sich jedes Mal daran, wenn wieder jemand von besonders viel Schnee getroffen wird. Das laute, herzhafte Gelächter erfüllt die Nacht, steigt auf zum glitzernden, sternenverhangenen Firmament. In Jimin macht sich neben dem leisen Gefühl der Nostalgie auch etwas anderes bemerkbar. Die unendliche Liebe zu seinen Freunden, die Dankbarkeit.

Als sie sich nach einer eisigen Schlacht und einem klaren Unentschieden wieder aufwärmen – dieses Mal dekoriert Seokjin sie alle mit dem Lametta – und leise Weihnachtsmusik im Hintergrund spielt, stimmt Jimin zunächst ganz leise, mit einer Schneemanntasse mit Kinderpunsch in der Hand, die Melodie einer ihrer Songs an, der für alle so viel mehr bedeutet. Die strahlende Lichterkette des Weihnachtsbaumes, die roten Christbaumkugeln, der Duft von Keksen und Zimt und Punsch, das Gefühl, dass sie mit jedem Tag weiter zusammenwachsen. Die wunderbaren Erinnerungen der letzten sechs Jahre, all die Erlebnisse – Jimin hatte sich geirrt. Sie verblassen nicht, sie verlieren nicht an Farbe. Sie sind sicher verwahrt in seinem Herzen, an einem Ort, der seine ganz eigene kleine Weihnachtsmagie besitzt.

»Weihnachten ist etwas ganz besonderes, es liegt so ein magischer Schimmer über allem, und ich bin froh, diesen Abend mit euch verbringen zu dürfen.«

Das rote Band des Schicksals, das sie alle miteinander verbindet, ihre Leben unwiderruflich miteinander verwoben hat, wird gestärkt. Und statt der Weihnachtsmusik erklingt nun die bittersüße Melodie von young forever

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