Der Feind

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Der Ast brach unter dem Druck seines Faust. Unvermittelt stürzte Shonen nach vorne und musste sich mit beiden Händen abstützen. Er fluchte verhalten und sein Nebenmann grinste ihn an.  

„Schau nach vorne, du Idiot!", herrschte Shonen seinen Späher an. 

Dieser folgte seinem Befehl leise murrend und wandte seinen Blick nach vorne. Shonen suchte sich wieder einen guten Halt und setzte sich in die Hocke zurück. Den abgebrochenen Ast schleuderte er von sich, weit in das Gebüsch hinein. Er wischte sich seine Hände ab und blickte ebenfalls wieder nach vorne. 

Dort erstreckte sich das Lager des Feindes. Er hatte es, aus welchem Grund auch immer, hinter einem kleinen Hügel errichtet, somit konnte man es von Loton aus nicht wirklich sehen. Nur die Rauchfahnen waren von dem befestigten Dorf aus zu erkennen. Also wurden die Späher weiterhin gebraucht. Er hatte eindeutig den Befehl erhalten, dass er alles über den Feind herausfinden sollte. Diesen Befehl gedachte er auch so gut wie möglich auszuführen. 

Die vielen Feuer und die abgerissenen Zelte dort unten stellten ein solches Wirrwarr da, dass es Shonen richtig schwer fiel, ihre Zahl zu schätzen. Er verließ sich besser auf Zähler. Er war der beste, wenn es um Zahlen ging. Und schon gestern hatte er gesagt, es könnten um die zehntausend der Viecher sein, alle, Trolle und das andere Gezücht mitgezählt. Shonen wandte sich an den Mann, den er eben angeschrien hatte. 

„Was meinst du Zähler? Immer noch zehntausend?", fragte Shonen. 

Der Elf wirkte beleidigt, aber trotzdem antwortete er seinem Anführer. „Weniger. Einige Hundert sind auf Kundschaft wette ich." 

Shonen kniff die Augen zusammen, aber es schien ihm immer noch dasselbe Chaos zu sein, das der Feind Lager nannte, aber kaum einem solchen glich. Es war ein dreckiger Haufen, der von Scheusalen errichtet wurde, die keine Ahnung von irgendwas hatten.  

„Woher weißt du das?", fragte Shonen und versuchte gleichzeitig eine Struktur in dem Durcheinander herauszulesen. Es war schier unmöglich. 

„Da vorne." Zählers langer Finger zeigte auf eine Stelle, wo einmal Feuer gewesen sein musste. Schwarze Stellen zeugten noch davon. Mehr konnte der Anführer der Späher auf diese Distanz aber nicht herausfinden. „Gestern waren die noch an und es saßen dunkle Gestalten drum herum."  

Zähler kratze sich am Kopf und dann grinste er unsicher. Shonen sah ihn verständnislos an. „Waren Menschen, möchte ich meinen.", brachte Zähler heraus und Shonen zog die Stirn kraus. 

„Menschen? Bei den Orks?" Er sah zu der Stelle hin wandte sich an den Mann mit den besten Augen. „Siehst du Menschen im Lager?" Shonen legte ihm seine Hand auf die Schulter. 

Der Elf hatte sich erschreckt und sah den Anführer panisch an. Er rieb sich die Augen und starrte seinen Vorgesetzten an. Dieser seufzte und sah seinen Elf mahnend an. 

„Nicht einpennen, nur weil wir hier schon länger sind." 

„Tut ... tut mir leid Shonen, aber die letzten Einsätze sind ziemlich zahlreich. Das musst du auch zugeben." Andere Elfen nickte leise, doch Shonen wischte alles mit der Hand weg. 

„So ist das im Krieg. Aber meine Frage!" 

„Menschen?", fragte der Elf und schüttelte gleich den Kopf. „Hab keinen einzigen gesehen. Kann mir auch nicht vorstellen, dass die mit den Viechern da gemeinsame Sache machen." 

Shonen nickte langsam und doch waren seine Zweifel nicht weggefegt. Was, wenn die Menschen aus dem Osten auch noch kamen? Aber das war ein Schreckensszenario, das wenig mit der Wirklichkeit zu tun hatte. Was hätten die hier schon zu suchen? Zähler zuckte mit den Schultern.  

Der Blutschrein [4] - KriegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt