Machtwechsel

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Wieder hatten sie sich alle versammelt. Nur wenige Meter von der Lichtung vom letzten Mal entfernt. Nur wenige Stunden waren vergangen. Es ging schnell. Es waren wieder Kisten, die als Podest dienten, nahe an den Rand der neuen Lichtung gebracht worden. Schon hatten sich um sie herum die einflussreichsten Personen des Clans versammelt und stritten lautstark. Es war eine heikle Situation, ohne Frage, und es musste schnell eine Lösung gefunden werden. Wie sie eben am eigenen Leib erfahren hatten, waren sie hier keineswegs sicher. Außerdem mussten sie herausfinden, warum diese vielen Orks so plötzlich im heiligen Wald auftauchten. Sie brauchten dazu aber dringend einen Anführer und deshalb hatten sie sich nicht lange nach den Totenfeuern hier zusammengefunden.  

Alle Überlebenden, viele mit weißen Verbänden am Körper oder einem Stock als Stütze unterwegs. Einige weitgehend unversehrt, aber nicht einer hatte sich nicht wenigstens eine blutige Schramme gefangen. Bei dieser Zahl an Orks war es auch nicht weiter ungewöhnlich, dass ihre Truppe ziemlich dezimiert wurde. Etwa die Hälfte des Clans hatte beim Fest ein blutiges Ende erlebt. Der Clan war angeschlagen und gerade dann brauchte man einen starken Anführer.  

Trotzdem durfte keiner vergessen, dass sie sich in Anbetracht der Umstände mehr als gut geschlagen hatten. Dafür, dass sie aufs Äußerste überrascht worden waren und dafür, dass sie einer Zahl an Orks gegenüber gestanden hatten, die vielleicht sogar fast zweimal so groß gewesen war, wie die eigene, so war auch viel Stolz in den Gesichtern zu sehen, wenn sich auch nirgends die Sorge in irgendeinem Winkel verstecken konnte. 

Der Morgen war kühl und ob frischer Wind oder nicht, schon seit dem Ende der Schlacht zitterte Jiran erbärmlich. Er hielt seine Arme fest um seinen Körper und seine dreckige Kleidung geschlungen. Die hatte er noch nicht wechseln können. Ständig hatte er irgendwo geholfen. Sei es bei der Totenverbrennung, oder bei sonstigen Aufräumarbeiten. Die Vögel waren längst erwacht, doch konnte er sich keines fröhlichen Gezwitschers erfreuen. Dafür war der Herbst schon zu weit fortgeschritten. So musste er sich mit dem rauen Krächzen der Raben zufrieden geben. Vielleicht beschwerten sie sich darüber, dass sie ihr Frühstück verbrannt hatten. Oder sie begrüßten den Morgen, aber wenn sie das taten, dann war das eine seltsam unschöne Begrüßung.  

Ehnir erklomm das Podest. Er, der Nachtelf, der Faranir wohl am besten gekannt hatte, gewissermaßen sein teuerster Ratgeber und Freund in einer Person, breitete die Arme aus, um für Ruhe zu sorgen. Obwohl das fast völlig überflüssig war. Nur einige wenige Nachtelfen redeten noch miteinander, doch nach schnellen finsteren Blicken von allen Seiten, schwiegen auch sie alle. Wenn sie einen neuen Anführer wählen würden, wäre Ehnir für viele die erste Wahl. Einfach, weil er es verstand, jemanden zu führen und gleichzeitig noch gerecht und klug zu sein. Nur positive Eigenschaften wurden ihm zugeschreiben, auch wenn Jiran nicht daran glaubte, dass dieser Nachtelf so perfekt war, wie er tat.  

Er trug seine Haare als einer von wenigen noch lang und hatte ganz nach der Mode der Elfen allerlei hinein geflochten. Sein kantiges Gesicht, das selten von einem Lächeln beherrscht wurde und doch nie gemein oder abschätzend wirkte, ließ seine Augen in den tiefen Höhlen und unter den dichten Augenbrauen verschwinden. Er trug, ganz wie viele andere aus der Runde noch dreckige und blutige Kleidung, die an manchen Stellen sogar zerrissen war von Schwertstreichen, denen er nicht rechtzeitig hatte ausweichen können. Er sah weitgehend unversehrt aus und zudem noch wild entschlossen.  

„Ich bin froh, dass so viele von euch den schrecklichen Kampf überlebt haben. Leider nicht alle ... wir sollten sie nicht vergessen und was sie getan haben und auch in ihrem Sinn einen geeigneten neuen Anführer wählen." Dann machte er eine Pause, sah so schien es, jedem einzeln ins Gesicht, drückte sein Mitleid aus und machte dabei ein betroffenes Gesicht. „Auch gerade wegen der drohenden Gefahr sollten wir nicht länger zögern. Und damit ihr euch gebürtig ausruhen könnt - denn das ist dringend nötig, auch ich bin nicht in bester Verfassung - fangen wir gleich an." 

Der Blutschrein [4] - KriegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt