10. Das Ende der Nacht

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Aries war erledigt für diesen Tag. Er war mittlerweile so müde, dass er am liebsten im stehen eingeschlafen wäre. Aber er riss sich mühsam zusammen und straffte die Schultern. Er hatte ja noch den Rückweg vor sich und allein der Gedanke an all die Ereignisse, die ihm im Kopf herumsurrten wie ein Bienenschwarm ließen ihn schaudern, als er nun auf die Stockfinstere Straße hinaustrat. Dem spärlichen Licht der Fackeln den Rücken zuwendend schaute er nach links und rechts das gerillte Kopfsteinpflaster herab. Und er wusste nicht ob es ihn beunruhigte oder erleichterte niemanden zu sehen. Vielleicht beides ein wenig, denn wenn jemand ihm wirklich auflauerte wäre er in den Schatten so gut wie unsichtbar.

Aries schluckte seine größten Ängste runter und trat dann hinaus. Er ging einen anderen Weg, als er gekommen war, auch, wenn das einem kleinen Umweg entsprach, den er aber heute gewillt war zu gehen. Denn so sehr er sich auch zwang nicht an die Worte des Fremden zu denken, so sehr dröhnte sein Kopf bei jedem Meter. Kleines Hase... Sein Schritt war etwas zu schnell, sein Herz klopfte heftig gegen seinen Brustkorb und sein unruhiger Blick sah sich immer wieder nach allen Seiten um. Doch kein einziges Mal konnte er jemanden oder etwas erfassen, was seine gefürchtetsten Vermutungen bewahrheitete. Dennoch war es einer der schlimmsten Heimwege nach einem Markt, die er bisher erlebt hatte. Ganz würde er sich nie daran gewöhnen, allein, mitten in der Nacht, wie einer dieser berühmten Nachtschwärmer über die die Alten immer schimpften heim zu gehen. Denn auch in normalen Nächten blieb ein ungutes Gefühl im Nacken. Einige Gaststätten hatten noch geöffnet, ihr Name über der Tür war schwach von zwei Öllampen erhellt und die ein oder anderen Party einfacher Leute ging gerade zuende. Gesättigt mit süßem Wein und betrunken von albernen, anstößigen Gesprächen wankte Aries eine kleine Gruppe aus drei Männern entgegen, die sich gegenseitig auf den Beinen hielten und mal hierhin mal dorthin taumelten. In ihrem momentanen Zustand konnten sie Aries nicht gefährlich werden, weshalb er ruhig zusah wie die drei an ihm vorbei stolperten, lauthals irgendwas in seine Richtung lallten und dann in hässliches, grunzendes Lachen verfielen. Es war noch lange in der stillen Nacht zu hören.

