»𝟿«

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Als wir um etwa elf Uhr völlig aufgekratzt aus dem Pub kommen, haben Noah und Alexander die glorreiche Idee, die Party auf Zuhause zu verlegen. Der Himmel ist bereits dunkel, aber der laue Abendwind ist noch warm und streicht um meine nackten Beine und unter den Rock meines Kleides.

Marlene hat einen Arm um meine Schulter gelegt und gluckst. »Mann, ich will tansen«, lallt sie. Die letzte Runde Tequila hat sie wohl nicht ganz so gut vertragen. Denn während ich im Pub inzwischen langsam wieder etwas ausgenüchtert bin, hat Marlene immer weiter getrunken. Das im Zusammenspiel mit ihrer zierlichen Figur, führt offensichtlich zu drastischen Ergebnissen.

»Jetzt bringen wir dich erst mal nach Hause«, rede ich fürsorglich auf sie ein und passe auf, dass sie nicht umfällt. Mann, dieser schmächtige Gnom ist echt schwerer als ich dachte! Nur gut, dass ich wieder auf meine Flipflops umgestiegen bin, sonst könnte ich mich hier auch nicht mehr auf den Beinen halten.

»Lea«, lallt Marlene plötzlich, weil sie das »I« in meinem Namen nicht mehr aussprechen kann, »ich verrat dir jes mal ein Jeheimnis.« Sie kichert, als hätte sie gerade was furchtbar Komisches gesagt. Dann wird sie wieder betont ernst. »Aber du muss mir versprechen, dass du es cheinem verätst, oke?«

Ich muss mich zusammenreißen, dass ich nicht lospruste. »Ja natürlich, ich schweige wie ein Grab.«

Marlene nickt. »Weiß du, in der Schule, da hatten wir doch diese neun Stockwerche«, beginnt sie, »weiß du noch?«,

Ich lache, weil wir erst im letzten Monat noch Schule hatten. »Klar, weiß ich das noch.«

»Weiß du manchmal, wenn ich in den achten Stock fahren wollte, da bin ich mit dem Aufzuch bis in den siebten«, sie kichert wieder los, »ich bin in den siebten und hab vor den Professoren so jetan, als wär ich die ganzen Treppen zu Fuß jelaufen.«

In diesem Moment erinnere ich mich daran, dass ich tatsächlich immer geglaubt hab, dass Marlene die ganzen Treppen zu Fuß hoch gelaufen wäre. Das erklärt auch, weshalb sie mit so einem Schwung nach oben lief und doch nie außer Puste war.

»Und ich hab dann immer jesagt, tja, kann eben nich jeder so sportlich sein wie ich.« Sie prustet wieder los.

In der nächsten Sekunde laufe ich mit ihr beinahe gegen einen Laternenpfahl, aber ich kann sie noch im letzten Moment wegziehen.

Plötzlich taucht Noah neben uns auf. An seiner Gangart bemerke ich, dass er auch schon das eine oder andere Gläschen zu viel intus hat.

»Leia, dir ist hoffentlich klar, dass du bei dieser Party jetzt nicht dabei sein kannst?«

Irritiert blicke ich ihm entgegen. »Hä, was soll das?«, zische ich mit meinem angetrunkenen Mut — naja, was noch davon übrig ist.

»Du hast doch schon in der Bar dabei sein können. Ist das nicht auch einmal genug? Außerdem weiß ich von Sam, dass du bei der letzten Party gekotzt hast!«

Diese verdammte Petze! Hätte ich vielleicht auch mal petzen sollen, dass Noah in derselben Nacht offenbar eine Autosirene der neunziger Jahre geknallt hat.

Derweil kichert Marlene neben mir vor sich hin. Sie checkt echt gar nichts mehr.

»Weißt du was?«, sage ich dann ruhig, aber bestimmt an Noah gewandt und bleibe stehen. »Es ist mir egal, was du sagst. Ich lasse mich nicht länger von dir bevormunden.«

Ich erwarte mir schon einen blöden Konter, der mich wieder total nieder macht, aber in diesem Moment lässt er seinen Mund geschlossen. Er sieht mich bloß an, mit seinen eisblauen Augen. Ich lasse meinen Blick über sein Sommersprossen übersätes Gesicht wandern, über seine Wangenknochen und verharre schließlich bei seinen schmalen Lippen.

FilmdosensommerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt