Das Knirschen von stapfenden Schuhen drang immer wieder in die Ohren und die frostige Kälte kroch langsam in die Mäntel hinein. Sonnenstrahlen kämpften sich durch die düsteren Wolken und ließen die Schneedecke in allen Farben erstrahlen wie Diamanten im Licht. Dicke Schneeflocken fielen in einem Schneckentempo hinunter und ließen in Naylas und Noahs Gesicht Wasserspuren zurück. Rehherden sprangen durch die Felder, verzweifelt auf der Suche nach etwas Essbarem und Vögel zogen lärmend über ihre Köpfe gen Süden hinweg. Der Herbst packte seine sieben Sachen und verschwand in den Urlaub und schickte den eisigen Winter voran. Die kalte Jahreszeit schreckte vor nichts zurück.
Erst vor zwei Tagen traten die Freunde ihre Reise an, doch schon merkten sie die Wetterunterschiede in den einzelnen Gebieten. Gestern noch liefen sie durch saftiges Grün und heute durch blendendes Weiß. Es würde ungefähr einen Monat dauern, bis sie die majestätische Stadt erreichten, wenn sie ihr schnelles Tempo beibehielten. An Pausen war kaum zu denken, auch die Schritte wurden zumal schneller.
Während Noah sich im Winterwunderland schier wohl fühlte, konnte Nayla das weiße Zeug nur missmutig anstarren. Sie unterdrückte den Drang, das grässliche Weiß in ein leuchtendes Lila zu verwandeln, doch zuckten ihre Fingerspitzen permanent umher. Sie wünschte sich das herbstliche Grün wieder zurück, das sich langsam in ein intensives Orange verwandelte.
,Winter, wer mochte ihn schon', dachte sie und schaute Noah dabei zu, wie er behutsam eine Schneeflocke auf seinem Zeigefinger balancierte. Bei ihm schienen die Flocken nicht zu schmelzen, es sah sogar so aus, als würde er die Flocken anziehen. Sie schwirrten um ihn herum wie kleine, lästige Stechmücken.
Sie seufzte und erhitzte ihren Körper noch wärmer, um sich vor der Kälte zu schützen. Ihre Wangen färbten sich dabei leicht rosig. Sie vermieden es, die Pfade zu nehmen, um Umwege zu ersparen und stapften geradewegs auf Re'kuthis zu. Viel hatten sie nicht dabei, gelegentlich etwas zu trinken, ein Zelt und warme Klamotten, wobei letzteres nur auf Nayla zutraf. Noah war so gnädig und leistete ihr bei der langen Reise Gesellschaft. Wenn er gewollt hätte, wäre er schon längst in Re'kuthis, in einer gemütlichen Unterkunft sitzend und wartend auf Nayla. Doch führte die Reise durch ein gefährliches Land, in dem verwilderte Wesen hausten und jede erdenkliche Vernunft verloren hatten. Hierbei wollte er Nayla ungern im Stich lassen. Es war ein Land mit hohen, steinernen Bergen, in denen sich ein schmaler Pfad durchschlängelte, in der schon allerlei Wesen und Menschen grausam zu Tode kamen, zerfetzt und gefressen von den Wildlingen - der Cathan-Pass. Der Engel wusste ganz genau, um welche Wesen es sich hier handelte und mit jedem Schritt, der sie näher an das verfluchte Land brachte, wurde er nervöser. Seine Nervosität hielt er nicht versteckt. Jede noch so kleinste Bewegung, die sich auf das offene Feld vor ihm abspielte, beobachtete er haargenau und seine Wachsamkeit war mehr als geschärft, selbst die einzigartige Schneeflocke auf seinem Finger lenkte ihn nicht ab.
Schlussendlich hielt Nayla seine Nervosität und Zappeleien nicht mehr aus.„Noah entspann dich mal. Wir sind noch gut ein oder zwei Wochen vom Cathan-Pass entfernt. Im Moment ist hier keine Gefahr."
Ihre Worte schienen bei ihm jedoch keine Wirkung zu zeigen.
„Na und. Wer weiß, wie weit sich diese Wildlinge hinaus auf das Land wagen. Denen traue ich alles zu. Ich frage mich sowieso, wie du solch barbarische Wesen auf deiner Welt tolerieren kannst."
Nayla seufzte erneut. Sie hatte ihm schon einmal versucht zu erklären, dass es nicht so einfach war. Für einen Rauswurf müsste sie einige Sekunden ihr Schild öffnen, was ein hohes Risiko mit sich brach. Sie nahm lieber diese wenigen, aggressiven Wesen in ihrer Welt in Kauf, anstatt eine ganze Horde wütender und starker Kreaturen, die vor ihrem Schild wohl campierten. Das Argument von Noah damals, sie könnte die Wesen ja stattdessen umbringen, zog sie auf keinen Fall in Erwägung. Sie wollte nicht noch mehr Blut an ihren Händen kleben haben, als sie es ohnehin schon hatte. Ihre Taktik war stets, den Feind erstmals zu quälen wie eine Katze mit einer Maus und dann außer Gefecht zu setzen.
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Die Weltenhüter
FantasyWas wäre, wenn damals alles anders gelaufen wäre? Wäre Sie dann immer noch alleine? Wäre die Welt immer noch in Sicherheit? Würden die Menschen immer noch friedlich mit den Kreaturen zusammenleben? Oder ist Krieg der einzige Weg, um das unausweichl...