Aries hatte gehört das es in Rom schlimmer war mit den Nachtschwärmern. Gerüchte über jungen Patriziern, die mehr in der Nacht als am Tag lebten machten die Runde. Bekannte Häuser und einflussreiche Namen deren Väter nicht selbst ein Amt im Senat bekleideten. Im Gegensatz dazu war es schon beinahe friedlich in einer Provinzstadt wie Pompeji und gerade jetzt, um diese Nachtzeit, war Aries glücklich darüber. Er erreichte das Forum ohne Vorkommnisse und während sich schon zuhause. Sein Denken wurde nun überlagert von der herrlichen Vorstellung des Schlafes und er verlangsamte seinen bisher gehetzten Schritt etwas. Die rauchende Bergkette im Hintergrund war kaum mehr zu sehen, als hätte der Nachthimmel alles geschluckt. Aries gestattete sich ein ausgiebiges Gähnen und streckte sich, als er in die Straße bog in der sein Laden war. Auch hier war alles ruhig, die Wege unbeleuchtet, die sonst rote Fassade an der unteren Hälfte der Mauern grau. Er war nur noch wenige Meter von seinem Laden entfernt, als ihn mit einer plötzlichen, stumpfen Wucht etwas am Bein, beinahe auf Hüfthöhe traf und ihn zum Stolpern brachte. Aufgeschreckt und wieder voll wach drehte er sich wirbelnd um, sein Puls beschleunigte sich in Sekundenschnelle. War diese Nacht denn nie vorbei? Hatte er nicht schon genug abbekommen für einen Tag? Aber anscheinend waren die stummen, urteilenden Blicke, die Drohung und die Gerüchte, die es jetzt wohl über Aries gab nicht genug. Er hätte frustriert seufzen können, wenn ihm nicht jedes Geräusch im Hals stecken bleiben würde. Die Straße hinter ihm war leer und dunkel. Aries suchte mit dem Blick jeden Winkel der Dunkelheit hinter sich ab, drehte sich mehrmals herum als wäre er orientierungslos. Aber alles was er sah war eine ruhige, nächtliche Straße die in wenigen Stunden schon wieder vor Leben blühen würde. Hatte er sich das vielleicht eingebildet? War er so müde, dass er sich so etwas vorstellen konnte? Sofort verneinte er die Fragen für sich. Es musste ein Tier gewesen sein, so wie es sich angefühlt hatte. Vermutlich war es verwirrt gewesen oder hatte ihn schlichtweg beim Laufen übersehen. Und gerade wollte er sich mit dieser Antwort abfinden, sein Puls war daran sich wieder zu beruhigen, als ich ein weiterer Stoß in seinen Rücken ihn tatsächlich aus dem Gleichgewicht brachte. Als hätte sich ein Gewicht gegen ihn geworfen. Er spürte wie ihm sein Geldbeutel und der mit den Kräutern aus seiner Tunika entglitten und die Gläschen klirrend auf dem Steinboden landeten. Der Aufprall war nicht stark gewesen, aber seine Handflächen brannten. Einen derben Fluch keuchend wollte er sich reflexartig seine Hände ansehen, aber es war zu dunkel um eine Verletzung zu sehen. Er biss sich auf die Unterlippe und streckte die Hand aus, um seine Sachen aufzusammeln. Doch da kam ihm mit flinken Bewegungen eine schwarze, kleine Gestalt zuvor. Die Gestalt schnappte sich die Beutel, wog sie kurz ab und ließ dann den Beutel mit den verbliebenen Gläschen wieder fallen. Aries rappelte sich mühsam hoch, schüttelte den Kopf, als könnte es seinen plötzlich Schwindel auflösen. „He, du kleine Ratte! Lass das sofort liegen!", knurrte er langsam wütend werden. Die unförmige, in einen dunklen Umhang gehüllte Gestalt sah kurz zu ihm und lief dann wie auf ein Kommando los. Aries spuckte zornig aus und nahm die Verfolgung auf. Doch die Gestalt war ungeahnt schnell und Aries Körper streikte nach einem Sturz so schnell zu laufen. Die Ränder seines Blickfeldes waren verschwommen und so sehr er versuchte es zu organisieren, bremste ihn das aus. Als die Gestalt in einem schmalen, lichtslosen Treppenaufgang einer insula verschwand blieb Aries keuchend einige Sekunden davor stehen, kurz überlegend ob er der Gestalt folgen sollte. Im nächsten Moment hetzte er mit pumpendem Atem die Treppe hoch, die so eng war, dass er leicht mit beiden Schultern die Wände berühren konnte. Fast wäre er erneut fast gestolpert, da er hier die Hand vor Augen nicht sehen konnte und fand in der ersten Etage in einem genauso schwarzen Flur mit Zimmertüren zu beiden Seiten wieder. Leises Schnarchen eines Bewohners drang von irgendwo aus der Dunkelheit, ansonsten übertönte Aries keuchender Atem alle Geräusche. So sehr er auch lauschte auf Schritte oder ein ängstliches Atmen, nein, es war still. Die Gestalt war bereits fort. Er fluchte zischend und kochend vor Zorn, schlug mit der geballten Faust gegen eine Hauswand, sodass etwas Putz rieselnd auf seinem Arm landete. Das konnte doch nicht wahr sein! Nicht, dass der Abend nicht schon schrecklich genug war, jetzt wurde er zur Krönung also auch noch von einem Zwerg bestohlen. Aries hätte brüllen können vor Wut und Frust. Aber mit seinem Glück würde er gleich die vigiles am Hals hätten die die Straßen patrouillierten und eine nächtliche Ruhestörung sofort bemerken und protokollieren würden. Das fehlte Aries heute Nacht noch. Deshalb versuchte er tief durchatmen und sich mühsam etwas zu beruhigen. Mit knackenden Fingern, so fest ballte er sie zu Fäusten ging er die Stufen wieder herab und stand erneut auf der leeren Straße. Mit zornig verzogenen Gesichtszügen sammelte er die zum Glück noch heilen Gläschen und den Beutel wieder auf, auch wenn er am liebsten mehrmals drauf getreten wäre und sie auf den Steinen zerschellen sehen wollte. Diese Nacht ging garantiert in seine Top drei der Nächte ein, die er vergessen und verachten würde. Bedrohung, Gerüchte, Verurteilungen von Fremden, kaum Gäste im Laden und nun auch noch kein Geld... weniger als er zuvor besessen hatte. Es war somit fast alles weg. Bis auf einen Notgroschen in seinem Versteck der niemals für die Miete reichen würde war er praktisch arm. Aries wollte nicht daran denken. Nicht mehr jetzt. Und so schlurfte er die letzten Meter in seinen Laden und schloss sich in der hitzig, schwülen Dunkelheit ein, die er sein Zuhause nannte. Hier gestattete er sich endlich durchzuatmen.

Als er alles - Kleidung, Gürtel, Sandelen und Beutel - von sich geworfen hatte stieg er die kleine Treppe zu dem Zwischenboden hoch und ließ sich auf sein improvisiertes Bett fallen. Endlich Ruhe... Langsam löste er seine verkrampften Finger zog sich sein Kopfkissen gefüllt mit Stroh vors Gesicht und schrie all die Wut, die Verzweiflung und die Fassungslosigkeit in den Stoff und ließ endlich los, was er den ganzen Abend über in seiner Seele angesammelt hatte.

Römisches BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt