5. Arztbesuch

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Schon am folgenden Tag war es so, als hätte es die Tote nie gegeben. Vereinzelt redeten Sklaven über das Ereignis, doch sobald sie Aries zu nahe kamen, wurden sie stumm. Die anderen Passanten hielten sich gleich zurück, oder schienen nicht mal davon zu wissen. Es war, als hätte die ganze Stadt beschlossen über den Vorfall zu schweigen und nur Aries hatte es nicht mitbekommen. Ein geheimes Einverständnis, dass Aries nicht verstand.

Als er auf dem Forum die Marktstände besuchte und unter anderem Äpfel, gesüßten Wein und ein Stück Käse kaufte, spürte er die Blicke der anderen Menschen wie Pfeile in seinem Rücken. Was war nur los? Ein leichtes Unbehagen breitete sich in ihm aus und er lächelte bewusst freundlich zu der beleibten Frau hinter dem Stand, die den Käse gerade in ein Stück Stoff einschlug. „Ich hoffe, es wird heute nicht so warm wie gestern. Dafür, dass es noch nicht einmal richtig Sommer ist, ist es kaum erträglich. Oder was denkst du?", versuchte Aries im leichten Plauderton. Sie sah ihm nicht mal in die Augen, sondern blickte zu dem nächsten Kunden, als sie ihm das Bündel entgegen hielt. Vor den Kopf gestoßen wartete er noch einen Atemzug ab, dann nahm Aries das Bündel wortlos entgegen und drehte sich mit mürrischem Blick um. Anscheinend war der Verkäuferin heute nicht nach Gesprächen. Andererseits unterhielt sie sich ganz prächtig mit dem Kunden, der nach Aries gekommen war nachdem er selbst außer Hörweite war. Sie lachte und wirkte ab, zeigte ein breites Lächeln. Aries schnaubte irritiert. Was war los? Hatte er vielleicht irgendwas verpasst neben der Abmachung kein Wort über die gestrigen Ereignisse zu verlieren? Er konnte sich das eigentlich nicht vorstellen. Also, früher oder später würde sich das wahrscheinlich von selbst erklären. Oder er ging zu einem, der sich mit den Gesprächsthemen und Gerüchten der Stadt auskannte, weil ihm jung wie alt diese laufend erzählten. Decimus. Menschen verspürten das komische Bedürfnis ihm ihren Kummer vor die Füße zu legen, während sie sich gleichzeitig in anderer Hinsicht vor ihm offenbarten. Erst kamen die Geschwüre am Hintern, dann der Tratsch über die Frau des Nachbarn. Als würde Decimus auch in privaten Sachen Rat wissen. Was er nicht tat. Aber als Arzt war er ein guter Zuhörer. Er hörte sich die Probleme der Leute an, die zu ihm kamen, verfolgte Hippokrates' Lehre, nach der jeder Patient wie ein Individuum gesehen und vollständig auf ihn eingegangen werden muss. Aber vor allem anderen hörte er sich gerne selbst reden.

Sie hatten sich zwar erst gestern gesehen, aber Aries fühlte das dringende Bedürfnis, mit ihm zu sprechen und zu fragen ob es neue Gerüchte gab. Also bog er nicht vom Forum aus in die gewohnte Straße zu seinem Laden, sondern machte sich auf den langen Weg einmal durch die Stadt, direkt zum großen Theater an der westlichen Spitze und der Gladiatorenschule gleich daneben.
*
Aries betrat den Säulengang der Gladiatorenschule dessen Mamor in dem schon jetzt kräftigen Sonnenschein hell leuchtete. Über die Fresken an den Wänden spielte Licht und Schatten, sodass sie beinahe lebendig wirkten. In der großflächiger Mitte übten fünf muskulöse Männer mit Holzschwertern, Speeren und Netzen an Strohpuppen, einer von ihnen eine gefeierte Berühmtheit, fast zwei Meter groß, von dunkler Natur und kahlem Schädel. Unter den wachsamen Augen des Trainers bekamen sie Tipps und Anweisungen sich schneller oder langsamer zu bewegen, keine unnötigen Drehungen, niemals die Deckung fallen lassen. Aries beeilte sich ungesehen vorbeizuschleichen und hielt sich im Schatten der Säulen. Er war nicht das erste Mal hier, war schon das ein oder andere Mal rausgeworfen worden. Aber öfter als ihm lieb war, kam er des Nachts hier her, wenn es kein Training mehr gab, sondern sich der Platz in einen - wie Aries sich eingestehen musste nicht ganz legalen - Markt verwandte, der nur den Kennern ein Name war. Heute Abend war es wieder so weit, aber Aries wollte sich gerade nicht ablenken lassen. Er hatte noch genug Zeit sich später um seine „Ware" zu kümmern.

Entschlossen klopfte er an das Zimmer am Nordende des Säulenganges, über dem in geraden Lettern Arzt stand. Hinter der Holztür waren ruhige Stimmen zu hören, auch die seines Bruders meinte Aries zu vernehmen. Was genau gesagt wurde konnte er nicht verstehen, aber es klang auch nicht allzu interessant. Kurz darauf öffnete sich die Tür und ein Berg von einem Mann kam heraus. Er hatte eine genähte Wunde am Arm, und wirkte wie jemand, dem man nicht zu nahe kommen wollte. Über die linke Hälfte seines Gesichts zog sich eine gerade, rot wulstige Narbe vom Kinn bis zum Haaransatz, als hatte ihm jemand den Kopf spalten wollen. Das Auge darunter war blind. Wenn er diesen Schlag überlebt hatte, sollte die kleine Wunde am Arm kein Problem für ihn sein, dachte Aries schaudernd und drückte sich an dem Mann zur Tür herein. Dazu musste Aries sich unter seinem massiven Arm ducken, denn der Berg füllte nahezu den gesamten Türrahmen aus.

Römisches BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt