Kapitel 25

34 5 2
                                    

Großes Schweigen machte sich nach den Worten von Matteo breit. Allein das Feuer knisterte und zischte laut vor sich hin, als würde es die Bitte des Menschen verhöhnen. Auch Nayla schien die passenden Worte nicht finden zu können und blickt mit großen Augen in sein flehendes Gesicht.

Das laute Lachen des Engels hallte durch den Wald und ließ die beiden aufschrecken. Er krümmte und windete sich unter seiner Belustigung, sodass er sich auf den Boden setzen musste. Tränen flossen an seinen Wangen hinunter, während er versuchte, unter seinen ganzen Lachkrämpfen einen gescheiten Satz zu formulieren. Jedoch verlor sich jedes Wort in sein lautstarkes Gelächter. Nach einigen Minuten war es jedoch urplötzlich still und er stand direkt hinter Matteo.

„Du möchtest uns also auf unsere Reise begleiten?", hauchte er leise in sein Ohr. Matteo erstarrte und seine Nackenhaare stellten ich auf. „Eine Reise, bei der du gänzlich an deine Grenzen kommen wirst?" Er legte seine Hand auf die Schulter des Menschen und wanderte mit seinen Fingern langsam die Halsschlagader entlang, die unter der Berührung von Noah zu pulsieren anfing. Angstschweiß bildeten sich auf seiner Stirn und er versuchte den Kloß in seinem Hals hinunterzuschlucken. „Eine Reise, bei der wir dich nicht beschützen werden, bei der du höchstwahrscheinlich kläglich sterben wirst?" Noah ging langsam um Matteo herum, sodass er nun direkt vor ihm stand. „Eine Reise, voller gefährlicher Wesen, die nur darauf warten, dich zu zerfleischen, zu zerstückeln und aufzuspießen?", flüsterte er mit einer bedrohenden Stimme und sah ihm fest in die Augen. Seine Iris begann sich zuzufrieren wie Frost bei einem Fenster und Bruchteil einer Sekunde offenbarte Noah ihm seine wahre Gestalt.

„DAS REICHT JETZT!" Nayla schubste den Engel zur Seite, welcher sogleich abwehrend seine Hände hob. „Ist ja gut, tut mir leid." Seufzend lehnte er sich an den nächsten Baum und verschränkte seine Arme vor der Brust. Matteos Furcht vor dem Engel schien ins Unendliche gewachsen zu sein. In der einen Sekunde, in der er in die wahre Gestalt des Engels blickte, war ihm bis zu diesem Zeitpunkt nicht klar gewesen, was für ein furchteinflößendes Monster Noah eigentlich war. Sein Mund fühlte sich an, als hätte er eine Tasse Sand geschluckt. Er schielte mit rasendem Herzen zu dem Engel hinüber, der seinen angstvollen Blick mit einem hämischen Grinsen entgegnete. Naylas Stimme drang geradeso in sein Bewusstsein.

„Sieh mal, du kannst nicht mit uns mitkommen. Du besitzt keinerlei Fähigkeiten, die uns in irgendeiner Weise weiterhelfen könnten und wärst eine erhebliche Belastung für uns. Wie Noah schon sagte, du würdest auf dieser Reise sterben." Nayla drehte sich ohne ein weiteres Wort um und machte Anstalten zum Gehen. Ruckartig ergriff Matteo ihre Hand und zog sie zurück.

„Ich bitte dich, nimm mich mit... bitte. Ich werde euch schon irgendwie helfen können... ich möchte mehr hinter den Kulissen dieser Welt schauen." Sein betteln glich den Anblick eines Welpen. Noah schaute überrascht auf. Er war sich sicher gewesen, dass er ihn völlig verscheucht hatte, was auch seine Absicht gewesen war. Insgeheim hoffte er jedoch, dass Nayla ihn mitnahm. Er hatte großen Gefallen an den Menschen gefunden, was er gegenüber von Nayla jedoch niemals zugeben würde.

