Nachdem Decimus die Tür geschlossen hatte und mit Aries unter eiligen, drangen Schritten aus der Palästra getreten war, sah er ihn einen langen Moment einfach nur an. In seinen Augen spielte eine genervte Anspannung, die ihn unnahbar wirken ließ. Im Hintergrund hörte Aries da Grunzen und Stöhnen der Gladiatoren, die noch immer übten und sich mit Strohpuppen maßen. „Was denkst du, was du hier tust? Willst du mich vor meinem Lehrer lächerlich machen?", fragte Decimus bedrohlich ruhig wie ein lauerndes Tier. Aries schnaubte lächelnd. „Natürlich. Was sollte ich sonst hier wollen, während ich gerade die beste Verkaufszeit des Tages verstreichen lassen? Der Eindruck deines Lehrers von dir ist mir ein Hauptanliegen! Fühl dich geschmeichelt, ich wache auf und du bist der erste an den ich denke, mein lieber Bruder.", antwortete Aries mit einem sarkastischen Unterton und einem Grinsen auf den Lippen. Der Blick seines Bruders wurde dunkler, während er seine Augenbrauen zusammen zog. „Ah ja...", meinte Decimus trocken mit einem Zucken seiner Mundwinkel und wollte gerade wieder davongehen. Doch Aries ließ das nicht zu und hielt ihn am Oberarm auf. „Nein, Warte! Das ist nicht, weswegen ich hier bin. Es gibt da etwas dringendes, was ich mit dir besprechen will.", warf Aries mit ernster Stimme ein. Decimus blieb leise zischend stehen und wandte den Kopf mit ungeduldigen Blick zu Aries rum. Aries konnte nur schätzen, was sein Bruder gerade denken mochte. Wahrscheinlich fühlte er den Wunsch Aries einfach stehen zu lassen, aber er tat es nicht. Schließlich gab er nach und resignierte. „Also schön, aber bitte fass dich kurz, mein Lehrer erwartet mich." Aries ließ seinen Arm sinken und schluckte schwer. „Gestern Abend habe ich eine Sklavin tot aufgefunden. Die Sklavin einer Kundin, weshalb ich sie natürlich wiedererkannte. Es gab... ein paar Schwierigkeiten, die jetzt nicht so wichtig sind. Wichtig ist, dass heute irgendwas in der Luft liegt. Eine Stimmung, deren Ursprung ich noch nicht nachvollziehen kann. Ich komme daher zu dir mit der Frage, ob deine Patienten dir irgendwas über den Vorfall erzählt haben? Oder über mich?", fragte Aries frei heraus und wartete gespannt auf die Antwort seines Bruders. Dieser presste die Lippen aufeinander und sah Aries kurz eindringlich an. Sein Blick war undurchdringlich und nachdem er kurz umher geschaut hatte, als würde er schauen, dass niemand sie beobachtete wisperte er: „Nicht hier." Ehe Aries etwas darauf erwidern konnte oder auch nur verwundert den Kopf schräg legen konnte, wurde er von seinem Bruder abermals am Handgelenk gepackt und in eine kleine Kammer gezogen, die stark nach alten Kleidern, Leder und Stroh roch. Ein Lager für Trainingsgeräte vermutlich, kam es Aries als erstes in den Sinn, noch bevor er die Strohpuppen, Holzschwerter und Netze richtig fokussieren konnte. Sein Bruder schob ihn unsaft weiter in den Raum, bis auch er darin Platz fand. Als Decimus die Tür schloss war es rabenschwarz, nur das Licht durch die Spalten in der Holztür blieben als Orientierung und schrieb ein Lied von Andeutungen und Umrissen auf Decimus' Gesicht. „Dämpf deine Stimme, hier haben die Schatten Ohren.", flüsterte Decimus, schwieg einen Moment während er lauschte und trat dann näher an Aries ran. Dieser fühlte als erste Reaktion, zurückzuweichen, was eine hohe Truhe hinter ihm aber nicht zuließ. „Als ich heute früh kurz vor Sonnenaufgang für einige Erledigungen aus der Stadt rausging und kurze Zeit später zurückkehrte empfand ich genauso. Die Leute verhielten sich komisch, angespannt und misstrauisch, besonders die Sklaven waren nervös. Ihre Blicke waren voller Gedanken, als ich an ihrenen vorbei ging. Die Stillen zu leise, um sie zu verstehen. Als ich fragte was los ist, hörte ich von dem Mord des Mädchens.", erzählte Decimus leise. Aries konnte seinen Atem in der Dunkelheit der Kammer auf seinem Gesicht spüren. Der hinterließ ein unangenehmes Schaudern in ihm wie ein schwüler Windstoß in tiefster Nacht. Decimus