2. Deutschland statt Italien

183 9 0
                                    

~19.03.20??~

Als Biggi an diesem Morgen wach wurde und sich aus dem Bett erhob, hatte sie gleich ein komisches Gefühl im Magen. Ihr war ganz plötzlich übel geworden. Schnell rannte sie ins Bad und hielt ihren Kopf über die Kloschüssel. Raus kam ihr gesamter Mageninhalt. Sie betätigte die Spülung und anschließend spülte sie sich auch mit kalten Wasser den Mund aus, um diesen komischen Geschmack loszuwerden. Sie wunderte sich, da es ihr gestern Abend doch noch bestens ging. Und das gerade jetzt, wo sie doch endlich mit Enrico ein paar Tage Ruhe hatte vor den stressigen Arbeitstagen.

Gestern Abend sind sie noch mit dem Auto losgefahren und befanden sich jetzt in einem Hotel, welches gute vier Stunden von der Heimat entfernt war. Sie wollten sich hier einen ganz tollen Urlaub machen. Mal Orte besuchen, die ihnen noch unbekannt sind. Enrico hatte sich schon wahnsinnig darauf gefreut und sie selbst natürlich auch. Und ausgerechnet jetzt war ihr kotzübel und ihr Magen spielte verrückt. Plötzlich stand Enrico in der Tür, der Biggi sofort ansah, dass es ihr nicht gut ging.

"Biggi, Schatz. Was ist denn los?"
"Wenn ich das wüsste, würde ich es dir sagen... Ich musste mich gerade übergeben. Irgendwie ist mir auf ein Mal richtig schlecht", meinte sie und streichelte sich über den Bauch.
"Oh je... Hast du vielleicht etwas falsches gegessen, was du nicht vertragen hast?"
"Ich weiß es nicht..."
"Natürlich geht es dir ausgerechnet jetzt nicht gut, wo wir mal etwas anderes von Italien sehen wollten..."
"Ja, es tut mir leid. Ich kann es ja auch nicht ändern. Ich habe doch selbst keine Ahnung, woran das liegen könnte..."
"Das weiß ich doch."
"Das kam auch so plötzlich. Denn gestern, nach der Anreise hier, ging es mir noch richtig gut... Und als ich aus dem Bett bin, musste ich sofort ins Bad rennen und hing mit dem Kopf über der Schüssel!"
"Na klasse... Soll ich dir vielleicht 'ne Tablette holen? Vielleicht hilft sie ja und dir geht es dann besser. Aber vorher solltest du was essen, auch, wenn es dir schwer fällt. Aber sonst zeigt die Tablette keine Wirkung."
"Das wäre zumindestens einen Versuch wert. Ich werde versuchen, etwas runterzubekommen..."
"Okay gut. Du legst dich am besten wieder ins Bett und ruhst dich aus, solange es dir nicht gut geht. Ich kümmere mich um alles, ja?"
"Okay... danke."

Wenige Minuten später kam Enrico zurück. Er hatte für Biggi ein Brötchen dabei und kramte dann aus seinem Koffer die Schachtel mit den Tabletten heraus. Er entnahm eine und reichte Biggi den Teller und die Tablette.

"Das ist sehr lieb von dir... Aber willst du denn gar nichts essen?"
"Ich esse später eine Kleinigkeit. Erstmal ist es wichtig, dass es dir wieder besser geht."
"Gut, danke", meinte sie und setzte sich, mit dem Teller in der Hand, auf die Bettkante.

Als sie es nach einiger Zeit geschafft hatte, das Brötchen vollständig zu verzehren und sie auch die Tablette eingenommen hatte, ging es ihr tatsächlich schon etwas besser. Aber trotzdem schien das komische Gefühl im Magen nicht verschwinden zu wollen.

Enrico griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. Denn solange sie noch hier saßen, konnte ja ein bisschen Unterhaltung nicht schaden, dachte er sich. Als der Bildschirm dann heller geworden war, schaltete er ein bisschen durch die Programme, bis er bei einem Wetterbericht stehen blieb. Es wäre ja nicht verkehrt, zu wissen, wie das Wetter werden sollte. Schließlich wollte er später mit Biggi noch etwas zu unternehmen.

"Heute ist der 19.03 und das Wetter wird voraussichtlich sonnig. Am Abend erwarten wir einen leichten Regenschauer!", sagte eine Moderatorenstimme.

Schon beim hören des Datums, fing Biggis Herz an, wie wild gegen ihre Brust zu klopfen. Durch den Schock war sie kurze Zeit nicht fähig dazu, ihre Lunge mit neuer Luft zu versorgen.

"Hast du gehört? Das hört sich doch klasse an! Den ganzen Tag strahlt die Sonne!"
"...Der 19.03...", flüsterte sie nur, während sie fixiert auf einen Punkt im Raum starrte.
"Ja, der ist heute... Biggi, ist alles in Ordnung mit dir?", fragte Enrico besorgt, hockte sich neben sie auf das Bett und legte einen Arm um ihren Rücken.
"...Drei verdammte Jahre...", meinte sie und sofort stiegen ihr Tränen in die Augen. Enrico wusste immer noch nicht, warum Biggi plötzlich so verletzlich war. Zur Beruhigung streichelte er über ihren Rücken, denn ihr ganzer Körper bebte.

"Was ist denn plötzlich los mit dir? Was war vor drei Jahren?"
"Deswegen geht es mir heute auch so schlecht..."
"Du sprichst in Rätseln! Was war denn vor drei Jahren?"
"Blödes Feuer... dumme Explosion. Warum? Warum gerade er? Das hat er nicht verdient! Und dann auch noch so qualvoll!"
"Achso, jetzt weiß ich, wovon du faselst... Ist das wirklich schon drei Jahre her?"
"Scheint so..."
"Wie schnell die Zeit doch vergeht..."
"Es tut mir auch leid, dir mit meiner Laune jetzt voll den Tag zu versauen, aber ich werde dieses Unglück einfach nie vergessen. Ich kann mich daran erinnern, als wäre es erst gestern gewesen! Gerade weil ich dabei war..."
"Das ist doch vollkommen verständlich, Biggi. Thomas war ja auch für lange Zeit dein bester Freund. Wie solltest du sowas auch vergessen können?"
"Er war nicht nur mein bester Freund. Er war so viel mehr für mich! Immer war er da, ob in guten oder schlechten Zeiten. Immer konnte ich mich auf ihn verlassen! Egal wie lächerlich mein Problem doch schien, er saß neben mir und hat, wenn nötig, eine Stunde seiner Zeit verschwendet, nur damit ich wieder lachen konnte. Wenn ich seine Unterstützung nicht gehabt hätte, hätte ich gar nicht mehr den Mut gehabt, nach dem Absturz noch mal in eine Maschine zu steigen. Er machte mir die Hoffnung, die ich nicht besaß. Nur er allein glaubte daran, dass ich wieder fliegen werde. Es ist einfach unvorstellbar, dass er jetzt nicht mehr da ist..."
"Aber leider ist das so. Es trifft halt immer die besten Menschen. Die, die das Leben lebenswert machen..."
"Das ist eine gute Aussage, der ich voll und ganz zustimme!"
"...Aber selbst wenn du jetzt den ganzen Tag hier geknickt rumhängst, bringt dir das Thomas auch nicht wieder. Und wir sind hier im Urlaub. Wir sollten doch den Tag nutzen, um etwas schönes zu unternehmen, nicht wahr?"
"Sag mal hast du mir überhaupt zugehört? Ich bin nicht in der Stimmung, heute irgendetwas zu unternehmen!", meinte Biggi, die jetzt auch etwas lauter wurde. Sie hätte sich mehr Verständnis von Enrico erhofft.
"Aber ich habe doch recht! Und schließlich zahlen wir hier einen Haufen Geld! Und ich sehe es nicht ein, das nur für das Rumsitzen im Hotel zu bezahlen!"
"Und warum tust du es dann? Du bist doch erwachsen! Du brauchst mich nicht, um etwas zu erleben! Und meine Erlaubnis brauchst du dafür auch nicht!"
"Du meinst, dass ich einfach ohne dich losziehen soll?"
"Ja, weil der Herr ja offensichtlich kein Verständnis hat! Also nutze doch die Zeit und schau dir hier die tolle, heile Welt an!"
"Und genau das werde ich auch machen!"
"Gute Idee! Und da du ja auch alleine klar kommst, werde ich jetzt meine Sachen packen und den Urlaub in Deutschland bei meinen Freunden verbringen. Die haben definitiv mehr Verständnis als du!", meinte Biggi, erhob sich von ihrem Bett und verschwand im Bad, um dort ihr Zeug zusammenzupacken.

"Warte! Okay, das war scheiße von mir und es tut mir leid. Können wir heute einfach hier bleiben und dann einfach ab morgen uns die Gegend anschauen?", meinte Enrico der sich jetzt in den Türrahmen gestellt hatte.
"Ob es mir morgen besser geht, weiß ich doch jetzt noch nicht. Außerdem ist dir das Geld doch zu schade, um nur rum zu sitzen. Das waren deine Worte. Und ich freue mich jetzt schon so darauf, meine Freunde wieder zu sehen. Also steht mein Entschluss fest."
"Jetzt biete ich dir schon das an, was du willst und du lehnst ab!"
"Aber du wärst doch dann unglücklich. Damals haben wir uns gesagt, dass Liebe bedeutet, auch den anderen los zu lassen. Also solltest du jetzt meine Meinung akzeptieren und mich meinen Urlaub dort verbringen lassen."
"Okay. Ich will nur, dass du vorher weißt, dass es mir leid tut. Es war dumm von mir, zu glauben, dass du so ein Ereignis einfach so verdrängen könntest..."
"Es ist in Ordnung. Es kann ja jeden mal eine dumme Bemerkung rausrutschen...", meinte Biggi und verstaute die Sachen in ihrer Tasche. Als sie dann alles zusammen hatte, zog sie den Reißverschluss zu.

"So, ich werde mir jetzt allerdings ein Taxi bestellen, dass ich möglichst den nächsten Flieger bekomme..."
"Soll ich dich nicht fahren?"
"Nein, das ist nicht nötig. Dann wird doch nur die Verabschiedung schwerer, oder nicht?"
"Du hast recht..."
"Also, mach' dir eine tolle Zeit hier. Wir sehen uns ja bald schon wieder. Es gibt keinen Grund, traurig zu sein."
"Natürlich nicht. Es sind doch nur zwei Wochen. Wir haben es schon mal länger ohne den anderen geschafft. Genieß' die Zeit bei deinen Freunden und grüß alle von mir, ja?"
"Das mache ich. Ganz sicher!"

Dann schloss sie Enrico zum Abschied in ihre Arme und gab ihm noch einen Kuss. Sie verließ dann das Zimmer, aber nicht bevor sie ihm noch einmal in die Augen geschaut hatte. Mit großen Schritten lief sie durch den langen Flur und nahm dann den Fahrstuhl nach unten.

Enrico stand immer noch auf der gleichen Stelle im Zimmer und blickte traurig auf die Tür. Aber er wusste, dass er es nicht mehr geschafft hätte, sie wieder umzustimmen. Also war es die beste Entscheidung, sie gehen zu lassen. Denn schließlich würden sie sich nach zwei Wochen schon wieder sehen.

Die 8. Staffel ~ Medicopter 117Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt