I. Kapitel - Auferstehung

319 15 8
                                    

„Wenn es den Tod nicht gäbe,
wären alle Augenblicke im Leben austauschbar.
So aber ist jeder Augenblick einmalig.“

- Jeanne Hersch

-------------------------------------------------

Rey kniete vor Bens Leiche. Tränen rannen ihr in Strömen über das Gesicht und sie schluchzte auf.
„Bitte Ben, tu mir das nicht an. Bitte verlass' mich nicht“, weinte sie und strich mit ihrer Rechten über seine kalte Wange.
Sie war wieder verlassen worden. Wieder hatte der Tod ihr jemanden genommen, den sie geliebt hatte.
Wie viele Verluste musste sie noch ertragen? Ihre Eltern hatten sie auf einem gefährlichen Wüstenplaneten zurückgelassen und waren wenig später umgebracht worden, Han, Luke und Leia waren gegangen und Ben war nun auch noch gestorben.
Wegen ihr gestorben.

Um sie zu retten. Und sie blieb allein zurück, fühlte sich so unvollständig und einsam wie niemals zuvor, war Ben doch derjenige gewesen, mit dem sie ein Ganzes ergab. Zwei, die Eins sind, im wahrsten Sinne des Wortes.
Sie hatte keine Ahnung, wie sie ohne Ben weiterleben sollte, ohne ihren Machtbundpartner, ohne den Mann, der ihr hätte helfen können, mit der Dunkelheit in sich umzugehen, bei dem sie sich nicht mehr einsam fühlte.
Sie schluchzte erneut auf und warf sich auf seinen Körper. Sein Herz hatte schon lange aufgehört zu schlagen.
Sie fühlte sich so schuldig.

Und sie wollte bei ihm sein, in der ewigen Schwärze des Todes.
Rey erschrak, als sie sich diesem Gedanken bewusst wurde, gleichzeitig musste sie zugeben, dass es ihr gar nicht so abwegig erschien, eines der Schwerter zu nehmen und ihr Leben zu beenden. Niemand würde erfahren, dass sie sich selbst das Leben genommen hatte, sie würde nicht Tage, Wochen und Monate versuchen müssen, mit der Trauer und dem Schmerz seines Verlustes fertigzuwerden, in dem Bewusstsein, dass sie es sowieso niemals schaffen würde.
Keiner konnte ohne den anderen leben, zum einen wegen des Zweiklangs, zum anderen war ihr Schicksal seit ihrer Begegnung vor einem Jahr eng miteinander verknüpft.
Poe, Finn und die anderen würden um sie trauern, aber die Zeit der Jedi war, wie Luke es gesagt hatte, längst vergangen.
Mit ihr würde die letzte Jedi, die letzte ausgebildete Machtnutzerin, die letzte Palpatine sterben, die Blutlinien der Skywalker und Palpatines hätten ein Ende gefunden und vielleicht würde dadurch auch der Frieden dauerhaft gesichert sein.
Ihr Dasein hatte keinen Zweck mehr, nicht, wenn sie ohnehin schon tot wäre, hätte Ben nicht eingegriffen. Sie war ihm dankbar dafür, dass sie ihm so viel bedeutete, dass er sogar sein Leben für sie gab, gleichzeitig wusste sie, dass sie ohne ihn nicht leben konnte.
Sie war nicht vonnöten, um die Galaxis nach dem Krieg wieder aufzuräumen. Die Gefahr war gebannt.
Sie konnte es nicht ertragen, weitere Menschen zu verlieren, die ihr am Herzen lagen, sie würde in der Einsamkeit ertrinken, an dem Schmerz ersticken und es gab absolut nichts, was sie an einem Freitod hindern würde.
Ben hätte das Gleiche getan, wäre es ihm nicht mehr möglich gewesen, sie zu retten, das wusste Rey.
Ihr Großvater hatte es auch nach seiner endgültigen Vernichtung geschafft ihr alles zu nehmen. Mit ihrem Tod würde sie sich zumindest den Schmerz ersparen können. Gerade als sie nach dem Lichtschwert greifen wollte, das neben Bens erkaltetem Körper lag, spürte sie zwei Arme, die sich von hinten um ihren Oberkörper schlangen und sie von der Leiche und der Waffe wegzerrten. Mehr als ein kehliges 'Nein', brachte Rey nicht hervor. Sie drehte sich um und musste ihren Kopf in den Nacken legen, um der blau schimmernden Gestalt ins Gesicht blicken zu können. Reys Augen füllten sich erneut mit Tränen, als sie merkte, dass Ben sie in seinen Armen hielt. Genau genommen sein Machtgeist. Rey umarmte ihn und legte ihren Kopf an seine Brust. Lange standen sie so eng umschlungen da.
„Ich verurteile dich nicht für deinen Wunsch, Rey“, flüsterte er. „Du hast genug ertragen müssen.“
Rey vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter. Sie wusste, die anderen würden ihren Todeswunsch nicht verstehen, nicht nachvollziehen können, ebenso wenig wie ihre Gefühle für Ben. „Komm nach Hause“, wisperte er in ihr Ohr, während sich sein Griff um ihre Taille festigte.
Sie hatte nie ein Zuhause gehabt. Der alte AT-AT-Läufer auf Jakku war kein Zuhause, er war eine Unterkunft, aber das Gefühl von Zuhause, das dem am nächsten kam, hatte sie erst erfahren, als sie zum Widerstand gestoßen war.
Und als die Macht sie mit Ben verbunden hatte, in dem Moment, als sie kaum noch geglaubt hatte, Hilfe zu bekommen.

Unbemerkt von den beiden blieben die anderen sechs Machtgeister, die sich in einiger Entfernung besprachen. Qui-Gon Jinn, Obi-Wan Kenobi, Anakin Skywalker, Luke, Leia und Meister Yoda diskutierten nun schon eine ganze Weile darüber, was zu tun sei. „Ist das Gleichgewicht in der Macht gesichert, oder nicht?“, ergriff Leia das Wort. „Ja und nein“, meinte Qui-Gon, „Das Gleichgewicht besteht momentan, aber es ist mit Bens Tod instabil geworden. Es gäbe Gleichgewicht, wenn Rey sterben würde, oder Ben am Leben wäre.“
„Können wir ihn nicht zurückholen? Wenn Rey tot wäre, gäbe es keine lebenden Machtnutzer mehr, die anderen den Umgang mit der Macht lehren könnten. Machtgeister sind zwar stark, aber lebende Machtnutzer sind wesentlich stärker im Umgang mit der Macht“, warf Anakin ein.
„Ben Solo zurück holen wir müssen. Erst dann perfekte Harmonie und Gleichgewicht in der Galaxis herrschen wird“, stimmte Yoda dem Vater seines letzten Padawan zu.

Rey merkte plötzlich, dass Ben nicht mehr durchscheinend blau war und sie konnte ganz deutlich sein Herz in seiner Brust pochen hören. Sie schaute zu seiner Leiche. Nur dass dort keine Leiche mehr war. Ben blickte erstaunt an sich herab.
„Wie kann das sein?“, fragte er Rey. Diese zuckte die Schultern, doch ihr Gesicht zierte ein strahlendes Lächeln. Plötzlich tauchte der kleine grüne Machtgeist von Meister Yoda neben ihnen auf. „Die Macht nun im Gleichgewicht ist“, sprach er zufrieden und grinste Rey und Ben an.

Plötzlich stürmten Finn und Poe in den Thronsaal des Tempels und sahen sie entgeistert an. Finn bemerkte die Machtgeister im Hintergrund, aber sein Augenmerk lag eher auf Rey und Kylo Ren.
„Was zum ... “, Poe wusste plötzlich nicht mehr, was er eigentlich sagen wollte, zu sehr schockierte ihn ebenfalls das Bild, was sich dem Ex-Sturmtruppler und dem Ex-Gewürzschmuggler bot.
„Also entweder funktioniert diese merkwürdige Plattform wieder, oder sie sind auch runtergesprungen“, bemerkte Ben mit einem Grinsen. „Du bist runtergesprungen?“
Rey starrte ihn entgeistert an. „Einer musste dir ja helfen, deinen größenwahnsinnigen Großvater zu stoppen. Und runterzuspringen war die schnellste Möglichkeit, zu dir zu kommen“, verteidigte sich dieser. „Du bist echt leichtsinnig“, sagte Rey daraufhin nur. „Liegt wohl in der Familie. Zumindest hätte mein Vater so eine Aktion mit Sicherheit auch abgezogen, wenn es um seine Familie gegangen wäre“, meinte der Größere.

Poe und Finn standen einige Meter entfernt, sodass sie nicht hören konnten, worüber Rey und Ben sprachen.
„Ich glaube, ich sollte besser gehen“, sagte Ben mit einem Seitenblick auf Poe und Finn. „Darf ich mit dir kommen?“ Rey sah ihn bittend an. Ihr widerstrebte der Gedanke, schon wieder von ihrem Machtbundpartner getrennt zu sein. Vor allem mit der Gewissheit, dass sie einander fast verloren hatten.
„Lieber nicht. Geh zu deinen Freunden“, bat Ben sie. „Ich will dich nicht schon wieder verlassen“, warf Rey ein.
„Machtverbindung, schon vergessen? Wir können miteinander kommunizieren, auch wenn wir Lichtjahre voneinander entfernt sind.“
Ben schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Ich nehme den X-Flügler von Luke und fliege nach Ahch-To. Du gehst mit deinen Freunden.“
Ben nahm sie noch einmal fest in den Arm, bevor er sich von ihr löste und aus dem Tempel hinausmarschierte.
Rey drehte sich langsam zu ihren Freunden um und ging auf sie zu.
„Schön, dass ihr es überlebt habt“, begrüßte sie sie.
„Gleichfalls“, erwiderte Poe.
„Wie kann es sein, dass du am Leben bist. Ich habe deinen Tod in der Macht gespürt“, sprach Finn das aus, wovor Rey sich insgeheim gefürchtet hatte. Jetzt wurde es nämlich kompliziert, das mit Ben zu erklären.
„Ich erkläre es euch auf Ajan Kloss", wich Rey geschickt der Frage aus. Sie drehte sich um und ging in Richtung des Tempelausgangs. Finn und Poe folgten ihr und die drei stiegen in den Millennium Falken, der vor dem Tempeleingang stand. Rey bemerkte, dass der X-Flügler tatsächlich weg war. Nur noch ein einzelner, einsam aussehender, alter, imperialer TIE-Jäger stand in der Nähe. Mit dem musste Ben wohl nach Exegol gekommen sein. Nachdem sie kurze Zeit später die Atmosphäre des Planeten verlassen hatten, sprang das Schiff in den Hyperraum und sie machten sich auf den Weg nach Ajan Kloss.

Geister der Vergangenheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt