Lokis Blick verfinsterte sich und er sah zu Silvana. Seine Augen waren glasig und Tränen bildeten sich in ihnen. Sie wusste, dass dies die einzige Möglichkeit war, wie sie ihr Leben lang zusammen sein konnten und sie war gerade erstorben. Bisher war ihr nicht aufgefallen, dass Loki bereits seinen Dolch in der Hand hielt. Er hätte alles für sie geopfert, doch sich selbst das Leben zu nehmen, das würde er nicht tun. Nicht etwa, weil er nicht für Silvana gestorben wäre, dann er hätte ohne zu zögern sein Leben für sie gegeben, sondern weil er wusste, dass sie ohne ihn nicht leben konnte. Er wusste, dass es keinen Sinn ergeben hätte. Was hätte ihr die Unsterblichkeit genutzt, wenn sie die Ewigkeit ohne ihn verbringen müsste? Seine Finger hielten den Dolch so fest umklammert, dass die Knöchel weiß hervortraten.
„Das ist die einzige Möglichkeit, wenn sie unsterblich werden soll. Nirgendwo wirst du eine andere finden. In keiner Welt", hörte sie Iduns Stimme erneut, doch diesmal wie durch dicke Watte.
Silvanas Herz raste. Sie hatte also Recht behalten. Es war unmöglich mit Loki zusammen zu sein, jedenfalls nicht für immer und nicht für den Rest ihrer beider Leben. All das, weshalb sie ihn zuvor weggestoßen hatte... Sie hätte nicht nachgeben dürfen. Hätte sie das nicht getan, wären sie nun nicht in dieser Lage, hätten sie diese Enttäuschung nicht ertragen müssen. Nun würde alles noch viel schlimmer werden. Wieso hatte sie nicht widerstanden? Tränen rannen über ihre Wangen und ein unbändiger Schmerz erschütterte sie.
Loki erwiderte ihren verzweifelten Blick. Seine Gedanken schienen sich nahezu zu überschlagen, während er darüber nachdachte, wie sie mit diesem Rückschlag nun umgehen sollten. Sie konnte es kaum ertragen ihn so leiden zu sehen. Und diesen Anblick würde sie nun ihr ganzes restliches Leben ertragen müssen. Allein die Vorstellung davon fühlte sich an, als ramme ihr jemand ein glühendes Eisen ins Herz.
Doch dies war noch nicht alles, Lokis Schmerz würde über die Jahre noch schlimmer werden. Er würde es kaum ertragen können, ihren Verfall in rasender Geschwindigkeit mitzuerleben. Silvana wusste, dass er dasselbe für sie empfand, wie sie für ihn. Der Schmerz würde ihn früher oder später zerreißen. Das konnte sie nicht zulassen. Sie konnte nicht zulassen, dass er ihretwegen diese Qualen erdulden musste und denn diese würden ihn früher oder später zugrunde richten.
Da plötzlich breitete sich ein eigenartiges Gefühl in Silvana aus. Es war, als zöge der Brunnen sie zu sich hin, als würde er zu sich rufen. Sie wusste, dass dies der einzige Ausweg war. Sie wusste, dass dieser der richtige Weg war und so fasste sie einen folgenschweren Entschluss.
„Ich kann nicht zulassen, dass es dich zerstört. Ich werde dafür sorgen, dass wir zusammen sein können", flüsterte sie dann und kippte nach hinten.
Es passierte so schnell, dass niemand reagieren konnte. Sie klatschte im Wasser auf und begann sofort wie ein Stein zu sinken. Der Brunnen war unheimlich tief und je weiter sie sank, desto dunkler wurde es um sie. Sie sah sich um, erkannte in der Dunkelheit jedoch nichts.
Der Druck der auf sie wirkte war immens, sie hatte das Gefühl jeden Moment zu implodieren. Sie versuchte nicht einmal dagegen anzukämpfen, dass sie immer weiter in den Tiefen des Brunnens versank.
Nun spürte Silvana, dass sie Luft holen musste, doch es gab keine. Das Wasser schien sie beinahe zu erdrücken und ihre Lungen schienen immer kleiner zu werden und sich schmerzhaft zusammenzukrampfen. Sie bekam Atemnot, die immer schlimmer und schlimmer wurde. Sie strampelte verzweifelt, öffnete den Mund, als wollte sie nach Atem ringen und schluckte dabei einiges an Brunnenwasser, doch es war zwecklos – unter Wasser konnte sie nicht atmen.
Die Zeit verging so langsam, dass Silvana glaubte, dass schon mehrere Stunden vergangen sein mussten. Inzwischen merkte sie, wie ihr Bewusstsein zu schwinden begann. Ihre Sicht verschwamm immer weiter und sie blickte hoch zur Oberfläche, wo sie nur einen kleinen Lichtfleck ausmachen konnte. Noch einmal sah sie sich um, ihr Strampeln war schwächer geworden. Sie hatte es akzeptiert. Dann schlossen sich ihre Augen wie von selbst und sie entschwand vollständig. Nachdem sie ihre Augen geschlossen hatte, sah sie Loki vor sich, der nackt im Himmelbett auf dem Plateau neben ihr lag und sie liebevoll anlächelte, während das Licht der Sonne auf seinen makellosen Körper fiel. Das letzte was sie fühlen konnte, war wie ihr Leben aus ihrem Körper wich und sich mit dem dunklen Wasser des Brunnens zu vermengen schien.