„Ich weiß nicht, was ihr vorhabt oder wohin ihr geht... aber bitte, gebt mir eine Chance! Mein Leben war bis jetzt so leer gewesen, trostlos. Ich hatte kein Ziel vor Augen und jetzt bietet sich mir eine Gelegenheit an, etwas Aufregendes zu erleben. Ich werde auch auf meine eigene Gefahr mitkommen. Sollte ich sterben, trifft euch dann keine Schuld."

Nayla stöhnte innerlich auf. Sie würde Matteo am liebsten sofort wieder nach Hause schicken, ihm sagen, dass er sein Leben nicht so leichtsinnig aufs Spiel setzen sollte und ein Lebensziel suchen, bei der er nicht beinahe jeden Tag einen Herzinfarkt erleiden müsste. Doch etwas in seinen bettelnden Augen erinnerte Nayla an sich selbst, wie sie damals bettelnd und hartnäckig vor den Königshütern stand. Sie griff seine Hand, die ihren Arm immer noch fest umklammerte und schaute zu ihm auf.

„Okay, du darfst uns begleiten." Die Augen von Matteo weiteten sich vor Überraschung. Er öffnete den Mund, um ihn jedoch gleich wieder zu schließen. Trotz seiner Hoffnung war er der festen Überzeugung gewesen, dass man ihn nach Hause schicken würde. Noah stieß sich von dem Baum ab und klatschte freudig in die Hände.

„Na das ist ja mal eine Wendung. Jetzt haben wir ein kleines Maskottchen in der Gruppe. Hiermit ernenne ich dich zu unserem persönlichen Glücksbringer." Er ging auf Matteo zu und stieß ihn leicht mit der Faust gegen seine Schulter. „Keine Sorge, ich werde höchst persönlich für deine Sicherheit sorgen. Du wirst schon nicht drauf gehen." Noah schenkte ihn ein breites, ehrliches Grinsen. Seine Freude über das neue Mitglied der Gruppe konnte er mich mehr verbergen.

„So viel zu 'wir werden dich nicht beschützen'... was ein Lügner", kam es leise von Nayla. Sie ließ einen resignierenden Seufzer los und wendete sich wieder Matteo zu. „Sobald es aber gefährlich wird oder ich voraussehe, dass es gefährlich werden kann, wirst du mit sehr viel Abstand warten, bis wir die Situation entschärft haben." Ich möchte nicht schon wieder Schuld an den Tod eines Menschen haben.

Matteo strahlte über beiden Ohren und es schien, als wäre sein breites Grinsen festgetackert worden - auf Dauer ein gruseliger Anblick. Seine Angst vor Nayla schien endgültig verschwunden zu sein, wobei er jedoch zu Noah einen gewissen Abstand hielt. Er konnte sich mit seiner Anwesenheit einfach nicht anfreunden. Ob es wohl an seinem Charakter lag? Oder doch eher an seine starke, bedrohliche Aura, die selbst er als Mensch leicht wahrnehmen konnte. Kaum war er in der Gruppe aufgenommen worden, sprudelten die Fragen auch schon aus seinem Mund heraus.

„Wie lange gibt es schon solche Wesen wie euch? Gibt es mehrere Arten? Wieso habe ich bis jetzt noch nie welche zu Gesicht bekommen? Ich meine, jeder Kontinent und noch so kleines Fleckchen auf der Erde ist doch von Menschen besiedelt, da müssten doch solche Wesen irgendwann gesichtet werden oder auffallen?"

Durch diese vielen Fragen blitzte ein Déjà-vu in Nayla auf, wie Ava sie damals mit Fragen gelöchert hatte. Sie drehte sich schnell um, damit Noah ihm die ganzen Fragen beantworten sollte, doch von ihm fehlte jede Spur.

„Du hinterhältige, kleine Ratte." Sie stöhnte innerlich auf. Hätte sie sich schneller umgedreht, hätte sie ihn vielleicht noch erwischen können. ‚Wahrscheinlich macht er es sich irgendwo in einem warmen, wettergeschützten Zimmer gemütlich und lacht mich aus', dachte sie und deutete mit einer Handbewegung Matteo an, sich an das kleine Feuer zu setzen, das sich tapfer in dem eisigen Wind hielt. Ein Glück, dass sie von einem Schneeschauer verschont blieben. Den mit teilweise schneebedecktem, nassen Boden ignorierte Nayla. Sie hob ihre rechte Augenbraue und im Handumdrehen wurde das Feuer größer und wärmer.

„Wooooow, wie hast du das jetzt gemacht?", kam es staunend von Matteo. Er starrte das hohe, lilafarbene Feuer mit offenem Mund an und konnte seinen Blick davon nicht abwenden. Was für ihn gerade wie ein unglaubliches Spektakel rüberkam, war für Nayla eine Kleinigkeit, nicht der Rede wert.

„Es gab schon immer Wesen hier auf der Erde, schon vor der Zeit der Menschen", fing sie an zu erzählen und ignorierte seine Frage. „Als die Erde entstanden war, wurde sie sogleich mit allerlei Kreaturen mit Magie besiedelt. Viele davon haben sich weiterentwickelt aber manche von ihnen kamen mit den Wetterbedingungen auf der Erde nicht zurecht und starben, weshalb viele Arten ausgestorben sind. Damals wurde auf der Welt frei mit der Magie praktiziert, ohne jemanden verletzen zu wollen, ohne böse Absichten. Es waren friedvolle Tage."

Sie schaute an das Feuer vorbei hinein in die Dunkelheit und es schien, als wäre sie im Geiste in einem völlig anderen Zeitalter.

„Doch irgendwann entstand eine neue Rasse, eine Art Wesen, die keinerlei Magie besaß, die Menschen. Ich bin damals relativ früh auf die Erde als Hüterin gekommen. Die erste Art, der ich begegnet bin, waren die Menschen. Sie waren sehr freundlich und nett zu mir gewesen. Sie hatten keine Angst vor meinem Wesen gehabt und ich freundete mich mit ihnen an. Ich mochte die Menschen sehr, vielleicht etwas zu sehr. Sie waren von ihrem Verhalten und ihrer Denkweise ganz anders als die Wesen mit Magie. Eventuell habe ich euch Menschen auch in vielen Dingen bevorzugt."

Sie schaute Matteo mit einem leichten Lächeln an. Er saß dort mit angezogenen Beinen und hatte sein Kinn auf die Knie gestützt und lauschte Naylas Worten. Sie empfand ihn als einen sehr angenehmen Zuhörer, da er sie noch nicht einmal unterbrochen hatte. Es schien ihr eine Ewigkeit her zu sein, dass jemand anderes außer Noah ihr so aufmerksam an ihren Worten hing. Ihr kam Ava wieder in den Sinn, die ihr auch zugehört hatte, jedoch nicht so aufmerksam und still wie Matteo es tat.

„Du musst vorher wissen, dass ich auf dieser Welt bin, um sie vor großen Gefahren zu schützen, sozusagen kannst du mich als einen Leibwächter betrachten. Ich hatte mir damals die Erde wegen der Vielfältigkeit der Wesen und der atemberaubenden Natur ausgesucht. Wie gesagt, wir lebten eigentlich friedlich vor uns hin, bis eines Tages die Wesen immer mehr Macht und Kontrolle über die Erde haben wollten, jedoch artete es nicht aus, da ich ihnen diese Freiheit teilweise gestattete. Jedoch schnitten sich die Menschen von der Machtgier der Wesen etwas ab und erschufen Waffen, um die Kreaturen zu unterdrücken. Ihre Machtsucht nahm Überhand, sodass sie eines Tages den Wesen mit Magie den Krieg erklärten. Eigentlich stellte es einen Verrat dar... doch anstatt meiner Pflicht nachzugehen und die Bedrohung zu beseitigen, hielt ich zu den Menschen. Tja, so kurbelte ich den Krieg zwischen magischen Wesen und Menschen erst so richtig an."

