3. Tod am Abend

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„Und erzählt all euren Freunden und Bekannten von mir! Einmal klopfen und ich berate zu jeder Tag- und Nachtzeit. Ich erfülle jeden Wunsch, solange er mit Samt und Seide zutun hat. Und gegen gerechte Bezahlung nehme ich auch Hausbesuche vor.", warf Aries der freundlichen Kundin mit grinsendem Überschwang nach, als sie mit ihrer Freundin und zwei großen Bahnen Stoff unter dem Arm den Laden verließ. Die größere der beiden warf ihm noch ein charmantes Lächeln aus dunkelbraunen Augen zu und verabschiedete  sich mit halb erhobener Hand. Sobald sie auf der im Schatten der Dämmerung liegenden Straße verschwanden fiel Aries' Energie spontan ab und er stieß erschöpft die Luft aus. Was für ein Tag... Es war zum Ende hin viel zu warm gewesen und die wenigen Kunden hatten ewig gebraucht, um sich zu entscheiden. Das musste besser werden, wenn er mehr Kunden haben wollte.

Erschöpft genoss Aries für einen Moment die Ruhe, die sich in dem Laden ausbreitete. So viel Sympathie er auch für die Frau vorhin empfunden hatte, - er ärgerte sich das er sie nicht nach einem Treffen auf etwas Wein und Essen gefragt hatte - so froh war er nun, dass der Tag vorbei war und er nicht mehr den gut gelaunten Verkäufer spielen musste. Aries seufzte müde und massierte sich kurz die pochenden Schläfen. Er brauchte jetzt dringend ein bisschen Entspannung und die Therme schien ihm da eine äußerst verlockende Alternative. Einfach die Gedanken ziehen lassen und die Sorgen vergessen, die ihm ein Loch in die Magengrube fraßen. Und wenn es nur für den nächsten Morgen war, bevor er sich wieder Gedanken machen musste, wie er Cas gnädig stimmte ihn noch einmal anschreiben zu lassen. Ein Teufelskreis in dem er zwischen Verhungern und Obdachlosigkeit entscheiden konnte. Wenn sich erstmal herumgesprochen hatte, wie gut seine Stoffe waren, dann würde es besser werden. Jedenfalls war das eine der wenigen Hoffnungen die Aries Tag für Tag aufstehen ließ.

Nach einigen Minuten, die er regungslos und voll verzweifelter Müdigkeit verstreichen ließ, raffte er sich auf und fuhr sich mit der Hand durch sein dunkles Haar. Mit einem langen, hellen Tuch, welches er aus einer versteckten Truhe zog, ging auf die Straße raus. Der Himmel war blau, aber die wenigen Wolken waren bereits golden und rosa gefärbt. Die Gehwege selbst lagen im Schatten der Häuser, die immer länger wurden und nur die roten Dachspitzen in hellem Licht erstrahlen ließen. Aries schloss die Holztüren des Ladens hinter sich und verriegelte sie mit einer Kette, an der er ein Schloss einschnappen ließ. Den Schlüssel für das Schloss hing an einem Kette um seinen Hals, den er unter seiner Tunika versteckte. Dann machte er sich auf dem Weg zur Therme.

Es war kein weiter Weg, kaum zwei drei Straßen die er durchlaufen musste. Sein Laden lag nordwestlich des Forums, unweit der Zugangsstraße der Porta Marina, dem gewaltige Stadttor hinter welcher der Hafen lag. Aries sog die Abendluft lief ein, sie befreite seinen Kopf sofort von all den rastlosen Gedanken des Tages. Und während er so vor sich hinschlenderte, bemerkte er kaum, wie sich die ersten Sterne neben dem langsam heller werdenden Mond an den Himmel stahlen. Es war dieser Moment voll Unbekümmertheit, so gedankenlos und friedlich, als Aries sie das zweite Mal an diesem Tag sah. Und sie war das schönste Mädchen, dass er je gesehen hatte. Rotes Haar, das sich langsam mit ihrem Blut vollsog, volle Lippen, die blass und leblos zu einem stummen Wort geöffnet waren, die gerade Nase einer Göttin. Ihre sklaventunika war weiß und rot, ein Rose, die sich immer größer werdend von ihren Schultern über ihren Körper ausbreitete. Die Augen waren halb geschlossen über dem trüben leblosen Blick, wie der einer schlafwandelnden. Sie blickte in den Himmel an irgendeinen Punkt, den Aries nicht zu sehen vermochte. Sie war tot.

Wie vom Donner gerührt blieb Aries stehen und keuchte erstickt auf. Das Tuch fiel ihm aus den plötzlich tauben Händen und sein Atem kam ins Stottern. Wie sinnlos, an was man sich in solchen Augenblicken erinnerte, aber Aries hätte noch lange später die kleine Blüte beschreiben können, die zu seinen Füßen zwischen den Pflastersteinen erblühte. Ein Gänseblümchen, ein Zeichen der Unschuld, ein Zeichen der Götter?

Wie mit tausenden Ameisen bedeckt begann sein Gesicht zu kribbeln, während er sich fühlte, als müsste er schreien und sich übergeben gleichzeitig. Aber über seine Lippen kam nichts als ein leichtes Zittern. Mit zitternden Beinen kam er näher. Sie war noch nicht lange tot, ihr Blut war noch hellrot und die Pfütze und ihren Kopf würde mit jeder verstreichenden Sekunde größer. Heute erst war sie mit ihrer Herrin bei Aries gewesen. Sie hatte draußen gewartet, weshalb er nur einen flüchtigen Blick auf sie hatte erhaschen können, ehe er sich ihrer Herrin hatte zuwenden müssen, die nach Stoffen gesucht hatte. Aber dennoch war er ohne Zweifel sie zu kennen. Was war passiert? Wie? Hatte sie ihrer Herrin missfallen? Aber das konnte Aries kaum glauben so demütig wie sie draußen gewartet hatte. Ja, er konnte es nicht glauben.

Den Würgereiz niederkämpfend kniete Aries sich in ihr Blut. Tränen stiegen in ihm auf und in seinem Inneren wunderte er sich über die Heftigkeit seiner Reaktion. Ein Römer, der um eine ihm nichtmal bekannte Sklavin weinte? So etwas durfte und würde es nicht geben. Wenn ihn gerade jemand sah würde er auf alle Zeit sein Gesicht verlieren. Aries schämte sich mit errötenden Wangen und kämpfte die Tränen nieder. Dennoch blieben seine Augen feucht.

Fast noch ein Kind lag sie da wie eine zerbrochene Puppe. Die Beine leicht angewinkelt, die Hände schützend auf ihren Bauch gelegt. „Bei den Göttern...", keuchte er erstickt von dem Anblick ihrer kleinen Gestalt. Zitternd steckte er die Finger nach dem eisernen Halsband aus, welches ihr Besitzer ihr um den schlanken Hals gelegt hatte. Für Prima, meine erste und liebste Sklavin! Es war in die Innenseite eingraviert, aber nicht der Name des Besitzers selbst, wie Aries still gehofft hatte um ihr oder ihrem Ehemann seinen schrecklichen Fund mitzuteilen.

Schwach stich er dem Mädchen eine kupferfarbene Strähne von der fahlen Wange. Eine neue Welle der Übelkeit wallte in ihm auf, in seinen Knochen vibrierte Mitleid und Wut. Ihm schwindelte kurz, und er musste seine Hand zurückziehen, um sich wieder zu fassen. Er musste hier weg! Jemanden Bescheid sagen, irgendwen holen... Taumelnd richtete Aries sich auf, der Saum seines Gewandes war mit dem Blut des Mädchens getränkt. Er keuchte entsetzt auf. Stolperte angeekelt zurück und übergab sich schließlich. Würgend spuckte er aus, mahnte sich selbst, sich endlich zusammenzureißen und fasste sich halbwegs. Noch immer schwankend lief er los, Richtung Therme, wo am Abend noch einige Leute waren. Leute, denen er erzählen musste, was er gesehen hatte.

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Danke Leute 😍 Wir haben jetzt schon ein so tolles Ranking und so verdammt viele Reads nach kurzer Zeit. Ich bin momentan echt geplättet wie viel Interesse die Geschichte jetzt schon bei euch auslöst!!! Fühlt euch gedrückt :)

Römisches BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt