In diesem einen Augenblick kommt es mir so vor, als würde die Welt plötzlich zu schwanken beginnen. Die lauten Lichter Berlins und die bunten Schläge der Musik scheinen mit einem Mal zu verstummen. All das, wo ich bis vor einer Minute noch mittendrin war, erscheint mir jetzt so unglaublich fern.
All die Lichter, die Bässe des Sommers meines Lebens, der laue Wind der heißen Nächte. All das scheint mir jetzt so verdammt weit weg. So als wären wir plötzlich mitten in der Wüste am anderen Ende der Welt. Die nächste Bö bringt mich zum Zittern und hinterlässt eine eiskalte Gänsehaut auf meinen nackten Armen.
Die Worte, die ich zu ihm sagen will, bleiben mir im Hals stecken. Ich schlucke schmerzhaft und fühle dabei einen unglaublich großen Kloß, der sich in meinem Hals festgesetzt hat.
Beide blicken wir schweigend über diesen wunderschönen Ort. Über Berlin. Über den Ort, an dem wir gemeinsam so viele Dinge erlebt haben. Und in diesem einen Moment scheinen wir wieder die achtjährige Version unserer selbst zu sein. Schon verrückt, wie sehr die Bedeutung der Zeit in diesen Augenblicken verblasst und wir durch sie hindurch an einen anderen Ort zu verreisen vermögen.
Und wieder einmal muss ich verblüfft feststellen, dass man sich doch nur an die guten Dinge erinnert. Was letzten Endes zählt, das sind die guten Erinnerungen.
»Und jetzt bin ich bloß dieser eine Typ«, Noah lacht jetzt auf, aber da ist kein Funken Freude dabei, »dieser Typ, der an diesem Projekt nur ‚mitgewirkt' hat.« Er malt unsichtbare Gänsefüßchen in die Luft. »Nicht Wir retten all diese Leben, Lucas ist der wahre Held.« Er lacht erneut dieses spöttische Lachen.
Ich hatte recht. Es stört ihn tatsächlich, dass Lucas jetzt die ganze Anerkennung abstaubt. Aber in seiner Situation, kann ich ihn plötzlich so unglaublich gut verstehen.
»Und weißt du, was mich daran am verrücktesten macht?« Ein Schleier der Wut glitzert in seinen Augen und ich muss unweigerlich daran denken, dass er in diesem Moment wieder aussieht wie damals mit acht.
Ich schüttle den Kopf und merke, wie sich dabei zwei Tränen aus meinen Augen lösen.
»Lucas hat sein ganzes Leben nichts anderes gemacht, als Scheiße zu bauen. Er hat sich nie bemüht, er hat alles immer nur in den Arsch geschoben bekommen. Seinen Abschluss, sein teures Auto. Und ich? Ich hab jeden verdammten Tag alles gegeben. Ich hatte nebenher sowas wie einen Full-time-Job und meine Mum hat ihre ganzen Ersparnisse in mein Studium gesteckt.
Ich hab es immer mit Leidenschaft gemacht. Weil ich es wirklich wollte. Und ich sage dir, manchmal, da war es die Hölle. Aber dann«, jetzt lächelt er unter seinem dünnen Tränenschleier und diesmal ist es echt, »dann hab ich wieder das Gesicht von meinem Vater vor Augen gehabt und ich wusste wieder, warum ich all das tue. Weißt du, wie oft ich den Johnny oder den Jacky weitergereicht hab, um noch was zu lernen? Fuck, so oft — und das, obwohl ich mir in diesem Moment so verdammt gern die Birne weggeballert hätte. Und er? Er hat immer mitgemacht — bei jeder verfickten Scheiße. Es war ihm alles egal! Ich kann das einfach nicht fassen!« Er sieht mir eindringlich in die Augen. Und so einen tieftraurigen Blick habe ich noch nie in keinen Augen gesehen. »Er hat mir alles genommen. Und das, obwohl er mir doch nichts getan hat, scheiße, er ist sogar der bessere Freund als ich.« Er lacht wieder bitter auf. »Aber all das ändert nichts an der Tatsache, dass ich jetzt als verdammter Loser sterbe.«
»Nein, was redest du denn da?« Ich fahre ihm über seinen muskulösen Arm und er zuckt bei meiner Berührung kurz zusammen. »Du bist kein Loser!« Ich sehe ihm tief in die Augen und hoffe, dass es ihm dadurch ansatzweise klar wird. »Außerdem verstehe ich nicht, was er dir denn noch genommen hat.«
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Filmdosensommer
Romanzi rosa / ChickLit❝Lach über das Leben❞, sagt er dann leise, aber bestimmt, ❝sonst lacht das Leben über dich.❞ Und es ist tatsächlich einfach. Simpel auf einem so verdammt hohen Level, dass es beinahe wieder poetisch wirkt. Vor Leia liegt der Sommer ihres Lebens: Sie...