Sie knirschte bei dieser Erinnerung mit den Zähnen und spielte gedankenverloren mit dem Schnee herum.

„Was dann geschah, war sehr grausam. Den Teil überspringe ich jetzt einfach mal und kürze die Geschichte etwas ab, sonst sitzen wir noch bis zum Morgengrauen hier rum. Kurz gesagt, ich warf mehr als die Hälfte der magischen Wesen aus der Welt hinaus, geblieben sind nur die neutralen Wesen. Ich habe eine Regel aufgestellt, in der es den magischen Wesen nicht gestattet ist, sich den Menschen zu zeigen oder offenbaren. Über Jahrhunderte wurden sie deshalb vergessen und zu Legenden der Menschen."

Matteo starrte ununterbrochen in das Feuer hinein. Es sah aus, als ob er etwas sagen wollte, jedoch blieb sein Mund geschlossen.

„Und ja, ihr Menschen besiedelt zwar jeden Kontinent, jedoch haben auch wir unseren Platz. Viele magische Städte verbergen sich tief in den Wäldern, Wüsten oder Bergen. Sie sind umhüllt von einer magischen Unsichtbarkeitsbarriere, die die Stadt sicher tarnt und es den Menschen nicht gestattet, hindurchzugehen. Kommen Menschen in die Nähe einer solchen Barriere, wird automatisch deren Orientierungssinn durcheinandergebracht. Sie kehren dann automatisch um und denken, dass sie immer noch geradeaus gehen würden. Tja, das ist der Trick dahinter."

Jetzt erst löste Matteo sich von seiner stillen Haltung. Er rückte etwas näher an das Feuer, um mehr Wärme abzubekommen und stütze sich mit seinen Händen am Boden ab.

„Das ist alles wirklich sehr interessant. So etwas hätte ich nie für möglich gehalten. Magische Wesen und Menschen... denkst du, wenn du damals den Menschen nicht als erstes begegnet wärst, hättest du dich dann anders entschieden?"

Überrascht schaute Nayla zu ihm hinüber. Darüber hatte sie noch nie wirklich nachgedacht. Hätte sie sich anders entschieden?

„Ich weiß es nicht", gab sie ehrlich zu. „Manchmal wünschte ich mir, ich wäre einfach nur ein normaler Mensch, ohne je wirklich eine Verpflichtung haben zu müssen."

Ein leises Kichern entfuhr Matteo und er schaute sie belustigt an.

„Oh glaub mir, auch als Mensch hat man so einige Verpflichtungen. Wenn du nur wüsstest. Auch wir haben es nicht einfach im Leben."

Nayla verdrehte die Augen. Ihr war dies schon klar, dennoch konnte man die Verpflichtungen der Menschen und die Verpflichtungen von ihr nicht auf eine Stufe stellen. Da lagen Welten dazwischen. Sie hatte sich dieses Leben aber selbst ausgesucht. Den Status als 'Hüterin' konnte man eigentlich ablehnen. Durch ihr Krafttier Saphíra war dies aber nicht möglich, da sie ein Fall der ganz besonderen Art war.

„Naa, wer hat mich vermisst?" Aus der Dunkelheit trat Noah plötzlich heraus und grinste in die Runde hinein. Auf dem Arm hielt er einige, flauschige Decken, die er Matteo überreichte. „Bevor du uns hier noch am ersten Tag erfrierst." Scheu nahm er leise dankend die Geste an und hüllte seinen bibbernden Körper in die Decken. Nett konnte der Engel also doch sein.

Er setzte sich neben Nayla, die sich mit ihrer eigenen Magie warm hielt.

„Lasst uns noch etwas ausruhen und in ein paar Stunden brechen wir dann weiter auf nach Re'khutis."

Die WeltenhüterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt