In den westlichen Wäldern

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Jatar ist weg!", sagte Jiran und wollte beiläufiger klingen, als er es tat. 

„Er ist öfter mal weg.", meinte Zuren und klang wirklich beiläufig. „Weißt du, er ist ein wenig seltsam. Aber immer wenn man ihn braucht, ist er dann wieder da. In bestimmten Dingen kannst du dich echt auf ihn verlassen." Er seufzte. „Und in manchen Dingen ist er der unzuverlässigste Typ, den ich kenne." Er sah Jirans verwirrte Miene und zuckte nur mit den Schultern. 

„Also er kommt zurück.", sagte Jiran und nickte dabei. 

„Sicher!", sagte Zuren und kniete sich hin.  

Er untersuchte eben die Spuren, die der riesige Vogel hinterlassen hatte. Zerfetztes Gras und aufgewühlter Boden an den Stellen, wo er gestanden und Jatar ihn gestreichelt hatte. Die Kerben in den Ästen oben auf dem Baum, wo er gesessen hatte, als sie angekommen waren. Und schließlich auch den Knochen, der tatsächlich einer war, einige Fetzen Fleisch und ein paar Blutflecken. Ohne Zweifel war der Knochen das Abendessen des Vogels gewesen und angesichts der Größe des Knochens musste Jiran feststellen, dass das auf keinen Fall ein kleines Hühnchen gewesen war. Schon eher etwas, das so groß war wie ein Elf und das ließ ihn schaudern. 

„Du hast wirklich keine Ahnung, was das für eine Vogelart war?", fragte Zuren wieder. 

„Glaub mir, wenn ich es wüsste, dann würde ich mich vielleicht weniger fürchten. Aber so ... Das Viech war wirklich riesig!" Jiran breitete seine Arme aus, doch Zuren sah nicht einmal über seine Schulter.  

„Es gab einmal so riesige Vögel, die fast wie Adler aussahen, aber noch größer waren. Sie waren weiß und hatten rote Schnäbel. Ziemlich einschüchternd, wenn man so einem gegenüberstand. Aber sie waren auch nützlich. Es hieß, Götter würden auf ihnen fliegen." Ejenuus war nun auch aufgetaucht und hielt den blutigen Knochen in der Hand. 

„Er hatte weißes Gefieder und einen roten Schnabel.", sagte Jiran leise und fürchtete sich noch mehr. Wenn nur Götter auf ihnen reiten konnten, warum konnte es dann Jatar? 

„Ah, also." Ejenuus warf den Knochen hoch und fing ihn wieder auf, nachdem er sich einige Male um die eigene Achse gedreht hatte. „Wir haben deinen Vogel gefunden." 

„Ein weißer Phönix, ernsthaft Ejenuus?" Zuren war nun aufgestanden und klopfte den Dreck von seinen Knien. „Für einen dieser Art sind diese Spuren hier absolut zu klein, viel zu klein." 

„Das heißt er wächst noch?", fragte Jiran und schlang sich seine Arme um den Körper. Wie gut, dass Jatar mit diesem Viech umgehen konnte.  

„Nein!", sagte Zuren entschieden. „Das heißt, dein Vogel ist sonst was, aber kein Phönix." 

„Ich bin anderer Meinung." Ejenuus kam näher und hielt den Knochen wie einen Zeigestab. „Jatars kleiner Vogel war bunt, oder nicht?" Jiran nickte, Zuren sagte gar nichts, aber Ejenuus sprach weiter. „Phönixe wachsen nicht, sie wandeln von Stadium zu Stadium. Dabei werden sie schlagartig größer. Sie verändern meistens ihre Farben und nicht selten ihr Aussehen. Jeder Phönix sieht ein wenig anders aus, aber letztendlich sind es alles Phönixe und kein anderer Vogel wird schlagartig so viel größer noch dazu größer als die meisten Magnuren." 

Das ließ die beiden anderen Clanführer erst einmal verstummen. Für Jiran klangen die Schlussfolgerungen von Ejenuus ziemlich logisch, denn nur so ließ sich dieses viel zu schnelle Wachsen des Vogels erklären. Außerdem hatte Jiran nun wirklich nicht wenige Bücher gelesen. Und auch wenn er sich nicht gerade auf Vögel spezialisiert hatte, er kannte die häufigsten Arten und ihr Aussehen. Dieser Vogel allerdings fiel durch alle Kategorien und schien doch gleichzeitig von allen Vögeln etwas an sich zu haben. Besonders vom Adler und die waren im heiligen Wald äußerst selten. 

Der Blutschrein [4] - KriegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt