Aries hatte versucht den Rest des Tages an etwas anderes zu denken und die Zeit zu nutzen, die ihm noch bis zu den Abendstunden blieben. Leider hatte es sich nicht ausgezahlt, die kühlen Morgenstunden verstreichen zu lassen, denn außer einer Frau, die unbegleitet nach einem Alltagsstoff suchte, blieb es leer. Aries hatte beschäftigt getan, den Laden geputzt, - einmal mehr. Es war warm gegen Mittag, schwül und irgendwie unangenehm, dass erste Mal in diesem Jahr, dass Aries sich bewusst den Schweiß von der Stirn wischen musste. Und das im Frühjahr... Das es Gewitter geben würde war klar.
Als es dämmerte schloss er die Türen ab, riegelte sich von der Außenwelt ab und entzündete eine Öllampe in der stickigen Dunkelheit. Jetzt war es also so weit. Jetzt begann der Teil des Tages, der ihn davor rettete, nicht auf der Straße zu landen und zu betteln wie die Armen auf dem Forum vor den Basiliken und Tempeln. Er hatte sich eingeredet es nicht zu mögen, aber hinter seiner ernsten Maske verbarg sich steigendes Adrenalin. Jeder seiner Muskeln war angespannt, sein Atem leicht beschleunigt. Aries war im Begriff eine zweite Welt zu betreten, das andere Gesicht anzuschauen, dass sich nur in der Dunkelheit aus seinem dunklen Loch traute und sich des Tages in Gassen und Vierteln verbarg, die man als Ortskundiger sowieso nicht gerne betrat. Pompeji war in der Nacht kein friedliches Pflaster, Jugendliche und Banden waren betrunken oder wollten ihren Übermut ausleben indem sie Leute verprügelten, ausraubten und manchmal sogar umbrachten. Wer es nicht musste, der ging bei Dunkelheit nicht vor die Tür, der blieb in seinem sicheren Bett und schlief. Aber Aries würde heute unter den Schattengestalten laufen.
Er holte aus dem Hinterzimmer ein unauffälliges Bündel hervor, gerade groß genug, das er es mit beiden Händen umschließen konnte. Ein Gemisch aus verschiedenen Gerüchen ging davon aus, als er es an seine Nase hob und einmal tief einatmete. Einige Gerüche davon waren betörender als andere, zwischen aromatische und mild war alles dabei. Die Gabe eines Kunden, der bei Aries öfter einkaufte und für die er selbst keine Verwendung hatte. Als Bezahlung für den Stoff. Ein Tauschgeschäft, wenn man so wollte.
In dem Bündel aus Leinen befanden sich kleine, schlichte Flakons, die entweder Pulver oder kleine Blätter enthielten. Er packte sie alle sorgsam im Schein der Öllampe aus, stellte sie alle der Reihe nach auf und füllte auf, was seit dem letzten Mal weniger geworden war. Es befanden sich der Reihe nach Hanf, Opium, Lorbeerblätter und Bilsenkraut, die sich allesamt einer speziellen Beliebtheit erfreuten. Es war nicht an Aries zu fragen wieso, alles was ihn zu interessieren hatte war das wie viel und was. Und das reichte ihm. Er verkaufte schließlich nur Arzneien und Kräuter. Jedenfalls war das der Gedanke, den er fortwährend in seinem Kopf hielt, um zu verhindern, dass sich ein schlechtes Gewissen aus seiner Ecke erhob und sich in ihm breit machte. Aries brauchte das Geld doch... Dringend! Wenn er nicht dieser Tätigkeit nachging, der er sich seit einigen Monaten widerwillig gewidmet hatte, dann würde er auf der Straße landen. Dann könnte er zusehen wie er sich mit Ratten um einen trockenen Wurstzipfel stritt, sein Haupt mit einem selbstgebauten Unterschlupf aus Lumpen vor Regen schützte, und sich vor Wachen duckte, die Obdachlose und Bettler gewalttätig von den Straßen vertrieben. Er brauchte das Geld... Und das trieb ihn an, als er die aufgefüllten Gläschen mit Pfropfen und Tüchern wieder verschloss und in den Beutel zurücklegte. Mit einem auffälligen rot gefärbten Band knotete den Stoff zusammen, stützte sich dann mit beiden Händen je zu einer Seite des Beutels auf den Tisch und atmete einige Male die ölig dicke Luft ein. Nicht, das er Angst hatte. Jedenfalls nicht vor dem was er tat, er fürchtete die Abgründe die diese Zweitwelt beinhaltete, den weiter runter ging es immer. Es sollte ihm nicht zu gut gefallen, er sollte nicht zu viele Leute da kennen, denn umso tiefer sank er ein in diese Geschäfte. Er tanzte auf einem schmalen Grad zwischen beiden Welten in denen er gleichfalls kaum eine nennenswerte Figur darstellte. Aber das war gut so, Unbekanntheit war der beste Schutz. Aries versuchte also seine Aufregung, die er selbst nach Monaten noch spürte, etwas zu schlichten. Entschlossen hob er den Kopf, straffte die Schultern und schnappte sich den Beutel. Er brauchte das Geld...
*
Als es dann Dunkel wurde, war es so weit. Aries ging ohne Lampe durch die Straßen, das Mondlicht war ihm genug und durch den Umhang mit der Kapuze, lag sein Gesicht zusätzlich im Schatten. Er wollte nicht von jedem erkannt werden, was er hier tat ging nur ihn und die Leute was an, die wussten was sie wollten. Der Beutel den er unter dem Umhang trug fühlte sich schwer an, zu schwer für ein paar Kräuter in kleinen Gläsern. Aries Herz pochte langsam und laut, er fühlte jeden Schlag in seinem ganzen Körper widerhallen. Flüsternde Stimmen folgten ihm aus rabenschwarzen Gassen und das Fixsternen Zelt leuchtet hinter grauen Wolken. Als er die Fackeln sah, atmete er unmerklich auf. Faszinierend eigentlich, wie sehr der Mensch doch ein Geschöpf des Lichts war und sich dort am sichersten fühlte, wo er am besten gesehen werden konnte. Er überquerte die menschenleere Hauptstraße, die als einziger Weg in Pompeji erleuchtet war und bog zum Herkules und Minerva Tempel. Des Tages, ein Ort für Geschäfte, zum verweilen und um die Götter zu huldigen, des Nachts ein kaum erleuchteter Platz hinter dem sich dunkel das halbrund der beiden Theater erhob. Aries überquerte den Platz ohne sich zu genau umzuschauen. Die Zedern, die den Platz umringten waren wie die Schatten von Personen, und es hätte Aries nicht gewundert zwischen den Bäumen tatsächlich jemanden stehen zu sehen.
DU LIEST GERADE
Römisches Blut
Historical Fiction45 n. Chr. Pompeji Der junge Stoffhändler Aries lebt ein eher bescheidenes Leben in dem er sich von Monat zu Monat über Wasser hält, als plötzlich unweit der Vorstadttherme ein Mord geschieht. Kurz darauf scheint nichts mehr so zu sein wie zuvor, wä...