Auf einmal spürte Silvana eine Berührung an der Wange. Sie riss ihre Augen auf, konnte jedoch niemanden erkennen. Noch immer lag sie im Wasser, am Grund des Brunnens. Irritiert sah sie sich um, sie wusste, dass sie ertrunken war, aber dennoch war sie noch hier. Wie war das möglich? Sie hatte gefühlt, dass sie gestorben war. Der Brunnen hatte sie zu sich gerufen, doch sie war sich nicht sicher gewesen, dass es wirklich funktionieren würde. Im Wasser fühlte sie sich plötzlich leicht wie eine Feder, das Gefühl, dass sie von einer ungeheuer starken Macht nach unten gezogen wurde, war verschwunden. Ohne darüber nachzudenken stieß sie sich vom Boden des Brunnens ab und schwamm zur Oberfläche.
Um sie herum wurde es wieder heller, doch sie merkte, dass ihr erneut die Luft ausging. Sie schwamm schneller und brach schließlich durch die glitzernde Wasseroberfläche. Sie holte einen tiefen Atemzug und klammerte sich dann mit beiden Armen am Brunnenrand fest, vor Angst, dass sie wieder versinken könnte.
Zwei starke Hände packten sie und zerrten sie aus dem Wasser, während sie hustete und Wasser spuckte. Sie erkannte Lokis verzweifelte Stimme, konnte ihn jedoch nicht verstehen. Erst als ihr Husten einen Moment verebbte, konnte sie seine Worte verstehen.
„Was sollte das denn?", fragte er sie dann mit Tränen gefüllten Augen, während er sie fest an sich drückte, als befürchte er, dass sie sich sofort wieder in den Brunnen stürzen könnte.
Für einen kurzen Moment schloss Silvana die Augen. Als sie sie wieder öffnete, war Idun in ihrem Blickfeld erschienen. Sie sah sie ungläubig an. Der Mund der Göttin war vor Erstaunen leicht geöffnet und sie schüttelte den Kopf.
„Ich glaube es nicht...", stammelte sie dann.
„Was?", fragte Loki mit besorgter Stimme.
Idun schüttelte wieder den Kopf, bevor sie antwortete.
„Der Brunnen hat das Opfer akzeptiert."
Loki sah sie irritiert an. Silvana jedoch wusste, was sie meinte. Sie verstand nun, was mit ihr in diesem Brunnen passiert war.
„Ich bin in diesem Brunnen ertrunken. Ich habe mich geopfert. Und bin scheinbar zurückgekehrt", sagte Silvana mit belegter Stimme und hustete erneut.
„Nicht nur das, du bist nun auch keine Sterbliche mehr", ergänzte Idun fassungslos.
Loki sah von Silvana zu Idun und wieder zurück. Er schien noch nicht zu verstehen, was gerade passiert war.
„Wie ist das möglich? Sie war doch nur drei Sekunden im Wasser", fragte er dann irritiert.
Idun jedoch schüttelte den Kopf.
„Nein sie hat Recht. Sie ist in diesem Brunnen ertrunken und dann wieder auferstanden. Hier oben waren es nur drei Sekunden, doch im Wasser des Brunnens scheint Zeit andere Dimensionen zu haben", meinte sie dann und musterte Silvana immer noch fasziniert, „sie hat ihr Leben gegeben und der Brunnen hat es genommen. Dafür belohnte er sie mit Unsterblichkeit. Sie hat mit ihrem Tod für das Leben bezahlt, für das Leben in Unsterblichkeit. So etwas habe ich noch nie erlebt."
Auch für Silvana ergab das noch nicht sehr viel Sinn, aber dass sie nun hier war bestätigte Iduns Aussage wohl. Seltsam war auch, dass sie sich nicht anders fühlte. Sie hatte angenommen, dass sie sich auf irgendeine Weise unverwundbar fühlen würde, wenn sie wie Loki unsterblich geworden war. Doch dies war nicht der Fall, sie fühlte sich wie immer, von dem Wasser in ihren Lungen abgesehen.
Nachdem sie aufgestanden war, hielt Loki sie immer noch fest, als wollte er verhindern, dass sie fiel. Silvana war dankbar dafür, denn sie war noch sehr wackelig auf den Beinen. Idun stand ihnen gegenüber, die Hände vor der Brust verschränkt und musterte sie mit eingehendem Blick.
„Ich danke dir", sagte Silvana dann mit leiser, rauer Stimme zu der Göttin.
Diese nickte ihr daraufhin nur zu und nachdem sie auch Loki zum Abschied zugenickt hatte, drehte sie sich um, nahm ihren Weidenkorb wieder auf und setzte die Ernte fort. Loki hielt Silvana mit einem Arm fest umfasst und zog mit der anderen Hand den Tesserakt aus seiner Tasche.
„Wir sollten nach Asgard zurück, du musst dich ausruhen", meinte er mit besorgter Stimme.
Silvana nickte nur schwach und klammerte sich an dem Gott fest, während sich wieder dieses grauenvolle Gefühl, dass ihr Innerstes nach außen gekehrt wurde, in ihr breit machte. Sie schloss die Augen, und als sie sie wieder öffnete, konnte sie erkennen, dass sie wieder in der Schatzkammer Asgards standen.
DU LIEST GERADE
Ein schicksalhaftes Band - Loki
FanfictionSilvana ist eine junge New Yorkerin, die im Jahre 2012 den Angriff der Citauri miterlebt hat. Sie ahnt jedoch noch nicht, dass sie an diesem Tag in Dinge verstrickt wurde, die sie nie für möglich gehalten hätte. Es zeigt sich, dass ihr Schicksal eng...