Neben einem Trickspieler, der jetzt, wo der Kundenfluss abnahm mit anderen Händlern seine Spiele übte, war Varos Stand im direkten Licht einiger Fackeln. Sein Stand war ein kleiner Verschlag aus Holz, den er in Windeseile auf- und abbauen konnte. Der Tisch war mit bunten, alten Tüchern bedeckt, auf dem eine ganze Armee von Gläsern, Schalen, Schriftrollen und Steinen auf Kisten präsentiert wurden. Neben Giften und Säften um die Frucht auszutreiben, zu töten und zu verhüten verkaufte er auch Zauber aller Art. Die meisten davon Flüche und Verwünschungen, unlesbare Schriftzeichen auf Pergament, welches zusammen mit einem Spruch verbrannt wurde. Dinge, die sich viele Menschen nicht trauten selbst herzustellen aus Angst vor Strafe der Götter und Verurteilung der Mitmenschen gleichermaßen. Als er Aries sah, winkte er ihn zu sich heran und er konnte einen kurzen Blick auf die beschrifteten Gläser erhaschen. Zermahlene Greifenknochen - Löwenzähne - Pulverisiertes Nashorn-Horn - Schlangenaugen - Amulette - Staub eines Seeungeheuers und viel mehr. Aries wusste nicht mal, wozu diese ganzen Zutaten verwendet wurden, geschweige denn, wo man sie herbekam.
„Sei gegrüßt, Aries. Ich wollte dich schon den ganzen Abend sprechen. Endlich hat dich meine Nachricht erreicht.", meinte er ruhig während er bereits anfing seinen Stand aufzuräumen. Aries sah seinen flinken Fingern dabei zu, wie sie die Gläser in die Kiste stellten, auf der sie zuvor präsentiert wurden. Es waren nur neun Finger, der linke kleine Finger war nur noch ein kleiner Stumpf. Varos Gesicht war schrecklich entstellt durch wulstig, rote Narben, die nur wenig von dem gutaussehenden Mann erkennen ließen, der er früher einmal gewesen sein musste. Mittlerweile war sein schwarzes, lockiges Haar angegraut und die goldene Haut von Sonne und Erfahrung gegerbt. Aries hatte nie erfahren, was Varo in seinem Leben alles miterlebt hatte um so auszusehen. Es musste schlimm gewesen sein, so viel war sicher. Die fantastischsten Gerüchte machten unter den Mitgliedern des Markts die Runde, aber keiner wagte wirklich zu fragen, was davon die Wahrheit war. Varo war im Gegensatz zu vielen hier auch nicht besonders gesprächig, wenn es um seine Vergangenheit ging. Er hatte überlebt und lebte weiter, mehr brauchte man nicht zu wissen. Und dennoch umgab ihn eine Aura die Aries mit Ehrfurcht und Respekt erfüllte. Varo hatte diese ruhige Ausstrahlung, die jedes steigende Pferd beruhigen konnte und jeden wilden Hund handzahm machte. „Zidra hat sich über dich beschwert. Ich musste sie davon abhalten nicht gleich loszugehen und dich wie eine Furie zu attackieren. Du kennst doch ihr hitziges Gemüt und trotzdem hast du sie einmal mehr provoziert. Das war ziemlich unverantwortlich von dir, Aries.", sprach Varo bedacht und ruhig wie ein belehrender Vater, den Aries nicht mehr hatte. Der Hauch von einem Lächeln spielte um seine Lippen, als er es sich wohl erneut bildlich vor Augen führte wie Zidra sich an seinem Stand ereifert hatte. Aries knirschte schuldbewusst mit den Zähnen. „Verzeih mir, wenn du wegen mir Mühe hattest.", meinte Aries kleinlaut. Immerhin war er nur wegen Varo hier und durfte seine Geschäfte treiben. Es war die Freundschaft zu diesem geheimnisvollen Mann, die Aries in eine Welt gebracht hatte, vor der er bisher nur gewarnt worden war. Eine große Familie von faszinierenden Mitgleidern, die allesamt ihre Gründe hatten hier zu sein. Von geflohenen Sklaven zu verurteilten Verbrechern, Aristokraten, die aus ihrer Welt ausgebrochen waren und Söldnern. Wenn Aries Varo missfiel durch sein Verhalten war sein kleines Nebengeschäft so schnell zu Ende wie es begonnen hatte.Denn Aries war kein Teil dieser Familie. Er war nur ein Gast, der geduldet wurde, solange Varo ihm die Tür offen hielt.
Und Varo blieb unbeeindruckt und ging weiter seiner Tätigkeit nach seine Sachen zu verstauen. „Ich bin nicht derjenige, bei dem du um Verzeihung bitten musst. Unsere Wahrsagerin ist uns heilig und kostbar und hat schon mehr erlebt als du, mein junger Aries. Sie hat mehr Rechte hier, daher ist es sie, bei der du sprechen musst. Ich rate dir inständig; Leg dich nicht mit ihr an, sie ist nicht die Richtige um dir deine Hörner abzustoßen und deinen Übermut zu beweisen. Auch ich werde sie nicht halten können, wenn du deinen Zwist mit ihr nicht langsam ruhen lässt." Aries verschränkt die Arme vor der Brust und zuckte schweigend mit den Schultern. Da Varo nicht hinsah, konnte er das natürlich nicht sehen. Aber Aries hielt den Mund. Immerhin war er es nicht, der hier mit Drohungen ankam, und er sollte sich entschuldigen? Pah, dachte er bitter. Selbst wenn er das tat würde sich der „Zwist" garantiert nicht einfach legen. Zidra mochte ihn nicht, ob er jetzt ihr Gemüt erhitzte oder nicht. Er hätte nicht daran gezweifelt, hätte jemand gesagt, dass sie selig davon träumte auf seinen Gebeinen zu schlafen. Es gab eben Menschen die ihn einfach nicht leiden konnten, mit oder ohne Grund. Und daran konnte und würde er nichts ändern.
„Wie auch immer, ich wollte dich wegen etwas anderem sprechen.", fuhr Varo mit der gleichen Ruhe fort und sah nur das erste Mal mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu Aries. Varos Waren erschienen größtenteils eingepackt und nur der kleine Verschlag und die Tücher waren noch da. „Einer meiner treuesten Kunden hat dich gestern in der Hafentherme gesehen und mir erzählt, dass du wie von Sinnen Leute angegangen bist. Du hast geschrien und getobt, sodass er fürchtete, du würdest dich jeden Moment in einen Dämon verwandeln. Du hättest damit geprahlt ein schwangeres Mädchen ermordet zu haben. Er konnte nicht verhindern, dass einige dich im Nachhinein für verrück und verwirrt erklärten. Du bist dir hoffentlich im klaren wie schnell sich Gerüchte verbreiten, wenn sie an die richtigen Ohren gelangen.", erzählte Varo mit durchdringendem Blick, während Aries vor Fassungslosigkeit fast platzte. „Ich habe was?!", stieß er atemlos aus. Schwanger? So etwas hörte er zum ersten Mal. Aber woher sollten die Leute sowas wissen? Nicht, das der Tod des Mädchens ohnehin bitter genug war, sollte das die Wahrheit sein dann war ihr Mörder wahrlich ein Monster. Aries merkte wie es ihm schlecht wurde. Varo zog eine Augenbraue hoch. „Ist es wahr?", fragte Varo schlicht und Aries verschluckte sich beinahe an seiner Antwort, so heftig fuhr er auf: „NEIN! Natürlich nicht. Ich würde niemals jemanden was antun, geschweige denn damit prahlen. Ich... Götter, das Mädchen war doch selbst noch ein Kind! Ich würde doch nicht..." Varo brummte nachdenklich und nickte, während Aries unter seinen Gefühlen bebte. „Gut, so hatte ich dich auch nicht eingeschätzt. Ich dachte mir schon, dass mein Kunde etwas übertreibt mit seinen Erzählungen.", Varo machte eine nachdenkliche Pause, die Aries Zeit gab sich wieder etwas zu beruhigen. Varo glaubte ihm, das war, wie er ja erst letztens lernen musste, keine Selbstverständlichkeit. Und es erleichterte ihn ungemein. „Andererseits verrät es dir auch, was aus kleinen Vorfällen werden kann. Die Menschen lieben Treibjagten, wenn sich die Gelegenheit bietet und ob der Getriebene der ein Tier oder ein Mensch ist, ist egal wenn sie erstmal angefangen haben.", fügte Varo hinzu. Aries schnaubte unglücklich und zustimmend. „Und was soll ich jetzt tun?", fragte Aries wie ein Kind seinen Vater um Rat fragte. Varo hatte viel Erfahrung und wenn jemand wusste was jetzt zutun war, dann er. Doch er stutzte. „Am besten, du hältst den Kopf unten bis die Leute den Vorfall vergessen haben. Wenn ich eines gelernt habe, dann dass Menschen nichts so schnell vergessen wie etwas über das sie sich besonders heftig empören. Haben sie erst einmal etwas anderes gefunden, über das sie reden können, haben sie dich bald wieder vergessen. Jedenfalls... in den meisten Fällen ist das so.", riet Varo nach einem Moment der Überlegung. Aries hatte sich mehr erhofft von seiner Antwort. Stattdessen hörte es sich an wie; Halts Maul und hoff, dass das Volk für dein Überleben entscheidet. Erneut bildete sich ein bitterer Geschmack auf Aries Zunge und als er an die Drohung des Unbekannten dachte, wurde ihm schlagartig wieder kalt. Ob Kopf unten halten da die Lösung war, die er suchte, bezweifelte er. Insgeheim beschloss er ab sofort immer mit einem Dolch schlafen zu gehen, sicher war sicher. „Ich werde es versuchen. Danke, Varo...", meinte Aries abwesend mit seinen Gedanken. Sein Freund nickte und lächelte, aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht. Er war besorgt. „Gib auf dich acht, Aries. Auf dieser Welt laufen viele böse Menschen herum. Ich wünsche dir, dass du niemals an einen von ihnen gerätst.", sagte er noch in einem seltsam wissenden Tonfall, der verriet das er schon Erfahrung mit besagten Menschen gemacht hatte. Dann begann er seinen Stand abzubauen bis zur übernächsten Nacht, wenn der Markt wieder erwachen würde. „Ich werde mich bemühen. Gute Nacht, Varo.", wünschte Aries und graute sich davor gleich allein durch die dunklen Gassen heim zu gehen. Was, wenn ihm da wirklich jemand auflauerte, der dachte, er wäre ein Mörder? Jemand, der nicht zögerte zu genau solcheinem zu werden.
DU LIEST GERADE
Römisches Blut
Historical Fiction45 n. Chr. Pompeji Der junge Stoffhändler Aries lebt ein eher bescheidenes Leben in dem er sich von Monat zu Monat über Wasser hält, als plötzlich unweit der Vorstadttherme ein Mord geschieht. Kurz darauf scheint nichts mehr so zu sein wie zuvor, wä...