sprach von Mord, nicht Unfall. Das Wort hallte in Aries' Ohren, während sich seine Kehle zuschnürte. Die Stimmung in ihm hatte sich urplötzlich gewandelt. „Ein Patient meines Lehrers gestand ihm gerade als ich zu ihnen stieß, dass er sich große Sorgen mache. Es sei übel, irgendwie komisch, hinter jeder Ecke die nächste Leiche. Er sagte, dass sie nicht die erste Tote in dieser Woche war. Vor drei Tagen sei ein anderes Mädchen, ebenfalls eine Sklavin, ebenfalls sehr jung, getötet worden sein. Von ihr fehlte sein zwei Wochen jede Spur und plötzlich hat man sie nackt unten am Hafen gefunden... Als ich in den Raum kam wurde er stumm. Wer weiß ich auch nicht.", endete Decimus flüsternd. Noch eine Tote? Diese Woche? Was ging hier nur vor sich? Aries kam aus dem Schaudern nicht mehr raus, als sich plötzlich sein Verstand einschaltete wie eine Öllampe und er stutzte. "Nackt? Die Sklavin, die ich gestern gefunden habe war nicht nackt." Das Schulterzucken von Decimus spürte Aries eher, als dass er es sah. "Keine Ahnung, dass ist nur, was ich weiß... Das hast du doch wissen wollen.", gab Decimus wieder. Aries atmete flach und angespannt. Das war mehr als er gefürchtet hatte. Eine weitere Tote, Aries hatte bis zu diesem Moment nicht davon gewusst. Hätte er es nicht eigentlich wissen müssen, immerhin war er oft am Hafen? Aber soweit er sich entsinnte, hatte niemand auch nur ein Sterbenwort über den Fund verloren. Nicht die Fischer oder Arbeiter, nicht die Soldaten und auch Cas nicht. Cas... Er wusste immer was im Hafen los war, egal wie düster das Gerücht, er kannte es und war sich nie zu schade es seinen Gästen gegen ein paar Asse Preis zu geben. Besonders Reisenden erzählte er gerne zum Willkommen ein paar Geschichten, bevor er sie mit seinem kleinen Sohn zur Stadt hochschickte.
Noch während Aries also in diesem winzig kleinen Raum mit Decimus stand, und kaum zu atmen wagte, fühlte er das Bedürfnis Cas aufzusuchen. Heute würde er nicht mehr da sein, aber morgen früh würde er wieder seinen Fisch in der kleinen Garküche verkaufen, die praktisch von Gerüchten und schmutzigen Geheimnissen zusammengehalten wurde. "Danke, Cato!", sagte Aries klopfte seinem Bruder auf die Schulter und wollte sich dann an diesem Vorbeidrängen, als dieser ihn hart bei der Tunika griff. "Wenn du etwas damit zutun hast, musst du mir das sagen! Es ist nicht deine Art herzukommen und mich nach Tratsch zu fragen.", stellte Decimus direkt fest und auch durch die Dunkelheit konnte Aries seinen Blick spüren. Aries löste Decimus' Hand langsam von seiner Tunika. "Ich schätze, das gestrige Ereignis hat mich einfach ziemlich mitgenommen. Ich konnte es nicht so auf sich beruhen lassen... Mach dir keine Gedanken. Es ist jetzt gut, denke ich.", beschwichtigte Aries lahm und glaubte sich nicht einmal selbst seine Worte. Es war nicht gut, es hatte gerade erst angefangen. Und wenn es sich wirklich um Mord handelte, dann war Aries da an etwas gestoßen, womit er auf keinen Fall etwas zu tun haben wollte. Decimus zischte leise. "Hoffe ich.", fügte Decimus mit Nachdruck an das Satzende von Aries' Worte. Dann öffnete er die Tür und Licht erfüllte den Raum. Geblendet blinzelte Aries zu der Palästra hinaus, deren Marmor zu hell wirkte. Decimus trat hinaus und schob Aries bestimmt zurück in die Kammer als er ihm folgen wollte. "Warte noch einen Moment bis du gehst. Ich möchte nicht den Anreiz für unschöne Gerüchte geben. Denn nicht vergessen, hier haben die Schatten Ohren und Gerüchte verbreiten sich wie ein Feuer.", meinte Decimus noch, lächelte dann und schloss die Tür vor Aries' Nase. Und wieder stand er im Dunkeln. Allein mit seinen Gedanken und dem neuen Wissen, einer weiteren Toten.
DU LIEST GERADE
Römisches Blut
Historical Fiction45 n. Chr. Pompeji Der junge Stoffhändler Aries lebt ein eher bescheidenes Leben in dem er sich von Monat zu Monat über Wasser hält, als plötzlich unweit der Vorstadttherme ein Mord geschieht. Kurz darauf scheint nichts mehr so zu sein wie zuvor, wä...