Kapitel 24

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Die Füße des Menschen schlugen abermals auf den Boden auf. Die Schritte des Engels hallten ihm nach. Näher, immer näherkommend. In einem Zickzack rannte er nun durch den Wald, hoffend, so seinem Verfolger zu entkommen. Ein wagender Blick nach hinten ließ ihn für eine Sekunde aufatmen. Seinen Verfolger ließ er mit seiner Taktik immer weiter hinter sich, nichtsahnend, dass der Engel mit ihm spielte. Kurz, bevor die Hoffnung wieder in ihm aufkeimte, bohrte sich etwas spitzes, hartes durch seinen Fuß. Er schrie und schlug auf den Boden auf. Ungläubig starrte er den perfekt geformten Eiszapfen in seinem Fuß an, der sich langsam mit roter Flüssigkeit vermischte.

„Uhhhh, Volltreffer."

Der Mensch schrie auf, als Noah urplötzlich vor ihm erschien. Er ging in die Hock und zog den Zapfen mit einem Ruck heraus. Um seine Schulter hatte er sich mehrere Eiszapfen umgehangen, die er mit einem Eisfaden verbunden hatte. Er sah aus, als würde er auf Vampirjagt gehen und anstatt Holzpfähle, Eiszapfen benutzen. Noah drehte sein kleines Werk kurz in der Hand, eher er ihn zerbröselte.

„Okay, wenn du es schaffst, aus diesem Wald zu kommen, bevor ich meine fünfzig Punkte erreiche, lass ich dich laufen."

„P-p-punkte? W-was für P-punkte?", flüsterte Matteo. Er war sich ganz sicher, dieses Wesen musste verrückt sein.

Noah lachte leise in sich hinein.

„Ich habe mir soeben ein kleines Spiel ausgedacht. Deine Füße sind jeweils fünf Punkte wert, deine Arme jeweils zehn und deine Brust ist zwanzig Punkte wert. Ich lasse dir einen kleinen Vorsprung und wenn du, wie gesagt, aus diesem Wald kommst, bevor ich alle Bereiche mit einem Eiszapfen durchbohrt habe, lasse ich dich laufen. Du bist meine lebende Dartscheibe."

Noah strahlte ihn mit einem breiten Grinsen an, als hätte er soeben freudige Nachrichten erzählt. Er berührte kurz den blauunterlaufenen Fuß und versiegelte die Wunde. Kurz darauf verschwand er einfach.

Matteo drehte sich in alle Richtungen, doch von Noah aber keine Spur mehr zu sehen. Sofort sprang er auf seine Füße und lauschte in den Wald hinein. Stille, absolute Stille. Eine eisige Kälte wehte durch die Bäume und ließ ihn frösteln oder war es doch die pure Angst?

Vorsichtig nahm er einen Schritt vorwärts, nur um sogleich wieder die Ohren zu spitzen. Wieder absolute Stille.

Sein Atem ging unregelmäßig und er schien zu glauben, allmählich zu halluzinieren. Egal wohin er schaute, meinte er im Augenwinkel etwas vorbeihuschen zu sehen. Er nahm noch einen Schritt vorwärts, dann noch einen und noch einen, entschied sich jedoch nicht zu rennen. Er erinnerte sich an eine Situation aus seiner Kindheit, indem er zitternd vor einem kläffenden Hund stand.

'Bleib stehen! ', hatte ihm seine Mutter damals zugeschrien. 'Lauf ja nicht weg, sonst weckst du den Jagdinstinkt in ihm. '

Diese Situation war zwar eine völlig andere als jene in seiner Kindheit, jedoch setzte er sich entschlossen trotzig auf den Boden, wartend, was nun passieren würde. Er wusste, dass er es niemals rechtzeitig aus dem Wald schaffen würde, wozu sollte er sich also die Mühe machen. Seine Sturheit war viel zu groß, als dass er nach den Regeln des Engels spielen würde.

Eine lange Zeit verging, ohne dass irgendetwas passierte. Es kamen weder Eiszapfen geflogen, noch ließ sich Noah blicken. Allmählich wurde Matheo unruhig. Er wusste nicht, ob dies ein gutes Zeichen war. Hatte er ihm mit seiner Entscheidung den Jagdinstinkt ausgetrieben? War dem Engel die Lust vergangen? Sollte er es wagen, loszulaufen?

Sein Kopf ratterte nach einer richtigen Antwort, bis er sich schließlich erhob. Die Abenddämmerung brach langsam ein und warf die letzten Sonnenstrahlen über den Wald und ließ den Schnee das letzte Mal aufleuchten. Schließlich siegte die Unsicherheit in ihm und er entschloss, noch einige Zeit zu warten. Wirre Gedanken füllten seinen Kopf und die panische Angst kroch sich immer weiter in ihn hinein. Er ignorierte sie jedoch so gut es ging, falls dies überhaupt möglich war. Seine Augen geschlossen versuchte er irgendwelche Geräusche ausfindig zu machen, doch alles was er wahrnahm war das Rauschen in seinen Ohren.

Die WeltenhüterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt