4. Die menschlichen Abgründe

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Aries hetzte mit wild pochendem Herzen zur Therme und griff nach der ersten Person, die er sah. Außer Atem, konnte er kaum die Worte richtig fassen, während der Mann, den er verzweifelt an der Toga gepackt hatte perplex die Augenbrauen hochhob. „Da... da drüben in der Gasse... ist tot... habe ich... gefunden... nein, gesehen... das Mädchen!", haspelte Aries und erntete einen zunehmend missbilligenden Blick. Der ältere, gewichtige Mann zog Aries Hände barsch von seiner Kleidung und drehte sich zum Eingang der Therme um hinter vorgehaltener Hand zu seinem ebenfalls angegraute Begleiter zu murmeln: „Es sind heute Abend wieder unangenehm viele Verrückte unterwegs." Aries versuchte sich zu fassen, schüttelte den Kopf und atmete zittrig durch. Während die beiden in der Therme verschwanden, kam schon eine weitere vornehme matrona mit ihrem Sklaven an Aries vorbei, die er an der Schulter aufhielt. Mit unfreundlichen Blick starrte sie Aries an, den Mund unmerklich verzogen. „Bitte, du musst mir helfen! Da vorn in der Gasse habe ich-", begann Aries diesmal einigermaßen gefasst, doch der schwarze Sklave unterbrach ihn abrupt, indem er Aries' Hand unsanft von der Schulter seiner Herrin schlug. Mit verschränkten Armen stellte sich der Hüne zwischen Aries und die Frau, die ihm selbstzufrieden den massigen Rücken tätschelte und dann einfach wortlos weiterging. Aries wich vor dem Hünen leicht zurück, der auf ihn niederschaute wie auf ein Kind. Kein Zweifel, dass er Knochen brechen konnte mit seinen Händen, die so groß wie Aries Gesicht waren. Als seine Herrin schon in die Therme gegangen war, schnaubte er grunzend und wandte sich ab um ihn nachzugehen.

Okay, Aries musste sich sammeln. Er raufte sich mit bebender Hand das Haar und atmete einen Moment tief ein und aus. Wenn er so durch den Wind auf die Leute zukam, würde er nichts weiter erreichen, außer Abneigung und Missbilligung. Er ließ die Luft zischend entweichen, konnte aber nicht verhindern, dass sein Puls noch immer unangenehm schnell schlug. Der Anblick des Mädchens wallte wieder in ihm auf, doch er zwang sich zur Ruhe.

Ein gebückter Mann kam aus der Therme. Langsam bewältigte er die einzige Stufe, die die Türschwelle über dem Gehweg der Straße erhöhte. Er war allein und sah aus, als würde der nächste kräftige Windstoß ihn ins Wanken bringen. Aber Aries war gerade egal, wem genau er von dem Mädchen erzählte. Hauptsache irgendjemand wusste davon, holte zusammen mit ihm Hilfe und den Besitzer des Mädchens. Aber gerade als Aries den Greis ansprechen wollte, begann dieser sich unsicher und wackelig mit den Händen an der Mauer entlangzutasten. Er war blind... Seine halbgeschlossenen Augen waren auf den Boden gerichtet. Aries biss sich auf die Lippe, seufzte und ließ den Greis weiterlaufen. Ungeduldig schaute er sich um, ob noch jemand auf der Straße zu sehen war. Niemand. Nur eine dunkeldämmrige Straße und ein alter blinder Mann, der dringend Begleitung brauchte.

Mit steigender Ungeduld betrat Aries nun selbst die Therme und bog in die Männerumkleide, die im einer gewölbten Decke fast vollständig mit Mosaiken ausgeschmückt war. Muscheln und Seesterne waren aus kunstvoll zusammengelegten Steinchen in ein symmetrisches Rautenmuster auf den Boden eingelassen worden. In der Umkleide waren mehrere Männer, die redeten und lachten, ältere und jüngere, dicke und dünne. Aries hielt wie ein Sturm auf eine Dreiergruppe junger Männer zu, die gerade unanständige Witze über die Brüste einer Frau machten, die sie wohl eben gesehen hatten.

