Kapitel 23

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Geraume Zeit irrten sie nun schon durch die Gänge, folgten immer wieder den eingeritzten Rauten, sobald sie eine Abzweigung erreichten.
Dipper lief voran, hatte kein gutes Gefühl dabei, den Traumdämon in seinem Rücken zu wissen.
Es war mehr als eindeutig, dass Bill ihm etwas verschwieg, aber er traute sich auch nicht, das fliegende Dreieck darauf anzusprechen. Ohne ihn würde er niemals wieder diese Dimension verlassen oder Cassandra retten können.
Dann müsste er bis an sein Lebensende in diesem verdammt dunklen Labyrinth herumirren.
Ein Schauer rann über seinen Rücken, als er sich ausmalte, wie er in dunklen Ecken kauerte und die rot und grün fluoreszierenden Käfer in sich hineinstopfte, die Haare lang und verfilzt.
Besagte Käfer krabbelten nun schon eine Weile über die groben feuchten Steinwände, zogen bunte Spuren aus Licht hinter ihnen her, sobald der Strahl der Taschenlampe sie streifte.
Nach all den Drohungen über Monster und Gefahren in diesem Labyrinth hatte Dipper sich eigentlich auf seine bisher gefährlichste Unternehmung eingestellt, doch bis jetzt schien alles wie ein sonntäglicher Spaziergang.
In einer dunklen, feuchten Höhle, mit Leuchtkäfern und einem Traumdämon, dem er immer noch nicht über den Weg traute.
Apropos trauen...
Weshalb traute Cassandra ihm? Und weshalb war Cipher so darauf fixiert sie zu befreien?
Er wäre eher davon ausgegangen, er hätte die Frau fallen gelassen, wie ein Spielzeug, dass man verloren hatte und einem nicht wichtig genug war, um danach zu suchen.
Theoretisch könnte er sie ja durch jeden anderen Menschen ersetzen.
Solange es nicht Mabel war...
Er sollte seine Schwester wirklich zu Silvester besuchen, vielleicht kamen Gronkel Ford und Stan ebenfalls mit. Um Wendy musste er sich keinen Kopf machen, sie käme sofort mit.
Ein Geräusch schreckte ihn aus seinen Gedanken auf, brachte Dipper zum stehenbleiben.
„Was war das?"
„Woher soll ich das wissen?", brummte Bill zurück, blieb ebenfalls wo er war.
„Wie war das, mit dem Allwissend?"
Der Dämon grummelte etwas unverständliches, verschränkte die Arme vor seinem Körper.
Erneut ein Geräusch, näher diesmal.
Ein Knurren, ein Fauchen, ein Kratzen von Krallen auf Stein.
„Was machen wir jetzt?"
Leise Panik befiel ihn und automatisch griff er in die Innentaschen seiner Lederjacke, so wie er es früher gewohnt war, doch da war nichts. Kein Tagebuch, das ihm hätte helfen können.
Wenn Bill sie nur nicht verbrannt hätte...
Diesem entwich ein schadenfrohes Kichern.
„Die Bauchrednerpuppe hatte tatsächlich Recht. Ohne das Tagebuch bist du aufgeschmissen", kicherte er, handelte sich damit einen wütenden Blick von Dipper ein.
„Bin ich gar nicht", hielt er dagegen, griff in seinen Rucksack.
Nach kurzem wühlen fand er, wonach er gesucht hatte – eine kleine Erfindung von seinem Gronkel Ford und ihm – ein Schweizer Taschenmesser. Aber kein Normales.
Es war ausgestattet mit einem Laserstrahler, dem Schlüssel, der jedes Schloss öffnen konnte, einem Messer, einer Schere, einem portablen Energieschild, einer ausfahrbaren Schwertklinge und einem multifunktionellem Gegengift.
Für was auch immer auf sie zukam, wäre das Schwert vielleicht keine so schlechte Entscheidung...
Er hielt die Erfindung fest in den Händen, betätigte den untersten der darauf angebrachten Hebel, woraufhin die kunstvoll geschmiedete Klinge herausschnellte.
Überrascht sprang Bill in der Luft zur Seite, hielt seinen schwarzen Zylinder an Ort und Stelle, betrachtete das entstandene Schwert kritisch.
„Du kannst damit umgehen?"
„Natürlich", log Dipper, hoffte, dass der Dämon ihn nicht durchschaute. Leider hoffte er vergebens.
„Ich sag dir, Gummibaum, solltest du mich auch nur mit diesem Ding anhauchen, werde ich dein größter Gegner hier drin", drohte er, hielt plötzlich seinen schwarzen Gehstock in Händen.
„Kann ich mit leben", seufzte der junge Mann, konzentrierte sich auf den inzwischen ganz nahen Lärm.
Um die Ecke, dann stünde es vor ihnen.
Was sie erreichte, schien zuerst ein Leopard zu sein, helle Katzenaugen, vier gewaltige Pfoten, einen langen Schwanz, eleganter, katzenartiger Körper, geflecktes Fell. Erst in der zweiten Sekunde fielen die langen gewundenen Hörner an seinem Schädel und die ledernen Schwingen hinter seinen Schultern auf. Stachelplatten zierten den Rücken und die Eckzähne ragten wie bei einem Säbelzahntiger weit über den Unterkiefer hinaus.
Mit gewaltigen Sprüngen eilte es auf die beiden zu, der Speichel lief ihm in freudiger Erwartung einer frischen Beute aus dem gewaltigen Maul.
Geschockt wich Dipper zurück, sein Verstand setzte aus, alles schrie in ihm zu laufen und dennoch konnte er sich nicht bewegen.
Warum konnte er nicht, er musste weg!
„Das Schwert, Gummibaum! Benutz es, du Nichtsnutz!", brüllte ihn Bill an und plötzlich löste sich die Starre, die ihn befallen hatte.
Mit einem tiefen Atemzug hob er die Waffe hoch, rannte auf das Ungeheuer zu, welches irritiert stehen geblieben war, von irgendeinem Magischen Trick Bills abgelenkt.
Er wollte nicht, aber er musste...
Mit zusammengekniffenen Augen rannte er weiter, bis er den Widerstand an der Klinge spürte, das schmerzverzerrte hohe Kreischen in seinen Ohren schmerzte.
Instinktiv stieß er die Klinge weiter vor, wagte es erst die Augen zu öffnen, als das Kreischen verstummte.
Das Wesen stand vor ihm, die ledernen Schwingen zuckten leicht, das Schwert ragte auf der anderen Seite des Brustkorbes wieder heraus. Das Licht in den Katzenaugen war erloschen, tiefgrünes Blut benetzte den Boden, Dippers Stiefel.
Zitternd blieb er stehen, bemerkte aus dem Augenwinkel ein goldenes Kraftfeld, welches um ihn herum erlosch.
Hatte Bill etwa...
Verwundert wandte er sich dem goldenen Dreieck zu, hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Täuschte er sich, oder schien er etwas ergraut zu sein?
„Danke", keuchte er und Bill winkte ab.
„Ich hab einen Deal mit Sechser und auch wenn ich ihn gerne etwas ausreizen möchte, kann ich es mir im Moment nicht leisten", entgegnete er unzufrieden und Dipper setzte zum sprechen an, doch ein unappetitliches Schmatzen erregte seine Aufmerksamkeit.
Langsam glitt das tote Ungeheuer von der Schwertklinge, schlug mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden auf.
Mit einem tiefen Seufzer klappte er das Schwert wieder zusammen, ignorierte das Blut, welches aus den Fugen des Messers lief. Zuhaue würde er es sofort wieder reinigen müssen...
„Tut mir leid", murmelte er und fuhr vorsichtig mit der rechten Hand durch das seidenweiche Fell. Was für eine Schande...
Als er wieder aufsah war Bill bereits um die nächste Kurve verschwunden.
„Nicht trödeln, Gummibaum!"
Kopfschüttelnd folgte ihm Dipper, noch immer vor Adrenalin zitternd.


Gravity Falls - AlptraumlabyrinthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt