16. Türchen | Eine geheime Mission zu Weihnachten - Teil 2

37 4 0
                                    


Auch seine beiden Freunde, ein äußerst breitschultriger junger Mann mit den vollsten Lippen, die Aera je an einem männlichen Wesen gesehen hat, und ein sehr sympathisch wirkender Kerl im knallroten Oversized Pullover, auf dessen Brust in bunten Buchstaben „Hobi" eingestickt ist, schauen neugierig zwischen ihnen beiden hin und her. Letzterer strahlt sie dabei mit einem so schönen Herzmund-Lächeln an, dass Aera beinahe den Frust vergisst, der sich wegen der letzten nervenaufreibenden Stunden in ihr aufgebaut hat.

„Ja, wir sind in der Uni im gleichen Kurs", klärt Namjoon lächelnd auf. „Aber ich hätte nicht gedacht, dass du an Weihnachten arbeitest", fügt er mit gerunzelter Stirn hinzu.

Aera seufzt auf. „Glaub mir, das hätte ich auch nicht ge-"

„Ey! Wo ist eure Bananenmilch?!", wird sie von einem frustrierten Ruf unterbrochen, der ungefähr aus der Regalreihe mit dem Tierfutter kommt.

„Jeongguk!", ruft der Breitschultrige zurück, bevor Aera auch nur für eine Antwort ansetzen kann. „Vergiss diese beknackte Milch und schwing deinen Hintern hier rüber! Wir haben Wichtiges zu tun!" Mit diesen Worten stampft er auch schon los, um die drei Jungs eigenhändig aus den Regalreihen zu zerren.

Silberjunge schaut gestresst auf seine Armbanduhr und mahnt: „Leute, wir verschwenden hier unsere Zeit. Hier gibt es keine Reifen."

„Bitte sag mir, dass ihr welche verkauft. An unserem Wagen ist einer geplatzt und wir müssen dringend weiter", fleht Namjoon sie auf Nummer sicher an. Doch Aera muss ihn leider enttäuschen:

„Tut mir leid. Wir haben ein paar Kanister Benzin im Angebot, ganz viele Dufttannen sowie erstklassigen Frostschutz ... aber Reifen verkaufen wir hier nicht", erklärt sie. „Ich würde ja sagen, dass ihr es in der etwa fünfzehn Minuten entfernten Autowerkstatt versuchen sollt, aber soweit ich weiß, hat das Team heute schon am frühen Vormittag Schluss gemacht", fügt sie mit mitleidig verzogenem Mund hinzu.

„Das ist ja fabelhaft." Silberschopf reibt sich genervt über die Stirn, während ihm Hobi beruhigend den Rücken tätschelt. „Dafür können wir doch nichts, Yoongi", betont er. „Und notfalls laufen wir eben, stimmt's, Namjoon?"

Eine Antwort bleibt ihm verwehrt, denn ein überraschter Schrei von hinten lässt die jungen Leute herumwirbeln und schleunigst zum Ursprung des Rufes eilen. Der Breitschultrige lehnt sich auf dem Boden sitzend mit schmerzverzerrtem Gesicht gegen ein Regal mit altem Gemüse und hält seinen rechten Fußknöcheln fest umschlossen. Jeongguk, Taehyung und das Engelsgesicht haben sich zu ihm hingekniet und sind sichtlich überfordert mit der Situation.

„Jin!", ruft Namjoon aus. „Was ist passiert?"

„Ich bin auf dem verdammten Boden ausgerutscht", presst Jin hervor. „Wieso ist er auch so feucht? Muss man in solchen Fällen nicht eigentlich Warnschilder aufstellen?", fragt er Aera mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Oh mein Gott, das tut mir schrecklich leid!", piepst das Mädchen.

„Tut es sehr weh?", möchte der Blonde vor ihr wissen. „Warte, ich helfe dir auf!"

„Das ist sehr nett von dir, Jimin", bedankt sich Jin. Jeongguk greift unter seinen anderen Arm und zusammen tragen die beiden Jin zurück in Richtung Kasse. Aera eilt voraus und holt hinter der Kassentheke den wackelnden Holzstuhl hervor, damit er sich darauf niederlassen kann. In aller Schnelle hat Aera ihm aus dem Hinterraum einen mit Malfarbe beschmutzten Hocker und ein Kühlkissen hergebracht, damit Jin seinen Fuß bestmöglich schonen kann.

„Wie schlimm ist es? Könntest du gleich gehen?", fragt Namjoon sorgenvoll nach. Die gesamte Truppe hat sich im Halbkreis um den Verletzten versammelt und nicht nur für Aera ist die Antwort eigentlich klar.

Wie zu erwarten schüttelt Jin den Kopf. „Ich glaube, ich habe mir den Knöchel umgeknickt", vermutet er.

„Oh nein", haucht Jimin. „Wir müssen zu einem Arzt!", fordert er, doch Jin schüttelt lächelnd den Kopf: „Ach nein, ich soll eure geringste Sorge sein. Kümmert ihr euch um unsere Mission."