„Nicht wahr? Sie hatte solche Brüste, ich konnte ihren Bauchnabel nicht mehr sehen. Wahrscheinlich kann sie ihr ganzes Haus mit Milch versorgen, die brauchen keine Milch mehr kaufen." Allgemeines Gelächter. Aries packte den nächstbesten bei den Schultern und hieb ihn unsanft bei Seite. „Hey! Was willst du denn?!", knurrte dieser spontan gereizt und drei Augenpaare, vor einem Blinzeln noch vergnügt witzelnd, nun zwischen Überraschung und Ärger. „Ich brauche eure Hilfe! Draußen habe ich ein totes Mädchen gefunden. Bitte! Kommt kurz mit, vielleicht kennt einer von euch ihren Besitzer.", sagte Aries mit fester Stimme. Die drei sahen sich kurz an. „Eine Sklavin?", fragte sein Gegenüber mit leicht hochgezogen Augenbrauen. „Warum sollte uns eine tote Sklavin kümmern?", fragte der nächste, links von Aries. „Genau, warum? Immerhin ist das doch ihres Herren und nicht unseres." Das war der dritte, den Aries mit angespanntem Griff noch immer eine Armeslänge von sich hielt. Aries war fassungslos über so viel Ignoranz. Es kümmerte die jungen Männer also nicht, wenn vor ihren Füßen eine Tote lag? Ob Sklavin oder nicht, Aries hatte den Anblick ihres leblosen Körpers kaum ertragen können. „Warum?!", echote er nur ernsthaft verärgert. „Sie wurde ermordet! Ihr Blut ist noch frisch. Die Wunde am Kopf hat noch eben als ich sie fand geblutet! Selbst wenn ihr Besitzer selbst für den Schaden verantwortlich ist, dann hat er auch dafür Sorge zu tragen, dass er sie wieder mitnimmt und bestattet. Oder sollen wir sie jetzt einfach da liegen lassen bis ihr Körper von Insekten gefunden wird?" Wieder tauschten die drei Männer irritierte Blicke. Wie in einer Konversation, die Aries nicht mithören konnte schienen sie über ihre Augen kurz ihre Gedanken auszutauschen. Und wieder meldete sich sein Gegenüber zuerst. „Woher willst du wissen das sie ermordet wurde? Vielleicht ist sie einfach gefallen und hat sich den Kopf aufgeschlagen." Aries zischte fassungslos. Obwohl er sich über diese Möglichkeit noch keine Gedanken gemacht hatte, war das vom ersten Moment an keine Option für ihn gewesen. „Und selbst wenn es so wäre. Es ändert nichts daran das sie tot ist. Wir müssen ihren Besitzer finden!", forderte er ungeduldig, merkte aber allmählich, dass er bei den Männern auf taube Ohren stieß. Sie würden ihm nicht helfen. „Wir müssen gar nichts! Ihr Besitzer wird sicher von der Stadtpatrouille ausfindig gemacht und muss für den Schaden aufkommen. Und jetzt geh wen anderes auf die Nerven!", meinte Aries Gegenüber abfällig und den junge Mann, den er festgehalten hatte befreite sich grob aus seinem Griff und stieß Aries nun seinerseits unsanft bei Seite. Aries schüttelte wütend und fassungslos den Kopf, als sich auch noch die beiden grauen, nun völlig entkleideten Herren von der Straße meldeten. „Lasst euch nicht von diesem Verrückten irritieren. Der hat auch schon uns versucht, komisch zu kommen draußen auf der Straße. Solche Leute sollte man am besten ignorieren und gar nicht erst mit ihnen reden. Meine Luft kann ich auch besser verschwenden.", meinte der dickliche sarkastisch glucksend zu den jungen Männern, die daraufhin grinsend nickten. Aries verfinsterte seinen Blick. „Ich. Bin. Nicht. Verrückt! Geht doch raus und seht euch das Mädchen selbst an, wenn ihr mir nicht glaubt! Anscheinend ist das für euch keine große Sache ein totgeschlagenes Kind vor den Füßen zu haben. Ihr geht dann einfach drum herum wie um einen Haufen Dung, nicht wahr? Was ist nur los mit euch?!", knurrte Aries wütend in die Runde und wurde immer lauter. Sofort erstarben auch die letzten Gespräche im Raum und ein Dutzend paar Augen legte sich teils neugierig, teils unfreundlich dreiblickend auf ihn. Aries atmete heftig und hätte am liebsten allesamt am Kragen gepackt, hinaus auf die Straße gezerrt und ihre Nase in das Blut des Mädchens getaucht. Mal sehen ob sie dann immer noch so arrogant und überheblich reagierten. „Seht ihr das? Genau das passiert, wenn man Verrückten zu viel Aufmerksamkeit schenkt. Es verdirbt einem die ganze Stimmung und macht einen nur unnötig angespannt.", meinte der ältere Herr erneut an die Jungengruppe gewandt, ganz so, als wäre Aries gar nicht da. Er konnte es nicht fassen, er schäumte vor Wut über die Reaktion. Als hätte er sich das alles ausgedacht! Pah! „Oh Entschuldigung, dass ich dir die Stimmung verderbe indem ich darauf aufmerksam mache, dass da draußen ein Mord geschehen ist. Das nächste Mal zuckte ich mit den Schultern und gehe einfach weiter wie du das ja anscheinend auch tust!", fuhr Aries ihn mit einem spottenden Unterton an. Da kam plötzlich Titus aus dem Nichts auf Aries zu und umarmte ihn mit einer freundlichen Begrüßung. „Aries, mein lieber Junge. Was machst du denn hier? Ist alles in Ordnung?", fragte er, den besorgten Vater spielend und flüsterte ihm unhörbar für andere ins Ohr: „Lass gut sein. Du machst dich nur lächerlich, wenn du noch weiter hier herumschreist und dich provozieren lässt." Aries zog eine Grimasse, verbiss sich aber jedes weitere Wort, als sein Onkel in losließ und sich dann zu dem älteren Mann umdrehte. Sein Lächeln war strahlend. „Du musst ihn entschuldigen, ich bin sicher er wollte niemandem die Stimmung verderben. Er ist Choleriker, manchmal steht er innerlich in Flammen und dann fasst er die harmlosesten Worte falsch auf. Aber wir haben schon einen Arzt aufgesucht, es wird bald besser werden.", meinte Titus in freundlicher Höflichkeit und schien die Gemüter im Raum tatsächlich zu beschwichtigen. Aries selbst allerdings war das alles zu viel. Er konnte das alles nicht recht verstehen, wie eine Information, die alle irgendwie mitbekommen hatten und er nicht. Etwas wie; Ab jetzt waren tote Sklaven auf offener Straße normal und nicht weiter zu beachten. „Dann hoffe ich für ihn, dass es nicht noch einmal vorkommt. Wenn er andere noch einmal wie ein Verrückter angeht und um sich schreit wie ein aggressiver Hund werde ich nicht zögern die Wache zu holen.", grummelte der andere ein wenig befriedet. Wandte sich kopfschüttelnd ab und ging mit seinem Begleiter ins Bad. Auch die anderen im Raum schienen sich wieder sich selbst und ihren Begleitern zuzuwenden. „Das wird es sicher nicht.", sagte Titus den beiden hinterher und seufzte dann schwer. Aries fühlte sich als wäre er ein kleiner Junge, den man aus einer Rauferei hatte retten müssen. „Was war da gerade los? Und wie siehst du eigentlich aus?", fragte Titus leise als er Aries kurz von der Seite betrachtet hatte. Dieser warf Titus einen finsteren Blick zu und setzte sich wortlos in Bewegung. Ihm war die Lust auf die Therme gründlich vergangen und er wollte jetzt einfach in Ruhe und Allein sein. Mit schnellen Schritten durchquerte er die Umkleide und verließ die Therme. Titus folgte ihm, dass hörte er an den strengen, zielstrebigen Schritten hinter sich. Doch er blieb nicht stehen, und nahm bewusst den gleichen Weg zurück, den er gekommen war. In der Hoffnung, wenigstens Titus auf seiner Seite zu haben, wenn sie auf das Mädchen stießen.

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