Aufgeweckt durch das aufdringliche Brummen einer Fliege setzte Aries sich aus einem unruhigen und höchst unerholsamen Schlaf auf die Kante seines Bettes. Er fühlte sich wie gekaut und wieder ausgespuckt, als hätte ihn jemand in der Nacht eine Reingehauen. Es hinterließ einen pelzigen Geschmack auf seiner trockenen Zunge. Wie sehr hatte er gehofft im Schlaf seine Erinnerungen an die gestrige Nacht zu verlieren, doch sobald er die Augen aufschlug war es wieder da, alles war noch so real wie in der ersten Sekunde. Nur die Gefühle hatten sich geändert, wenn auch die bittere Unternote der Verzweiflung nicht ganz erloschen war. Aber so wie Aries eben war, beschloss er jetzt nicht den Kopf in den Sand zu stecken und sich einfach auf die Straße zu setzen. Er würde um jedes Ass das er kriegen konnte kämpfen, denn er war noch nicht am Ende. Nicht wegen so etwas!
Aries atmete also tief durch und rieb sich mit beiden Händen den letzten Schlaf aus dem Gesicht. Dann stand er auf, zog sich eine frische Tunika aus einer Holztruhe unter dem Bett an und lief die schmale Treppe zum dunklen Laden runter. Er schnappte sich eine alte Schüssel aus polierter Keramik und verließ seinen Laden. Nach einem kurzen Blick merkte er, das die Sonne schon auf dem Weg zu ihrem höchsten Punkt war, er also ziemlich lange geschlafen hatte. Verdammt! Die beste Verkaufszeit war also schon vorbei. Grummelnd bog Aries zur nächsten Kreuzung an der ein Brunnen gelegen war. Aus einem wasserspeienden Gesicht, welches am Kopfende des Brunnens in eine erhöhte Stehle gemeißelt wurde rann kühlendes Nass, von dem Aries sogleich einige gierige Schlucke genoss. Bei der Gelegenheit fuhr er sich mit der nassen Hand gleich auch über Gesicht und Haar, benetzte seine Arme und seinen Hals. Und wie durch einen Zauber ging es ihm besser. Das Wasser kam aus einem Aquädukt aus den Bergen, östlich der Stadt und war erfrischend kühl, obwohl es bereits einen langen Weg hinter sich hatte. Aries schöpfte Wasser mit der Schüssel und machte sich dann auf den Weg zurück. Wie üblich waren die Straßen gut gefüllt, die meisten davon fleißig arbeitende Sklaven die Säcke schleppten, Esel hinter sich her führten oder einfach so unterwegs waren um Geschäfte für ihre Besitzer zu erledigen. Ein ganz normaler Anblick für Aries, der ihn keinen zweiten Blick viel bedeutete.
Sein Magen erinnerte ihn daran das er seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen hatte und sein Verstand sagte ihm, dass das heute wahrscheinlich auch nichts werden würde bei seinen Finanzen. Es war enttäuschend dennoch den Geruch von Brot auszumachen und frischem Obst. Vom Manius' Laden für Gewürze und Kräuter kam es ebenfalls verlockend herüber geweht und Aries musste sich auf die Zunge beißen, um den Gerüchen den Rücken zuzukehren und seinen eigenen Laden zu öffnen. Er schob die Holztüren mit einer Hand etwas mühsam auf und Licht flutete herein. Aries hatte keine Zeit zu verlieren. Eigentlich hätte er wenigstens noch einmal den Jupiter-Tempel besuchen müssen um dort von Jupiter und sinnbildlich dafür stehend dem Kaiser selbst Glück für den Tag zu erbitten. Das hatte er im übrigen auch gestern ausfallen lassen, aber er war nicht allzu religiös das er sein gestriges Unglück mit seinem versäumten Tempelgang in Verbindung brachte.
Als er nur also die Türen öffnete und gedankenlos ins Innere ging übersah er beinahe etwas, was hier absolut nicht hingehören sollte. Und es war nicht unauffällig, wie es da mit schaukelnden Beinen auf seinem Tresen saß, als wäre es das normalste der Welt. Aries blieb abrupt stehen und sah das Mädchen, das dort mitten in seinem Laden saß perplex an. Sie hatte sogar den Mut ihm trotzig mit ihren braunen großen Augen entgegen zu blicken, keine Spur von der üblichen Schüchternheit eines Kindes. Jetzt war es also so weit, Aries verlor anscheinend gerade endgültig den Verstand. Er sah über seine Schulter zurück auf die Straße, wo das Leben tobte und dann wieder zu dem Mädchen. Es war vielleicht sieben, höchstens neun Jahre alt und trug um seinen Hals eine bulla, das Glücksamulett der Kinder, welches jedes Kind bis zu seiner Volljährigkeit trug. Die Kindertunika, die sie trug war zerschlissen und fleckig, etwas zu dreckig für den normalen Schmutz den Kinder so machten, wenn sie spielten. „Wie bei den Göttern bist du hier reingekommen?", fragte Aries schließlich fassungslos und sah die Kleine mit verengten Augen an. Sie zuckte mit den Schultern und befingerte dann den Saum ihrer Ärmel. Aries schüttelte schnaubend den Kopf stellte die Schüssel neben ihr ab. Der braune Schopf war ungekämmt, die Haut grau vom Staub. Sie sah nicht so aus, als hätte sich erst vor kurzem eine liebende Mutter um sie gekümmert. Aber was wusste Aries schon davon. „Willst oder kannst du es mir nicht erzählen?", fragte Aries weiter. Wieder ein stummes Schulterzucken. Na großartig. Aries sah die Kleine mit genervten Blick an. „Alles klar, es ist mir eigentlich auch egal. Mach einfach das du verschwindest!", meinte er nicht gerade in seinem freundlichsten Tonfall. Das Mädchen erwiderte seinen Blick, machte aber keine Anstalten aufzustehen. „Los, da ist die Tür, hau ab!", schob Aries mit einem Fingerzeig zur Straße nach. Doch das Mädchen tat nichts. Im Gegenteil zuckte sie wieder nur mit den schmalen Schultern und sah ihn mit der ganzen Unschuld eines Kindes an, welches nicht verstand. Aries verdrehte genervt die Augen, schob die Kleine am Rücken vom Tresen, sodass sie gezwungen war runterzuspringen. Nackte Füße patschten auf kalten Steinboden. „Ich sag es dir nicht noch einmal: Hau ab, von wo auch immer du hergekommen bist. Meine Stimmung könnte gerade nicht schlechter sein, deshalb fordere meine Geduld nicht heraus, Mädchen.", knurrte Aries nun wirklich unfreundlich und schob sie unter widerwilligem Zappeln zur Straße. Als ihre Zehenspitzen die Türschwelle berührten ließ Aries sie ruckartig los. Mit düsterem Blick ließ er sie da stehen und drehte sich um. Auch, wenn er einem Kind nie was antun würde waren seine Worte ernst gemeint. Sein Kopf drohte vor Gedanken zu explodieren und sein Magen höhlte ihn von ihnen aus. Er brauchte jetzt unbedingt Kunden und kein streunendes Kind, das wie auch immer hereingekommen war, sich vielleicht unbemerkt reingequetscht hatte als er die Tür geöffnete. Doch das Mädchen dachte nicht daran zu gehen, sie stand stur da, drehte sich wieder zu ihm um und beobachtete ihn schweigend gegen das Licht. Aries versuchte sie zu ignorieren, nahm ein Stück Stoff, tauchte ihn in die Schüssel und begann die Tische und Regale damit von Staub zu befreien. Kunden mochten es ordentlich und sauber in ihrem Laden, keine grauen Schichten, wenn Aries einen Stoff vom Regal zog und ihn erstmal sauber pusten musste. Es machte einfach keinen guten Eindruck und es gefiel, wenn der Verkäufer beschäftigt aussah. Also wollte Aries genau das tun, beschäftigt wirken, bloß nicht die Aussichtslosigkeit nach außen tragen, die in seinem Innerstes als wirbelndes Chaos tobte. Er wollte sich ganz auf seine Arbeit einlassen, mit einfachen Kleinigkeiten zur Ruhe kommen, als er den Klang von klapperndem Geld hörte. Nicht nur eine Hand voll Münzen, viel Geld... einen ganzen Beutel davon. Er sah zur Quelle des Geräusches. Das Mädchen hatte gerade einen gut gefüllten Beutel aus dem Kragen ihrer Tunika gezogen und hielt nun in ihrer Bewegung inne. „Was zum-", setzte Aries gerade an, als ihm der Beutel seltsam vertraut vorkam. Ja natürlich! Das rote Band, welches den Beutel verschloss, der nicht ganz passende, verschlissene Stoff. Es gab keinen Zweifel, dass... „Du kleine Mistgöre! Wenn ich dich erwische mach ich dir Beine. Gib das sofort her!", rief Aries furios, während er den Lappen platschend fallen lassend auf das Mädchen zu hechtete. Ihre braunen Augen weiteten sich, als sich schon davonhuschte, um Aries zu entgehen. Er rannte ihr nach auf die Straße, sah wie sie zischen den Beinen von zwei Frauen verschwand und wie vom Teufel gejagt weiterlief. Aries war langsamer, er wich Passanten aus, stieß mit der Schulter an einen ältere Herren der ihm wütend nachrief und hatte die Kleine schon nach der zweiten Häuserecke verloren. Aries blieb keuchend stehen und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Wollte die Kleine ihn ärgern? Ihn sein Unglück auch noch unter die Nase reiben? Was wollte sie ihm denn damit beweisen einfach in seinem Laden aufzukreuzen und ihm seinen Geldbeutel vorzuhalten, um dann wieder wegzulaufen. Bei den Götter er verstand momentan gar nichts mehr. Er knurrte frustriert und trottete zurück zu seinem Laden. Gefolgt von verärgerten und verurteilenden Blicken, von Augen die ihn wieder erkannten und mit einem wissenden Blick argwöhnten. Und das erste Tuscheln begann wenig später.
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Wenn die Geschichte bisher gefällt lass doch nen Vote da :) Du kleiner Ghostreader, du...
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Römisches Blut
Historical Fiction45 n. Chr. Pompeji Der junge Stoffhändler Aries lebt ein eher bescheidenes Leben in dem er sich von Monat zu Monat über Wasser hält, als plötzlich unweit der Vorstadttherme ein Mord geschieht. Kurz darauf scheint nichts mehr so zu sein wie zuvor, wä...