Aera blickt verwirrt zwischen den Jungs hin und her, doch offensichtlich hat keiner vor, sie über besagte „Mission" aufzuklären. Stattdessen legt Taehyung nachdenklich seine Hand ans Kinn und sagt: „Entweder wir rennen jetzt tatsächlich mit mehr als 100 Paketen durch arme Vororte, oder aber wir geben auf."

Namjoon möchte etwas beisteuern, aber Jeongguk lässt das nicht zu. „Nein! Wir dürfen nicht aufgeben!", ruft er aus und rammt einen Strohhalm in das Bananenmilchpäckchen, das er sich in dem Moment aus der Sweatshirttasche hervorgezaubert hat. Als er einen entschlossenen Schluck nimmt, fragt Aera vorsichtig: „Äh, hast du auch vor, das zu bezahlen?"

Doch Jeongguk ignoriert sie völlig. „Denn aufgeben bedeutet verlieren! Und Jeon Jeongguk verliert nicht! Niemals!", macht er mit nach oben gereckter Faust klar.

„Also was schlägst du vor?", fragt Jimin ihn und holt ihn auf den Boden der trockenen Tatsachen zurück. Die da wären, dass Jin schlicht und ergreifend nicht laufen kann.

„Ähhh..."

„Keine Sorge, Jeongguk. Ich weiß schon, wer uns aus dieser Misere retten wird. Genau die Person, die mich überhaupt in diese Lage gebracht hat", sagt Jin mit einem Zwinkern, das nichts Gutes bedeuten kann.

Sein Blick ist vollkommen auf Aera fixiert, die jedoch zunächst nichts davon bemerkt, weil sie mit Argusaugen auszumachen versucht, wie viele Bananenpäckchen Jeongguk noch in seiner Pullitasche verschwinden lassen hat. Erst als sich nach und nach sechs weitere Augenpaare auf sie richten, blickt sie auf.

„Was? Habe ich was im Gesicht?"

„Ich bitte dich darum, uns bei einem kleinen Problem zu helfen", kommt Jin direkt auf den Punkt.

Schuldbewusst nickt Aera. „Klar. Ich tue was ich kann. Worum geht's?"

Wie sich herausstellt, ist das Problem der Jungs gar nicht so klein, wie Jin behauptet. Die Freunde haben sich für das diesjährige Weihnachtsfest vorgenommen, in bestimmten Straßen von Tür zu Tür zu ziehen und an ausgewählten Stellen kleine Überraschungen zu hinterlassen. Etwa Murmelsammlungen, Kurzgeschichten und JoJos für die Kleinen sowie Poesie-Heftchen für Ältere.

„Es gibt so viele Menschen da draußen, die den heutigen Abend traurig verbringen müssen. Senioren, dessen Liebsten verstorben sind. Kinder, die niemanden haben, der an ihre Geschenke denkt oder sich welche leisten kann. Wir wollten ihnen eine Freude machen", erklärt Namjoon, als wäre es die selbstverständlichste Beschäftigung junger Männer an Weihnachten, sich um das Wohl ihnen fremder Menschen zu kümmern.

„Wow... das ist wirklich sehr nett von euch." Aera ist wirklich beeindruckt.

„Tja, nette Gedanken bringen niemandem etwas, wenn wir nicht mal so langsam in die Pötte kommen und unser Ziel auch wirklich umsetzen", merkt Yoongi mit einem erneuten Blick auf seine Armbanduhr an.

„Alles klar! Mein Auto steht direkt vor dem Eingang, wir können gleich los!" Aera rennt zu ihrer Tasche unter der Kasse und schnappt sich ihren Autoschlüssel. Sie will sich wieder den Jungs zuwenden, als ihr die Kamera über ihrem Kopf ins Auge fällt. „Mist!", flucht sie leise vor sich hin. „Jungs, wir haben ein Problem. Ich kann nicht einfach gehen", erklärt sie den Jugendlichen, während sie genervt auf besagte Kamera zeigt.

Sieben Augenpaare folgen ihrem Finger an die Decke. „Wenn ich jetzt einfach verschwinde, bin ich gefeuert", stellt Aera klar.

„Reicht es nicht, dass ich hierbleibe? Was Besseres kann dieser Bruchbude eh nicht passieren", merkt Jin an und bringt damit nicht nur Jimin zum Kichern. Auch Aera muss schmunzeln. „So sehr ich dir auch zustimme... ich kann nicht einfach gehen", macht sie dennoch deutlich.

Für ein paar Sekunden schweigen die Jungs nachdenklich. Dann kommt Jeongguk eine glorreiche Idee. „Okay, Leute. Ich habe einen Plan. Los – alle raus." Er schiebt seine stutzigen Freunde förmlich aus der Tür und widmet sich dann mit einem schelmischen Grinsen Aera zu. „Stell dich bitte an die Kasse, halte deinen Schlüssel bereit und habe gleich ein wenig Angst, ja?", bittet er, bevor auch er auch der Tür verschwindet.

Was zur Hölle?

Adventskalender 2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt